Direkt zum Inhalt

Akustischer Fingerabdruck: Warum bekommt man von Helium eine Micky-Maus-Stimme?

Ein tiefer Zug vom Luftballon und fertig ist der Partygag: Helium lässt selbst dunkle Stimmen piepsig klingen. Woran liegt das?
Eine Frau nimmt einen Atemzug aus einem Luftballon
Obwohl es für uns anders klingt, ist die Tonhöhe der Stimme dieselbe – ob mit oder ohne Helium. Wie kann das sein?

Helium verändert die Klangfarbe, das Timbre, einer Stimme – und das ziemlich eindrucksvoll. Selbst Bassstimmen klingen ganz hoch und piepsig, wenn man das Edelgas eingeatmet hat. Der ulkige Klang beruht darauf, dass Schall in Helium schneller unterwegs ist als in Luft. Dadurch werden höhere Stimmanteile verstärkt. Aber wie funktioniert das genau?

Wer glaubt, die Stimme wäre einfach nur der Klang, den die Stimmbänder produzieren, irrt. Wäre dem so, würden wir mehr nach Mücke als nach Mensch klingen. Denn die Schwingungen aus dem Kehlkopf hören sich in etwa so an wie ein Brummen. Ein ziemlich raues Brummen. Um aus diesem flachen Klang eine Stimme zu formen, braucht es ein Finetuning. Das übernimmt der so genannte Vokaltrakt, also Rachen-, Mund- und Nasenraum.

Beim Sprechen oder Singen erzeugen die Stimmbänder (fachlich korrekt: Stimmlippen) nicht nur einen einzigen Ton, sondern viele zugleich. Der tiefste davon wird Grundton genannt, alle anderen heißen Obertöne. Die Frequenz des Grundtons entspricht normalerweise der Tonhöhe, die wir wahrnehmen. Das funktioniert selbst dann, wenn er sehr schwach oder gar nicht vorhanden ist. Beim Telefonieren etwa hört sich die Stimme des Gegenübers für gewöhnlich nicht höher oder tiefer an als sonst – und das, obwohl ihr Grundton fehlt. Übertragen werden nämlich nur Frequenzen ab 300 Hertz; der durchschnittliche Grundton Erwachsener liegt mit 100 bis 200 Hertz aber deutlich darunter. Dass wir die Tonhöhe trotzdem fast unverändert wahrnehmen, ist der Interpretation unseres Gehirns geschuldet. Die übrigen Töne genügen, um daraus auf den Grundton zu schließen.

Diese Obertöne sind höhere, harmonische Ableger des Grundtons. Oder ein bisschen komplizierter ausgedrückt: Ihre Frequenzen sind ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz. Die Stimmlippen produzieren Dutzende solcher Obertöne, die mit dem Grundton im Akkord klingen. Grund- und Obertöne werden auch als Teiltöne bezeichnet. Gemeinsam bilden sie alle den Primärklang, sprich das Brummen, das der Vokaltrakt zum Stimmklang formt. Doch wo genau liegt eigentlich der Unterschied zwischen Primär- und Stimmklang?

Vokaltrakt
Vom Brummen zum Klingen: Man kann sich nur schwer vorstellen, wie das funktionieren soll. In diesem Video kann man es sehen und hören. Die Videomacher liefern obendrein ein passendes Paper dazu.

Der feine Unterschied

Beide Klänge bestehen aus denselben Teiltönen, unterscheiden sich aber in deren jeweiliger Lautstärke. Beim Primärschall ist es so: Je höher ein Teilton, umso leiser ist er. Beim Stimmklang gibt es eine andere Lautstärkeverteilung, die auf den ersten Blick (und im Vergleich zum Primärschall) ein bisschen chaotisch wirkt. In dem Frequenzbereich, der für unsere Wahrnehmung entscheidend ist, besitzt der Stimmklang fünf akustische Energiemaxima, die lauter sind als die übrigen Obertöne. Man bezeichnet sie als Formanten.

