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Sozialpsychologie: Haben kluge Leute weniger Vorurteile?

Vorgefasste Meinungen findet man bei allen Menschen: gebildeten und weniger gebildeten, weltoffenen und konservativen. Sie unterscheiden sich vor allem darin, was sie ablehnen.
Drei junge Leute unterhalten sich im Café
Längst nicht so üblich, wie es wünschenswert wäre: Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund im Gespräch. (Symbolbild)

Laut einer verbreiteten Ansicht neigt ein bestimmter Menschenschlag stärker zu Vorurteilen. Die Betreffenden seien nicht sonderlich sympathisch, zudem engstirnig und auch weniger intelligent. Ebenso würden überängstliche oder empathielose Menschen vermehrt in Stereotypen denken. Stimmt das wirklich?

Wie Studien zeigen, hängt die Tendenz, sich in Befragungen abwertend über Minderheiten oder benachteiligte Gruppen zu äußern, in der Tat mit etwas geringerer Intelligenz, einem niedrigeren Bildungsniveau und ausgeprägten Persönlichkeitseigenschaften wie weniger Offenheit und Verträglichkeit sowie größerer Gewissenhaftigkeit zusammen. Auf den ersten Blick scheint das also das Bild vom eher einfach gestrickten »Stinkstiefel« zu bestätigen.

Allerdings sind diese statistischen Zusammenhänge klein. Geringere Intelligenz, Offenheit oder Umgänglichkeit gehen demnach keinesfalls immer mit vielen Vorurteilen einher. Zudem kann man aus solchen Korrelationen nicht auf ursächliche Effekte schließen. Das heißt, die Befunde beweisen noch lange nicht, dass Menschen mehr Vorurteile äußern, weil sie weniger clever oder freundlich sind, sondern nur, dass mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit beides zusammenkommt. Der wichtigste Punkt aber lautet: In den besagten Studien wurden meist lediglich Vorurteile gegenüber gesellschaftlich stigmatisierten Gruppen betrachtet, etwa Minoritäten.

Geht es um grundlegende psychologische Mechanismen als Quelle von Vorurteilen, muss man jedoch jede Art von negativer Einstellung gegenüber anderen in Betracht ziehen. Wenn man das tut, verschwinden die Zusammenhänge zwischen der Vorurteilsneigung auf der einen Seite und Intelligenz, Bildung und Offenheit auf der anderen. Mitunter verkehren sie sich sogar ins Gegenteil: Besonders intelligente, offene oder nette Leute äußern dann schon mal die stärksten Vorurteile. Wie kann das sein?

Vorurteile gegen die, die anders sind

Gemäß der sozialpsychologischen Forschung ist ein wichtiger Faktor für unsere Beurteilung fremder Personen, ob wir diese als uns selbst ähnlich oder unähnlich erleben. Dabei spielen auch grundlegende Wertvorstellungen eine Rolle, etwa wie traditionell-konservativ oder liberal-progressiv wir selbst eingestellt sind. Menschen mit konservativen Werten sind sozialen Hierarchien gegenüber häufig positiv eingestellt, lehnen dagegen solche Gruppen eher ab, die sie für weniger traditionell halten und die in der Hierarchie weiter unten stehen. Das sind meist stigmatisierte Minderheiten, wie Menschen mit Migrationsgeschichte, Behinderung oder einer von der Norm abweichenden sexuellen Orientierung. Personen mit progressiven Werten lehnen wiederum Hierarchien oft ab und blicken auf jene herab, die einen hohen sozialen Status genießen oder denen sie konservative Werte zuschreiben. Das betrifft zum Beispiel Anhänger konservativer Parteien, gläubige Christen oder Banker.

In ihrer Neigung zu Vorurteilen unterscheiden sich gebildete also nicht grundsätzlich von ungebildeten und aufgeschlossene nicht von traditionell denkenden Menschen – sie unterscheiden sich nur darin, wem gegenüber sie Vorurteile hegen. Dabei treffen Stereotype Personen mit hohem Status in der Regel weniger hart als solche Menschen, die ohnehin schon benachteiligt sind. Unsere Werthaltungen hängen zwar in gewissem Maß auch mit Intelligenz und anderen Persönlichkeitsfaktoren zusammen, basieren aber in erster Linie auf den Erfahrungen, die wir im Lauf des Lebens in unserem Umfeld sammeln. Sollten Sie etwa meinen, bestimmte Vorurteile seien irgendwie besser oder angemessener als andere, können Sie ziemlich sicher davon ausgehen, dass manche Mitmenschen das genau andersherum sehen.

Wir alle neigen dazu, die eigene Weltsicht als rational und begründet anzusehen, da wir sie nur im Rahmen unserer Werthaltungen betrachten. Wer anders denkt, gilt dann schnell als »verbohrt«. Nur denken diese anderen wiederum genau so über Sie. Wer hat nun Recht?

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  • Quellen
Degner, J.: Vorurteile haben immer nur die anderen. Springer, 2022

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