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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die am wenigsten bekannten Millennium-Probleme

Seit einem Vierteljahrhundert suchen die klügsten Köpfe der Welt nach Lösungen der Millennium-Probleme. Doch worum geht es dabei überhaupt? Besonders die Hodge-Vermutung, die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer und die Poincaré-Vermutung sind allgemein eher unbekannt – aber nicht zu unterschätzen.
Viele Gleichungen und Formeln, die unlesbar sind
Die Millennium-Probleme gelten als die größten Herausforderungen in der Mathematik.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen bis hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Am 24. Mai im Jahr 2000 versammelten sich Mathematikerinnen und Mathematiker im Collège de France in Paris zu einer ungewöhnlichen Veranstaltung. Das Clay Institute of Mathematics, eine gemeinnützige Stiftung, eröffnete an diesem Tag den Anwesenden – und allen anderen Menschen auf der Welt – eine Möglichkeit, Millionär zu werden. Es hatte sieben mathematische Probleme herausgepickt, deren Lösung es mit einem Preisgeld von einer Million US-Dollar belohnen würde. »Diese Probleme sind nicht neu«, sagte der renommierte Mathematiker Andrew Wiles bei der Verkündung. »Sie wurden ausgewählt, weil sie als große ungelöste Probleme des 20. Jahrhunderts herausstechen. Es sind Probleme, von denen wir glauben, dass sie eines Tages gelöst werden müssen.«

Seither ist knapp ein Vierteljahrhundert vergangen, in dem sich zahlreiche Fachleute die Zähne an den »Millennium-Problemen« ausgebissen haben. Und doch ist lediglich eines der sieben bislang bewältigt: Nur drei Jahre nach Verkündung der Aufgaben war die »Poincaré-Vermutung« bewiesen. Die übrigen sechs warten bis heute auf eine Lösung.

Die sieben Aufgaben umfassen viele verschiedene mathematische Gebiete: von Topologie über Zahlentheorie bis hin zu Differenzialgleichungen – und einige haben sogar Überschneidungen mit anderen Fachbereichen wie Physik oder Informatik. Während manche der Millennium-Probleme wie die riemannsche Vermutung oder das P-versus-NP-Problem es immer wieder in populärwissenschaftliche Berichterstattungen schaffen, sind andere deutlich unbekannter. In dieser Kolumne gehe ich auf diejenigen ein, die nur selten im Rampenlicht stehen.

Die Poincaré-Vermutung

Zugegeben: In der Vergangenheit hat dieses Millennium-Problem für viele Schlagzeilen gesorgt. Das lag aber nicht allein an seiner mathematischen Bedeutung oder daran, dass es bisher als einziges gelöst wurde. Ausschlaggebend war wohl eher die Person, welcher der lang ersehnte Beweis der Poincaré-Vermutung gelang. Der russische Mathematiker Grigori Perelman erfüllt mit seinem Verhalten das stereotype Nerd-Klischee. Er ist Eigenbrötler und hat alle Angebote für Anstellungen an den renommiertesten Universitäten abgelehnt – ebenso wie das Preisgeld des Clay Institute oder die Fields-Medaille, die als Nobelpreis der Mathematik gilt. Doch neben dieser skurrilen Geschichte ist auch die Mathematik hinter der Poincaré-Vermutung spannend.

Sieben hartnäckige Rätsel

Am 24. Mai 2000 veröffentlichte das Clay Mathematics Institute eine Liste mit sieben mathematischen Problemen, deren Lösung es mit einer Million US-Dollar belohnt. Selbst nach einem Vierteljahrhundert sind sie ungelöst geblieben – bis auf eines.

2002 gelang es dem russischen Mathematiker Grigori Perelman, die Poincaré-Vermutung zu beweisen. Über die Fachwelt hinaus erstaunte jedoch seine darauf folgende Reaktion: Der Eigenbrötler lehnte das Preisgeld ab, genauso wie die ihm dafür verliehene Fields-Medaille, eine der größten Auszeichnungen der Mathematik.