Die ersten beiden Formanten (gemeint sind die zwei tiefsten) und ihre relative Lage zueinander bestimmen etwa die Qualität bestimmter Sprachlaute, nämlich die der Vokale. Die höheren Formanten prägen vor allem die Klangfarbe, das Timbre einer Stimme. Es ist diese Klangqualität, die uns nach Gehör zwei Stimmen voneinander unterscheiden lässt – selbst dann, wenn sie den gleichen Ton anstimmen. Die Klangfarbe gleicht also einer Art akustischem Fingerabdruck. Das ist einleuchtend, wenn man sich bewusst macht, dass der Stimmklang zwischen Kehlkopf und Mundöffnung geformt wird und dabei die individuelle Anatomie eine prägende Rolle spielt. Und wie wird nun aus dem Brummen eine Stimme?

Entscheidend für die Formung des Stimmklangs sind Resonanzen im Vokaltrakt. Im Rachen-, Mund- und Nasenraum reflektieren und überlagern sich die Schallwellen, die von den Stimmbändern ausgehen, und zwar so, dass bestimmte Teiltöne gedämpft und andere verstärkt werden. Der Vokaltrakt ist demnach ein Resonanzkörper, der wie ein Filter wirkt. Manche Teiltöne werden schwächer, andere prägnanter. Wenn der Teilton die perfekten Maße, das heißt die richtige Wellenlänge für den Resonanzraum mitbringt, dann kann er darin eine stehende Welle ausbilden. Ist dem so, wird er lauter. Die Teiltöne, die am kräftigsten werden, sind die Formanten, die die Vokal- und Klangqualität der Stimme prägen.

Hoch, höher, Helium

Es gibt aber noch einen anderen Faktor, der den Stimmklang prägt: die Geschwindigkeit des Schalls im Vokaltrakt. In Luft beträgt die Schallgeschwindigkeit bei 20 Grad Celsius etwa 343 Meter pro Sekunde. In Helium ist der Schall bei gleicher Temperatur mit 971 Metern pro Sekunde fast dreimal (exakt ist der Faktor 2,8) so schnell unterwegs. Das liegt daran, dass Helium eine geringere Dichte hat als Luft.

Krokodile auf Helium
Auch Krokodile klingen auf Helium komisch: 2020 gab es für diese Entdeckung den IG-Nobelpreis. Das internationale Forschungsteam hatte einem China-Alligator ein Tauchgasgemisch mit Helium verabreicht und so bemerkt, dass auch Krokodile Resonanzen im Vokaltrakt nutzen.

Wegen der höheren Geschwindigkeit erreichen die Schallwellen der Teiltöne, die normalerweise verstärkt werden, das Ende des Vokaltrakts, bevor sie einen vollständigen Zyklus durchlaufen haben. Sie haben nicht mehr die idealen Maße für den Vokaltrakt und können deshalb auch keine stehende Welle ausbilden, die sie verstärkt. Stattdessen werden jetzt höhere Teiltöne im Vokaltrakt resonanzverstärkt. Das Ergebnis: Der Stimmklang rutscht nach oben.

Das Ganze lässt sich auch mit Hilfe einer Gleichung herleiten, die für alle Wellen gilt. Sie lautet: Wellengeschwindigkeit ist Frequenz mal Wellenlänge ν = f · λ. Formt man diese Gleichung um, erhält man f = νλ. Weil nur bestimmte Wellenlängen ideal in den Vokaltrakt passen und stehende Wellen ausbilden, kann man λ als konstant annehmen. Daraus folgt, dass die Frequenz proportional zur Schallgeschwindigkeit ist. Das bedeutet: Wenn die Schallgeschwindigkeit größer ist, werden auch die Resonanzfrequenzen größer und die Formanten entsprechend höher.

Weil sich im Vokaltrakt nach einem Zug vom Luftballon nicht ausschließlich reines Helium befindet, sondern immer ein Gemisch aus Helium und Luft, verschieben sich die Formanten wahrscheinlich nicht um den Faktor 2,8, sondern etwas weniger. Für einen ulkigen Stimmklang à la Micky Maus langt es trotzdem. Dass wir trotz dieser enormen Frequenzverschiebung noch Vokale erkennen können, ist eine Meisterleistung unseres Gehirns. In Sachen Tonhöhe täuscht uns seine Interpretation allerdings. Deshalb nehmen wir die Heliumstimme höher wahr, als sie eigentlich ist.

