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Sinne: Warum können wir uns nicht selbst kitzeln?

Die meisten Menschen können sich nicht selbst kitzeln. Dahinter steckt ein verblüffender Trick unseres Gehirns, das selbst erzeugte Sinnesreize aktiv unterdrückt.
Kind wird gekitzelt

Ein leichtes Streifen der Fußsohle, am Bauch oder an den Achseln löst bei vielen Menschen ein kitzeliges Gefühl aus. Vor allem Kinder winden sich bei einer solchen »Attacke« schnell vor Lachen und betteln gleichzeitig um Gnade. Warum sich dieser seltsame Reflex entwickelt hat, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Aus evolutionsbiologischer Sicht könnte er den Sinn haben, dass wir auf diese Weise spielerisch lernen, empfindliche Körperstellen zu schützen. Hierfür spricht zum Beispiel, dass nicht nur Menschen, sondern auch Affen, Ratten oder Pinguine kitzelig sind. Doch selbst die Empfindlichsten unter uns erreichen kaum jemals denselben Kribbelgrad, wenn sie sich selbst über ihre sensiblen Hautpartien streichen.

Das haben wir vermutlich einer Art Filter unseres Gehirns zu verdanken. Um der Fülle der einprasselnden Reize Herr zu werden, schwächt es nämlich den Sinnesinput, den wir selbst herbeiführen, automatisch ab. Jene Reize, die wir hervorrufen – etwa eine Berührung durch die eigenen Finger –, liefern meist keine neuen Informationen. Unerwartete Ereignisse dagegen sind oft entweder gefährlich oder belohnend.

Damit wir den Fokus auf das, was wichtig ist, nicht verlieren, dämpft unser Gehirn selbst generierte Reize also vorsorglich. Zu diesem Zweck stellt es stets Prognosen darüber an, was infolge der eigenen Aktivität, wie zum Beispiel motorischer Befehle, vermutlich passieren wird: Wenn wir uns berühren, berücksichtigt das Gehirn, welche Empfindungen an welchen Körperstellen zu erwarten sind. Folglich kann es den betreffenden Input hemmen und sich auf anderes konzentrieren.

Dieser Effekt betrifft allerdings nicht nur Berührungen, sondern auch andere Sinne. So hören wir Geräusche, die wir selbst produzieren, weniger laut – etwa beim Atmen oder Sprechen.

Mittels bildgebender Verfahren konnten meine Kollegen und ich die sensorische Abschwächung 2019 experimentell nachweisen. Unsere Versuchspersonen sollten entweder sich selbst langsam über den Arm streichen, oder eine andere Person berührte sie auf dieselbe Weise. Beim Selbststreicheln waren verschiedene Hirnregionen vermindert aktiviert, darunter Teile des somatosensorischen Kortex sowie die Insula, auch Inselrinde genannt, welche an der Verarbeitung von Berührungsreizen beteiligt sind. Zudem reagierten dann Kortexbereiche am Übergang vom Schläfen- zum Scheitellappen schwächer. Diese Regionen haben mit sozial-kognitiven Fähigkeiten zu tun wie dem Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen.

Das Gehirn unterscheidet also offenbar deutlich zwischen Selbst- und Fremdberührungen. Mehr noch: Je größer diese neuronale Differenz in unserer Untersuchung ausfiel, desto stärker war das Selbstkonzept des jeweiligen Probanden ausgeprägt. Die Betreffenden gaben beispielsweise eher an, genau zu wissen, was für ein Mensch sie sind.

Eine Kitzelempfindung stellt sich meist nur bei unvorhergesehener und unkontrollierbarer Berührung ein – eben wenn wir nicht genau wissen, wo und wann man uns berührt. Sich selbst zu kitzeln, ist deshalb kaum möglich. Es gibt allerdings Ausnahmen: Bei Menschen mit Schizophrenie funktioniert die sensorische Abschwächung wahrscheinlich oft nicht so gut. Dies könnte an fehlerhaften Vorhersagen des Gehirns liegen, die mit der Krankheit einhergehen.

In einer Studie von Neurowissenschaftlern des University College London berichteten Teilnehmer, die unter akustischen Halluzinationen litten, dass sie selbst gesteuerte Berührungen als ebenso kitzelig empfanden wie fremdgesteuerte. Ob sich Psychotiker jedoch tatsächlich so kitzeln können, dass sie in Gelächter ausbrechen, wurde nicht getestet – und ich vermute, dass das eher nicht der Fall ist.

Und umgekehrt gilt: Wenn es Ihnen gelingen sollte, sich selbst zu kitzeln, so ist das noch längst kein Anlass zur Sorge.

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  • Quellen

Blakemore, S. J.: Why can’t you tickle yourself? The Anatomy of Laughter. Routledge, 2017

Boehme, R. et al.: Distinction of self-produced touch and social touch at cortical and spinal cord levels. PNAS 116, 2019

Ohayon, M. M.: Prevalence of hallucinations and their pathological associations in the general population. Psychiatry Research 97, 2000

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