Gute Frage: Warum verlieben sich Frauen in Mörder?

Der norwegische Massenmörder Anders Breivik, der 77 Menschen tötete, erhielt im Gefängnis hunderte Liebesbriefe. Auch andere Schwerverbrecher vor ihm wurden von Frauen angehimmelt – nicht wenige ehelichten sogar eine davon. Der US-amerikanische Sexualstraftäter Ted Bundy etwa tötete 30 Frauen und war bis zu seiner Hinrichtung 1989 neun Jahre mit seiner Verehrerin Carol Ann Boone verheiratet. Auch aus Deutschland sind Fälle bekannt: Der Vierfachmörder und Vergewaltiger Dieter Zurwehme heiratete 2001 eine Kellnerin aus Berlin, die ihm zuvor Fanpost in sein Bochumer Gefängnis geschickt hatte.
Manche Frauen fühlen sich von Verbrechern magisch angezogen. Die so genannte Hybristophilie, nach dem berühmten Gangsterpärchen auch »Bonnie-und-Clyde-Syndrom« genannt, wurde erstmals in den 1980er Jahren vom neuseeländischen Psychologen John William Money beschrieben. Was genau treibt diese Frauen an?
Die US-amerikanische Journalistin Sheila Isenberg ging dem nach. Für ihr Buch sprach sie mit 35 Frauen, die eine Beziehung mit inhaftierten Mördern führten. Dabei fiel ihr ein Muster auf: Viele der Befragten berichteten von einem abwesenden Vater in ihrer Kindheit oder von Gewalt und Missbrauch in früheren Partnerschaften. Isenberg vermutete, dass das ihre Partnerwahl beeinflusste – eine These, die plausibel klingt, wissenschaftlich aber nicht belegt ist.
Die Journalistin schrieb zudem, dass die Häftlinge ihren Partnerinnen oft ungeteilte Aufmerksamkeit schenkten, da sie naturgemäß viel Zeit und wenig Ablenkung hatten. Die Männer schrieben gefühlvolle Zeilen und betonten, wie besonders die Beziehung sei. Das spreche vor allem romantisch veranlagte Frauen an. Viele von ihnen waren außerdem gläubige Christinnen und schienen eine altruistische Mission zu verfolgen: Sie waren entschlossen, einen Sünder auf die rechte Bahn zu lenken.
Ich wollte es genau wissen und habe an 96 Frauen aus Deutschland und der Schweiz untersucht, ob diese ihre Beziehung zu einem Inhaftierten tatsächlich als besonders romantisch und altruistisch empfanden. Dazu verwendete ich vier Skalen des Marburger Einstellungsinventars für Liebesstile: »Eros« steht darin für romantische, »Storge« für freundschaftliche, »Mania« für besitzergreifende und »Agape« für altruistische Liebe. Außerdem nahmen 859 Frauen teil, die mit einem nicht inhaftierten Mann liiert waren. Von ihnen wählte ich 96 aus, die den Frauen mit inhaftierten Partnern in puncto Alter und Beziehungsdauer entsprachen.
Tatsächlich wiesen die Frauen mit Partnern im Gefängnis höhere Werte bei Eros und Agape auf als jene in der Kontrollgruppe; in den anderen Liebesstilen unterschieden sich die beiden Gruppen nicht. Das passte zu Isenbergs Beobachtungen: Wer mit einem Verbrecher liiert war, empfand die Beziehung als ausgesprochen romantisch und aufopferungsvoll. Die Frauen betonten etwa, der Mann entspräche ihrem körperlichen Ideal, oder gaben an, sie würden alles tun, um ihm helfen.
Die Psychiaterin Vera Hähnlein deckte in ihrer Doktorarbeit mit 17 solchen Paaren weitere Motive auf: Manche Frauen, die einen Straftäter liebten, hatten ein hohes Bedürfnis nach Autonomie. Sie hätten die ständige Nähe zu einem Partner auf freiem Fuß wohl als belastend erlebt. Auch der Wunsch nach Kontrolle trieb manche Frauen an. Zudem sehnten sich einige nach Nervenkitzel, andere wiederum suchten einen von der Gesellschaft Verstoßenen, weil sie sich selbst als Außenseiterin empfanden. Frauen mit narzisstischen Tendenzen hofften, ihren kriminellen Partner positiv zu beeinflussen und so ihr eigenes Ego aufzuwerten.
Derartige Romanzen sind allerdings kaum von Dauer und nur selten tragfähig. Zwar helfen stabile Beziehungen, das Rückfallrisiko von Straftätern zu reduzieren. Doch es besteht immer die Gefahr, dass Männer mit dissozialen Persönlichkeitseigenschaften ihren kriminellen Lebenswandel fortführen, ihre Verehrerinnen finanziell und emotional ausbeuten oder ihnen gegenüber gewalttätig werden.
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