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Ernährung: Verbessern Karotten die Sehkraft?

Karotten sind gut für die Augen, weil sie viel Vitamin A enthalten - so heißt es seit Jahr und Tag. Ist etwas dran, oder handelt es sich nur um einen Ernährungsmythos?
Karottenscheiben

Zweiter Weltkrieg: Die britische Royal Air Force schießt reihenweise deutsche Flieger ab – und das selbst bei Nacht und Nebel! Wie gelang das den Piloten? Wenn man dem britischen Ernährungsministerium Glauben schenkt, waren Karotten der Schlüssel zum Erfolg.

Die heute nicht mehr existierende Behörde startete damals eine Propagandakampagne, in der sie die hervorragende Nachtsicht der Piloten auf ausgiebigen Karottenverzehr zurückführte und Zivilisten dazu ermutigte, mehr von dem lokal angebauten Gemüse zu essen – auf dass es ihnen dabei helfe, während der zahlreichen Stromausfälle ebenfalls den Durchblick zu behalten.

Das Wurzelgemüse ist reich an Betacarotin, einem in der Natur vorkommenden Pigment, das die Sehleistung fördert.

Die Karotte half vor allem den Geheimdienstlern

Jahrzehnte später mehrten sich die Gerüchte, die britische Luftwaffe habe diese Botschaft nur deshalb verbreitet, um die Existenz ihrer Radartechnologie zu verschleiern – der wahre Grund für die nächtlichen Erfolge der Briten. Informationen des de Havilland Aircraft Museum deuten darauf hin, dass das britische Propagandaministerium mit der Karottenstory tatsächlich diese List verfolgte.

Anderer Ansicht ist allerdings Bryan Legate, stellvertretender Museumsdirektor des Royal Air Force Museum in London: »Das britische Luftfahrtministerium hat die Geschichte von der verbesserten Sehkraft durch Karottenkonsum natürlich gerne weitererzählt. Aber sie hatten sicher nicht vor, damit die Deutschen auszutricksen«, meint Legate. »Der deutsche Geheimdienst wusste über unsere Bodenradaranlage sehr gut Bescheid und wäre mit Sicherheit nicht von Radar an Bord von Flugzeugen überrascht gewesen. Die RAF konnte ja selbst ganz einfach die Existenz der deutschen Bordradargeräte nachweisen. Dazu haben sie herkömmliche Radios in einen Bomber gepackt und beim Flug über Frankreich den verschiedenen Radiofrequenzen zugehört.«

Aber sind Karotten nun gut für die Augen?

Damit steht die ursprüngliche Frage noch im Raum: Kann die gemeine Karotte wirklich unsere Sehkraft verbessern, oder ist das ein reines Hirngespinst?

Die Antwort lautet: Ja, unter bestimmten Bedingungen hilft das Wurzelgemüse dabei, besser zu sehen.

Der Körper nutzt Betacarotin, um Vitamin A herzustellen, und »Vitamin A ist sehr wichtig, keine Frage«, meint Emily Chew, Vizedirektorin am US-amerikanischen National Eye Institute in Bethesda, Maryland. Vitamin A hilft dem Auge dabei, Licht in ein Signal umzuwandeln, das an das Gehirn weitergeleitet wird und damit Menschen bei schwachen Lichtverhältnissen zum Sehen verhilft. Obendrein kann sich die Hornhaut auflösen, wenn der Körper nicht genügend Vitamin A zur Verfügung hat.

Laut Schätzungen erblinden jedes Jahr 250 000 bis 500 000 Kinder infolge eines Mangels an Vitamin A. In Gegenden wie Nepal oder Indien, wo unterernährte Menschen an extremem Vitamin-A-Mangel leiden, haben Vitamin-A- oder Betacarotin-Ergänzungsmittel die Nachtsicht bewiesenermaßen verbessern können.