Wenn also die Micky-Maus-Stimme auf Grund der geringen Dichte von Helium zu Stande kommt, müsste der Effekt doch auch in Richtung Darth Vader funktionieren, oder? Stimmt genau. Und zwar mit einem Gas, das dichter ist als Luft: Schwefelhexafluorid zum Beispiel. Darin breitet sich der Schall mit 150 Metern pro Sekunde bei 20 Grad Celsius nicht einmal halb so schnell aus wie in Luft. Der Effekt: Die Stimme klingt in etwa so tief wie die von Darth Vader. Schwefelhexafluorid ist zwar ungiftig, kann jedoch gefährlich werden, weil es wesentlich schwerer ist als Luft und in den Lungen absinkt. Um sich des schweren Gases zu entledigen, hilft nur ein Kopfstand und währenddessen mehrmals kräftig ein- und auszuatmen. Das leichte Helium verduftet dagegen von allein aus der Lunge – aber wie unbedenklich ist der Partygag mit der Heliumstimme eigentlich?

Nicht zu Hause nachmachen

Anfang des Jahres 2000 warb der Kurierdienst FedEx während der Übertragung des Super Bowl in den USA mit einem märchenhaften Fernsehspot. Darin wird Judy Garland als Dorothy im magischen Land Oz mit einem Ständchen begrüßt. Die Bewohner von jenseits des Regenbogens singen in den höchsten Tönen – dann werden ihre Stimmen plötzlich mächtig tief. Zur Hilfe kommt ein Kurierdienst und rettet mit passender Lieferung (genau, heliumgefüllten Luftballons!) den Gesangsauftritt der Oz-Bewohner. Die trällern ein paar Heliumzüge später, als wäre nichts gewesen.

FedEx-Werbung mit Helium
Jenseits des Regenbogens: Der Zug vom Heliumballon wurde diesem märchenhaften Werbespot zum Verhängnis. Kurz nach seiner Premiere verbannte man ihn aus dem Programm. Internet sei Dank kann man das Meisterwerk, das sich des Filmklassikers »Der Zauberer von Oz« bedient, wieder bestaunen – wenn auch in schlechter Qualität.

Die tiefen Atemzüge aus den Luftballons bescherten dem Spot allerdings kein glückliches, sondern ein vorzeitiges Ende. Besorgte Eltern protestierten, und auch Verantwortliche eines Drogenpräventionsprogramms äußerten Bedenken, so dass der Spot nach zwei Wochen aus dem Programm genommen und nie mehr ausgestrahlt wurde. War dieser Protest berechtigt?

Tatsächlich birgt das Einatmen von Helium ein gewisses Risiko. Das Edelgas ist an sich zwar ungiftig, kann jedoch trotzdem tödlich sein. Dann nämlich, wenn man zu viel davon einatmet. In der Lunge erzeugt Helium ein Diffusionsgefälle, das den Sauerstoff ausspült. Mit anderen Worten: Mit jedem Atemzug Helium wird mehr Sauerstoff aus dem Körper gesaugt. Nach dem Einatmen von Helium kann die Sauerstoffsättigung des Körpers innerhalb weniger Sekunden auf ein Niveau sinken, das gefährlich ist. Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Übelkeit, Ohnmacht, Krampfanfälle – die Liste der unerwünschten Effekte von Helium ist lang. Und da ist noch was. Helium kann sich in den Blutgefäßen als Blase festsetzen. So ein Verschluss erhöht das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko.

Nach nur einem Atemzug vom Heliumballon sollte das in aller Regel nicht passieren. Wer gleich mehrere tiefe Züge nimmt, riskiert dagegen schon einen Kollaps. Das Tückische: Die Ohnmacht kann überraschend auftreten und muss sich nicht durch Schwindel ankündigen – das birgt zusätzliche Risiken. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, sich auf Grund der plötzlichen Bewusstlosigkeit zu verletzen.

Wer sich den Trick mit der Heliumstimme nicht verkneifen kann, sollte ihn also nicht zu oft hintereinander durchführen oder zumindest wachsam sein. Vermeiden sollte man vor allem, das Helium direkt aus dem Druckgaszylinder zu inhalieren. Denn der hohe Durchfluss kann gefährliche Risse in der Lunge verursachen. Wer einmal am Ballon nippt, muss in der Regel nichts befürchten. Dafür gibt es aber keine Gewähr.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.