Gute Frage: Werden bestimmte Menschen eher gemobbt?

Konflikte gehören zum Leben. Wir können an ihnen wachsen und unsere sozialen Fähigkeiten stärken. Bei Mobbing ist das anders. Die Misshandlungen hinterlassen körperliche und emotionale Wunden. Mitunter machen sie sogar krank. Gemobbt zu werden, erhöht das Risiko für Depressionen, Angststörungen, selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität noch viele Jahre später. In einer 2022 durchgeführten Umfrage berichteten rund 14 Prozent der 11- bis 15-Jährigen von Mobbingerfahrungen in der Schule. Doch das Problem beschränkt sich keineswegs auf Heranwachsende. Auch etwa 6,5 Prozent der Beschäftigten haben regelmäßiges Mobbing am Arbeitsplatz erlebt, wie eine bundesweite Studie gezeigt hat. Doch warum trifft es manche Menschen und andere nicht?
Oft heißt es, die Betroffenen müssten etwas an sich haben, das Mobbing auslöst. Diese Denkweise vermittelt ein Gefühl von Sicherheit: Wenn ich nicht so bin, passiert mir auch nichts. Tatsächlich gibt es Merkmale, die das Risiko erhöhen, Mobbingopfer zu werden. Dazu zählt ein auffälliges Aussehen, Schüchternheit, eine niedrige Gewaltbereitschaft, nicht heterosexuell zu sein sowie Lern- oder Entwicklungsstörungen – kurz: Jede Art von Anderssein kann einen zur Zielscheibe machen.
Doch das heißt nicht, dass Betroffene selbst schuld an den Misshandlungen sind. Und längst nicht jedes Opfer von Mobbing weist eines der genannten Merkmale auf. Mobbing kann jeden treffen, mit und ohne solche Eigenschaften. Häufig geht es Tätern darum, sich selbst aufzuwerten, indem sie andere niedermachen. Sie suchen dabei gezielt nach Besonderheiten. Nicht selten entstehen Auffälligkeiten auch erst durch das, was man über lange Zeit ertragen musste, denn Mobbing hinterlässt Spuren. Ein Teenager, der ständig verspottet wird, zieht sich womöglich irgendwann zurück und gilt dann erst recht als »komisch«.
Soziale Normen bestimmen, was »anders« ist und ob Mobbing geduldet oder gar belohnt wird. Erscheint es als »cool«, andere zu schikanieren, übernehmen viele diese Norm. Ein Effekt, der hier eine Rolle spielt, ist die sogenannte pluralistische Ignoranz. Dabei orientieren sich Menschen am Verhalten anderer. Weil niemand offen Einspruch erhebt, nehmen sie an, alles sei in Ordnung, und unternehmen nichts, obwohl sie sich vielleicht insgeheim unwohl fühlen. Ähnlich wirkt der Zuschauereffekt: Je mehr Menschen eine Szene beobachten, desto weniger fühlt sich der Einzelne verantwortlich, hier einzugreifen.
Mobbing ist ein Gruppenphänomen. Jeder Anwesende spielt eine Rolle, wie ein Team um die Psychologin Christina Salmivalli aus Finnland belegte. In ihrer Studie an Sechstklässlern beobachteten die Forschenden nicht nur Täter und Opfer, sondern auch »Assistenten«, die mithalfen, etwa wenn es darum ging, das Opfer festzuhalten. Andere fungierten als »Verstärker«, indem sie lachten oder die Täter anfeuerten.
Die größte Gruppe sind jedoch die »Zuschauer«. Sie stehen dem Mobbing zwar oft kritisch gegenüber, greifen aber nicht ein – aus Angst, Unsicherheit oder fehlendem Verantwortungsgefühl. Nur die »Verteidiger« ergreifen Partei und versuchen, das Mobbing zu stoppen. Jungen waren in der Untersuchung von Salmivalli und ihren Kollegen häufiger Täter, Verstärker oder Assistenten, Mädchen dagegen öfter Verteidiger oder Zuschauer.
Mobbing bleibt immer dann erhalten oder verstärkt sich, wenn es belohnt wird: Wer andere schikaniert, bekommt dafür nicht selten Aufmerksamkeit und Anerkennung. Um es zu verhindern, müsste man am ganzen System ansetzen: den Rollen, Regeln und Rahmenbedingungen.
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