Das wohl bekannteste der noch offenen Millennium-Probleme ist die riemannsche Vermutung, aus der unter anderem folgen würde, wie sich die Primzahlen auf dem Zahlenstrahl verteilen. An dieser etwa 160 Jahre alten Aufgabe haben sich bereits etliche Experten und Laien versucht, doch bisher sind alle Anläufe gescheitert.

Die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer ist weniger verbreitet. Sie handelt von den Eigenschaften einer wichtigen Art von mathematischen Funktionen. Die so genannten elliptischen Funktionen ermöglichten es beispielsweise Andrew Wiles in den 1990er Jahren, Fermats letzten Satz zu beweisen.

Ein weiteres eher unbekanntes Problem ist die Hodge-Vermutung. Ähnlich wie die Poincaré-Vermutung beschäftigt sie sich mit dem Ordnen von geometrischen Figuren und fällt damit in den Bereich der Topologie.

Zwei der Millennium-Probleme hängen eng mit der Physik zusammen. Das eine dreht sich um Flüssigkeiten und Turbulenzen, die durch die so genannten Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben werden. Das zweite handelt von den Grundbausteinen der Materie, den Quarks, und ihren Wechselwirkungen untereinander, welche die Yang-Mills-Theorie erklärt.

Schließlich lautet beim P-NP-Problem aus der theoretischen Informatik die Frage: Gibt es für bestimmte Probleme keine effizienten Algorithmen, oder kennen wir sie einfach nur noch nicht?

1904 beschäftigte sich der französische Mathematiker Henri Poincaré mit geometrischen Objekten. Er überlegte, welche Figuren sich ineinander umformen lassen, ohne sie zu zerreißen oder zusammenzukleben. Zum Beispiel kann man aus einer Kugel ganz einfach eine längliche Wurst kneten. Aus der Kugel lässt sich hingegen kein Donut formen, da man dafür entweder ein Loch in die Mitte reißen oder die Enden einer daraus geformten Wurst zusammenkleben müsste. Topologen wie Poincaré betrachten alle ineinander verformbaren Objekte als gleich. Kugel und Wurst sind identisch, während ein Donut in eine andere Kategorie fällt.

Topologie
Topologie | Topologisch gesehen sind ein Donut und eine Tasse gleich, da sie sich ineinander verformen lassen.

Topologen schaffen also Ordnung. Die Topologie bietet eine Möglichkeit, Dinge nach ihren gröbsten Eigenschaften zu sortieren. Wie sich herausstellt, sind alle endlich großen, zweidimensionalen Oberflächen ohne Loch aus topologischer Sicht eine Kugeloberfläche: Sie lassen sich stets zu einer solchen verformen, ohne dass man etwas zerreißen oder zusammenkleben muss.

Doch Poincaré genügte dieses Ergebnis nicht. Er wollte wissen, wie das in höheren Dimensionen ist. Wenn man in einem 4-D-Raum leben würde und das 3-D-Analogon einer Oberfläche hätte, würde dann dasselbe gelten? Sind auch in diesem Fall alle endlich großen 3-D-Oberflächen ohne Loch identisch zur Oberfläche einer 4-D-Kugel? Beweisen konnte er das nicht.

1961 machte der US-Mathematiker Stephen Smale einen riesigen Fortschritt auf dem Gebiet. Er konnte zeigen, dass die Poincaré-Vermutung in allen Dimensionen größer als fünf korrekt ist: Egal ob im 6-, 7-, 258- oder 1780-dimensonalen Raum: Wenn eine entsprechende hochdimensionale Oberfläche endlich ist und kein Loch hat, ist sie aus topologischer Sicht eine hochdimensionale Kugeloberfläche. Kurz darauf wurde auch der fünfdimensionale Fall bewiesen.

