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Voyager-Sonden : Warum sind Teilchen im ultrakalten All auch enorm heiß?

Künstlerische Darstellung einer Voyager-Raumsonde am Rand des Sonnensystems
Aus aktuellen Voyager-Meldungen vom November 2019 stellt sich mir eine Verständnisfrage. Zum Beispiel iin diesem »Zeit«-Artikel steht der Satz: »Erste Messungen jenseits der Grenze (der Heliosphäre) zeigen, dass die Temperatur des lokalen interstellaren Mediums mit 30 000 bis 50 000 Grad merklich höher liegt als die erwarteten 15 000 bis 30 000 Grad.« Meine Frage: Woher kommt die Energie, um das Plasma auf eine so hohe Temperatur zu bringen beziehungsweise zu halten? Ich dachte, dort sei die Temperatur nahezu null Kelvin.
(Bruce Whitson)

Die beiden Voyager-Sonden haben Instrumente an Bord, die geladene Teilchen im interplanetaren und interstellaren Raum einfangen und deren Energie vermessen. Anhand dieser Daten kann man die kinetische Temperatur der Teilchen bestimmen. Sie gehören zur niederenergetischen kosmischen Strahlung: Das sind Protonen und Elektronen, die sich mit hoher Geschwindigkeit durch die Milchstraße bewegen. Sie sind Bestandteile des interstellaren Mediums, das sich zum größten Teil aus neutralem Gas und Staubteilchen zusammensetzt. Diese anderen Komponenten bewegen sich weit weniger schnell, was einer weit geringeren Temperatur entspricht.

Die Protonen und Elektronen werden in den Stoßfronten, die von Supernova-Explosionen und Sternwinden erzeugt werden, beschleunigt. Dabei können kinetische Temperaturen von mehreren Millionen Kelvin erreicht werden. Zum Vergleich: Die Temperatur der neutralen Gas- und Staubteilchen liegt im Schnitt nur bei einigen zehn bis hundert Kelvin. Die gemessenen Temperaturen von 30 000 bis 50 000 Kelvin sind daher nicht ungewöhnlich, allerdings liegen sie in der Tat um etwa einen Faktor zwei bis drei über dem, was Modelle des interstellaren Mediums für die Sonnenumgebung vorhersagen. Es gibt daher Überlegungen, dass diese zusätzliche Energie aus der Stoßfront kommt, die der Sonnenwind und die solare Magnetosphäre auf ihrem Weg durch die Milchstraße vor sich herschieben.

Voyager | Schematische Darstellung der Grenzregion zwischen dem Sonnenwind und dem interstellaren Medium: In den beiden dort befindlichen Stoßfronten können geladene Teilchen auf höhere Temperaturen beschleunigt werden. Die beiden Voyager-Sonden sind derzeit etwa 130 bis 150 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt.

Die kinetische Temperatur errechnet man aus der mittleren quadratischen Geschwindigkeit der Teilchen untereinander. Man muss diesen Wert von der lokalen Strahlungstemperatur in dem dünnen durchsichtigen Gas unterscheiden. Diese ist ein Maß für die Wärme, die ein Körper aus dem Strahlungsfeld seiner Nachbarschaft erhält. Sie hängt im Wesentlichen von der Entfernung zum nächstgelegenen Stern und von dessen Leuchtkraft ab.

Kurz gesagt: Am heutigen Ort der Voyager-Sonden würde ein Mensch trotz der hohen Geschwindigkeit der eingefangenen Protonen und Elektronen sofort erfrieren, da die Temperatur der Hauptbestandteile des interstellaren Mediums in Sonnenumgebung lediglich bei 20 bis 30 Kelvin liegt. Und wieso kühlen sich die Protonen und Elektronen nicht umgehend auf die Temperatur des neutralen Gases und des Staubs ab? Weil sie das nicht können! Das Gas ist zu sehr verdünnt dafür. Es braucht viele Millionen Jahre, um durch Stöße mit den schnelleren Teilchen deren Energie in sich aufzunehmen.

Nebenbei bemerkt: Nahezu null Kelvin ist es im Universum wohl nirgends außer in Laboren. Dazu müsste man die Drei-Kelvin-Hintergrundstrahlung abschirmen, und das ist gar nicht so einfach.

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