Doch wie viele Karotten genau man brauchen würde, um die Nachtsicht zu optimieren, bleibt unklar. Viele Studien haben bis jetzt nur die Vorteile von Nahrungsergänzungsmitteln mit Betacarotin und Vitamin A untersucht, nicht aber gezielt die von Karotten. In einer randomisierten und kontrollierten Studie von 2005 haben sich Forscher auf die Nachtblindheit von Schwangeren konzentriert und untersucht, wie der Verzehr von rund 130 Gramm gekochten Karotten sechs Tage die Woche im Vergleich zu anderen Vitamin-A-reichen Optionen abschnitt – darunter angereichertem Reis, Amaranth und Ziegenleber. Ergebnis: Alle Lebensmittel schnitten ungefähr gleich ab, die Vitamin-A-Ergänzung allerdings noch am besten.

Sechs Wochen lang regelmäßig Karotten

Sechs Wochen lang regelmäßig die gekochten Gelben Rüben zu essen, genügte den Schwangeren, um ihre Sehempfindlichkeit bei Nacht auf ein normales Niveau zu heben. In Entwicklungsländern ist Betacarotin die einzige Quelle von Vitamin A, in westlichen Staaten dagegen stammen rund 30 Prozent des Vitamins A aus dem Betacarotin.

Dennoch zeigten andere Forschungsergebnisse, dass Betacarotin sich nicht sonderlich effizient in Vitamin A umwandelt – Schätzungen zufolge benötigt man zwischen 12 und 21 Betacarotin-Moleküle in der Nahrung, um ein einziges Vitamin-A-Molekül herzustellen. Im Gegensatz zu purem Vitamin A muss Betacarotin erst in der Darmwand zu Vitamin A umgewandelt werden. Die meisten Menschen würden also besser daran tun, wenn überhaupt, dann Vitamin-A-Zusätze einzunehmen, als massenhaft Karotten zu verdrücken.

Warum Karottenvöllerei nichts bringt

Überdies würde es bei den meisten Amerikanern oder Europäern kaum etwas bringen, wenn sie sich mit Karotten vollstopfen würden. Denn sobald genügend Betacarotin im Körper ist, fährt dieser die Umwandlung in Vitamin A zurück. Der Körper reguliert überschüssige Mengen an Vitamin A auf natürlichem Weg, um zu verhindern, dass sich schädliche Konzentrationen der Substanz anreichern.

Wie viele Karotten wären optimal? »Ich kann Ihnen keine Zahl nennen, wie viele Karotten man pro Tag essen soll«, meint Chew. Grundsätzlich sollte man sich ausgewogen und maßvoll ernähren. Sonst trägt man die sichtbaren Folgen davon: Wer zu viele Karotten isst, dessen Haut verfärbt sich mit der Zeit ein bisschen orange – ein allerdings harmloses Symptom ohne gesundheitliche Folgen.

Schwierigkeiten beim Sehen haben häufig eine ganz andere Ursache: Viele Augenprobleme sind auf genetische oder altersbedingte Einflüsse oder Diabetes zurückzuführen und können daher nicht durch die Einnahme von Betacarotin behandelt werden.

Das Problem der Nachtblindheit ist definitiv kein neues – genau beschrieben wurde es bereits in Schriften der alten Ägypter. Die Heilbehandlung zu jener Zeit war recht einfach: Die Lebersäfte eines gegrillten Lamms wurden, ganz im Sinne einer örtlichen Behandlung, in die Augen betroffener Patienten geträufelt. Falls das wirklich zu einer Besserung geführt hat, spekulierte einmal der berühmte Ophthalmologe und Vitamin-A-Experte Alfred Sommer, könnte der eigentliche Grund gewesen sein, dass die Patienten die Vitamin-A-reichen Leberreste nach der Behandlung selbst verspeisen durften.

Auch anderes Gemüse ist gut für die Augen

Was den Verzehr von nährstoffreichen Lebensmitteln zur Verbesserung des Sehvermögens angeht, empfiehlt Chew, die Vorräte mit grünem Blattgemüse aufzufüllen. Spinat, Grünkohl oder Blattkohl seien voll mit Lutein und Zeaxanthin – anderen aus Lebensmitteln abgeleiteten Nährstoffen – und könnten beim Schutz der Augen helfen, indem sie die Netzhaut vor schädigenden, energiereichen Wellenlängen des sichtbaren Lichts bewahren. Damit könnten diese Lebensmittel gegen die altersbedingte Makuladegeneration helfen, die Hauptursache von Altersblindheit.

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