Wenn eine geometrische Oberfläche endlich ist und keine Löcher hat, dann lässt sie sich zu einer Kugeloberfläche formen – egal in welcher Dimension

Nur der vierdimensionale Fall blieb offen. Erstaunlicherweise ist das in der Topologie nicht ungewöhnlich: Die vierte Dimension bereitet Mathematikern viele Probleme. Erst 2003 – knapp 100 Jahre nach Poincarés Arbeit – konnte Perelman die Vermutung beweisen, indem er ein noch allgemeineres Problem löste. Damit ist nun klar: Wenn eine geometrische Oberfläche endlich ist und keine Löcher hat, dann lässt sie sich zu einer Kugeloberfläche formen; egal in welcher Dimension.

Die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer

Es ist das jüngste der Millennium-Probleme: eine Vermutung, welche die Mathematiker Bryan John Birch und Peter Swinnerton-Dyer in den 1960er Jahren aufstellten. Das Clay Mathematics Institute maß ihr allerdings eine so hohe Bedeutung bei, dass es sie auf die Liste der bedeutendsten Aufgaben zur Jahrtausendwende setzte.

Birch und Swinnerton-Dyer widmeten sich so genannten elliptischen Kurven. Bei diesen Objekten handelt es sich nicht um Ellipsen, sondern sie hängen mit »elliptischen Integralen« zusammen, mit denen sich die Bogenlängen von Ellipsen berechnen lassen. Allgemein entstehen elliptische Kurven durch folgende Art von Gleichung: \(y^2 = x^3 + ax + b ,\) wobei a und b beliebige Werte annehmen können. Die Kurven spielen unter anderem eine zentrale Rolle in der Kryptografie und waren der Schlüssel zur Lösung von Fermats großem Satz. Dennoch werfen die einfach anmutenden Gleichungen weiterhin Fragen auf.

Elliptische Kurven |

Diese Art von Funktionen hat in den letzten Jahrzehnten eine bedeutende Rolle in der Mathematik gespielt. Die wohl größte Errungenschaft, zu der sie beigetragen hat, ist der Beweis des großen fermatschen Satzes.

Allgemein lassen sich elliptische Kurven in folgender Form schreiben: y2 = x3 + ax + b. Das Besondere an ihnen ist unter anderem ihre symmetrische Struktur. Addiert man zwei Punkte auf der Kurve, landet man zwar – anders als bei Geraden – außerhalb der Kurve. Indem man aber eine abgewandelte Form der Addition definiert, lassen sich Punkte so miteinander verknüpfen, dass das Ergebnis wieder auf der Kurve liegt.

Die Eigenschaft kann man auch in der Kryptografie nutzen: Bei asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren sucht man stets nach Operationen, die sich einfach berechnen, allerdings nur schwer umkehren lassen – so wie die Primfaktorzerlegung: Man kann schnell überprüfen, ob das Produkt zweier Primzahlen mit einem Wert übereinstimmt, wohingegen es überaus aufwändig ist, große Zahlen in ihre Primfaktoren zu zerlegen. Ebenso verhält es sich mit Punkten auf elliptischen Kurven: Für eine Zahl n und einen Punkt P lässt sich n · P = A sofort bestimmen, doch wenn A und P bekannt sind, kann man nur sehr schwer den Wert n ermitteln. Daher eignen sich elliptische Kurven für Public-Key-Verfahren.

Eine davon hängt mit rationalen elliptischen Kurven zusammen, bei denen also a und b nur rationale Werte annehmen. Seit Jahrhunderten wollen Fachleute herausfinden, wie viele rationale Punkte auf der dazugehörigen Kurve liegen. Einige Kurven enthalten beispielsweise unendlich viele rationale Punkte, andere nur endlich viele.

Durch eine computergestützte Suche fanden Birch und Swinnerton-Dyer vor etwa 60 Jahren Hinweise auf ein Kriterium, mit dem sich die Frage schnell beantworten lässt. Bis heute ist jedoch unklar, ob man mit diesem Kriterium wirklich für alle elliptischen Kurven die richtige Anzahl an rationalen Punkten berechnen kann. Im Jahr 2014 bewiesen drei Mathematiker, dass mindestens zwei Drittel aller elliptischen Kurven die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer erfüllen – von einem allgemeinen Beweis ist man allerdings nach wie vor weit entfernt.

