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Warum fallen schlafende Vögel nicht vom Ast?

Ein wilder Traum, einmal zu oft umgedreht, und schon findet man sich auf dem Boden wieder - bei uns führt ein Sturz aus dem Bett glücklicherweise meist nur zu einem unsanften Erwachen. Für Vögel dagegen, die auf Bäumen übernachten, wäre es fatal, wenn sie schlummernd von ihrem Schlafplatz stürzten. Doch die Natur hat sie mit Sicherheitssystemen ausgestattet.

Besonders gefährlich nächtigen auf den ersten Blick Vögel, die sich als Schlafplatz einen dünnen Ast oder eine Hochspannungsleitung ausgesucht haben. Doch während wir Menschen beim Schlafen im Sitzen mit entspannten Muskeln schlaff zur Seite kippen, wirkt die Mechanik im Vogelfuß genau umgekehrt. Wie bei einer Wäscheklammer ziehen sich die Muskeln im entspannten Zustand zusammen und bilden eine Kralle; um ihren Fuß zu öffnen, müssen die Tiere dagegen Kraft aufwenden. Sobald ein Vogel also auf einem Ast landet und seine Beine zum Sitzen einknicken lässt, straffen sich automatisch Sehnen und klammern die Zehen fest. Um den Griff für den Start wieder zu lösen, müssen die Vögel erst mit einigen Flügelschlägen ihre Beine entlasten. Der Greifreflex fixiert den Vogel also am Baum.

Aber wie schafft er es, im Schlaf nicht nach vorne zu kippen und kopfüber hängend wieder aufzuwachen? Denn der Schwanz reicht bei den waagerecht ausgerichteten Tieren nicht als Gegengewicht für Kopf und Oberkörper aus. Reinhold Necker und seine Kollegen von der Ruhr-Universität in Bochum haben herausgefunden, dass Vögel neben dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr ein weiteres im Beckenbereich besitzen. Der so genannte Lumbosakralbereich besteht aus großen Flüssigkeitsräumen, die mit Bogengängen verbunden sind. Wie im Innenohr üben Flüssigkeitsbewegungen in diesen Gängen einen Reiz auf einen Teil des Nervensystems aus, der mit dem motorischen System der Beine verschaltet ist und dem Kleinhirn Signale zur Bewegungskorrektur übermittelt. Tiere, bei denen die Forscher die Flüssigkeitsräume geöffnet hatten, konnten sich mit verbundenen Augen nicht mehr gerade halten und fielen von der Stange.

Wie bei uns Menschen wechseln sich bei Vögeln Tiefschlaf- und REM-Phasen ab. Im REM-Schlaf (nach englisch: rapid eye movement) träumen wir, dabei ähnelt unsere Gehirnaktivität derjenigen im Wachzustand, die Muskeln sind jedoch völlig entspannt. Ob Vögel ebenfalls träumen, kann die Wissenschaft noch nicht beurteilen, ihre Muskeln erschlaffen aber ebenso. Diese erhalten sich allerdings stets eine Restspannung und können das Tier so weiter aufrecht halten.

In den Tiefschlafphasen scheinen Vögel zudem einen weiteren Trick zu beherrschen: Beim so genannten unihemisphärischen Schlaf wechseln sich die Hirnhälften mit Ruhe- und Wachphasen ab. Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen untersuchte unter anderem den unihemisphärischen Schlaf bei Tauben und Enten. Er vermutet, dass grundsätzlich alle Vögel diese Technik beherrschen, allerdings scheinen zumindest die Enten sie vor allem dann anzuwenden, wenn sie Gefahr befürchten und schnell reagieren müssen.

Der unihemisphärische Schlaf könnte beispielsweise Zugvögeln ermöglichen, am Nachthimmel zu fliegen und dabei zu ruhen. Denn noch absturzgefährdeter als die Baumschläfer sind die Spezialisten unter den Vögeln, die in der Luft übernachten. Der Mauersegler (Apus apus) etwa ist ein wahrer Flugkünstler, der auch in der Nacht nicht landet. Die Vögel fliegen schräg gegen den Wind und wechseln dabei in einem Rhythmus von 1 bis 16 Minuten die Richtung, so dass sie sich harmonisch wie ein Pendel über ihrem Revier hin- und herbewegen. Die Windstärke beeinflusst ihren Rhythmus dabei nicht. Ob die Mauersegler am Nachthimmel mit einer Gehirnhälfte oder beiden schlafen, konnten die Wissenschaftler bisher mit elektrophysiologischen Aufzeichnungen nicht zeigen.

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