Die Hodge-Vermutung

Es ist das wohl abstrakteste der sieben Millennium-Rätsel: eine Vermutung, die der Mathematiker William Vallance Douglas Hodge 1950 auf dem internationalen Mathematikerkongress in Cambridge äußerte. Sie wird bloß selten in populärwissenschaftlichen Medien thematisiert, weil sie zwei Eigenschaften vereint, die viele Menschen an Mathematik abschrecken. Einerseits klingt sie kompliziert (und ist es auch), andererseits brächte eine Lösung keine unmittelbaren Anwendungen für lebensnähere Bereiche. Doch die Hodge-Vermutung zählt zu den bedeutendsten offenen Fragen der Topologie.

Ähnlich wie bei der Poincaré-Vermutung geht es hierbei ebenfalls um die Kategorisierung von geometrischen Figuren. Entscheidend ist dabei, ob und wie viele Löcher ein Objekt enthält. Um auch in hohen Dimensionen die Anzahl an Löchern zu berechnen – wenn sich die Figuren also nicht mehr visualisieren lassen –, nutzen Mathematiker spezielle Tricks. So überdecken sie die Oberflächen mit einem Netz aus Dreiecken. Es klingt wahrscheinlich unglaublich, aber: Die Anzahl an Ecken und Kanten der Dreiecke, die nötig sind, um eine Oberfläche zu überdecken, geben die Anzahl an Löchern preis – unabhängig davon, wie feinmaschig das Netz ist und wie genau die Dreiecke aussehen.

Triangulation | Wenn man Oberflächen mit einem Netz aus Dreiecken bedeckt, lässt sich allerlei über ihre Form herausfinden – zum Beispiel, wie viele Löcher sie besitzen.

Das ist zwar sehr hilfreich, aber in hohen Dimensionen genügt selbst das nicht, um die Löcher eines Objekts zu ermitteln. Denn die Netze, die man auswirft, lassen sich nur sehr schwer untersuchen. Viel einfacher wäre es, wenn man es nicht mit Dreiecken (oder entsprechenden höherdimensionalen Strukturen wie Tetraedern) zu tun hätte, sondern mit glatten Kurven, die durch Polynomgleichungen entstehen. Denn diese lassen sich durch eine algebraische Gleichung untersuchen. Das kennt man vielleicht noch aus der Schule: Möchte man den Schnittpunkt zweier Geraden ermitteln, kann man das zeichnerisch tun – man ist jedoch meist schneller, wenn man die beiden dazugehörigen Gleichungen gleichsetzt und nach x und y auflöst.

Hodge befasste sich mit der Frage, in welchen Fällen es möglich ist, das Dreiecksnetz, mit dem man ein geometrisches Objekt überdeckt, durch glatte Kurven zu ersetzen. Und er fand ein vermeintliches Kriterium dafür: ein bestimmtes Integral, das manchmal null ist. Ist das der Fall, so erkannte Hodge, können Mathematiker mit den vertrauten algebraischen Strukturen weiterrechnen, statt sich mit den Dreiecken zu quälen. Für gewisse Spezialfälle in niedrigen Dimensionen ließ sich die Hodge-Vermutung beweisen. Doch ob sie auch komplizierteren Situationen standhält, ist noch unklar.

Das waren die drei Millennium-Probleme, über die aus unterschiedlichen Gründen nur noch selten gesprochen wird. Bei der Poincaré-Vermutung liegt das selbstverständlich daran, dass sie inzwischen gelöst wurde. Inhaltlich zählt sie wie die Hodge-Vermutung zum Teilgebiet der Topologie, eines Bereichs der Mathematik, der besonders abstrakt ist und wenig Berührungspunkte mit dem alltäglichen Leben hat. Und auch die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer ist mit ihrem Bezug zur Zahlentheorie nicht weniger lebensfern (und besitzt darüber hinaus einen sehr komplizierten Namen). An Bedeutung sind alle drei aber nicht zu unterschätzen. Daher bleibt es spannend, ob die offenen Millennium-Probleme in den nächsten Jahren eine Lösung finden.

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