Direkt zum Inhalt

Freistetters Formelwelt: Werden bei Vollmond mehr Kinder geboren?

Dieser Aberglaube hält sich hartnäckig. Aber ganz einflusslos ist der Mond nicht, denn Licht wirkt sich auf den Hormonhaushalt aus.
Der Vollmond geht über einem schneebedeckten Berggrat auf.
In Österreich haben Forschende die Geburten abhängig von den Mondphasen untersucht.
Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Mathematik ist eine abstrakte Wissenschaft. Und gerade weil sie unabhängig von der realen Welt existieren kann, ist sie besonders gut geeignet, um sich mit Aberglauben zu beschäftigen. Zum Beispiel mit der weitverbreiteten Aussage, dass bei Vollmond mehr Kinder geboren werden. Überraschend viele sind von diesem Einfluss unseres Trabanten überzeugt – das ist vor allem deswegen überraschend, da sich die Aussage leicht überprüfen lässt. Genau das haben Forscherinnen und Forscher aus Österreich getan, unter anderem mit dieser Formel:

SBR=ObsExp

Viel einfacher kann eine Gleichung nicht sein, doch gerade weil die Formel so simpel ist, finde ich sie interessant. Denn sie macht klar, dass man keine komplexe Mathematik benötigt, um den Einfluss des Mondes auf die Geburt zu untersuchen. Man muss ja eigentlich nur schauen, wie viele Kinder geboren werden, und das mit den Mondphasen abgleichen. SBR steht für »standardized birth ratio«, also das standardisierte Geburtenverhältnis. Es berechnet sich aus »Obs«, der beobachteten Anzahl der Geburten während einer bestimmten Mondphase, und »Exp«, der erwarteten Anzahl an Geburten in diesem Zeitraum. 

Datengrundlage waren die Informationen über alle Geburten in Österreich während eines Zeitraums von acht Jahren, über die Aufzeichnungen in den entsprechenden Gesundheitseinrichtungen vorliegen (insgesamt 462 947 Geburten). Daraus haben die Forschenden berechnet, wie viele Kinder rein statistisch an einem bestimmten Tag geboren werden, und haben das mit den beobachteten Geburten verglichen, die bei Vollmond, Neumond oder während einer anderen Mondphase stattgefunden haben. Das Resultat: Es gibt keinerlei statistische Auffälligkeiten. Die Mondphase hat demnach keinen Einfluss auf die Anzahl der Geburten.

Warum der Mond doch eine Rolle spielt

Das war zu erwarten und wurde schon oft genug in früheren Studien bestätigt. Den Forscherinnen und Forschern ging es jedoch auch darum, eine andere Frage zu beantworten. Denn man weiß, dass Licht durchaus eine Rolle bei der Geburt spielen kann. Der Wechsel von Tag und Nacht beeinflusst unseren Hormonhaushalt, und der wiederum hat Einfluss auf die Geburt. Was Licht angeht, haben die Mondphasen durchaus eine reale Wirkung auf die Welt: Bei Vollmond kann die Nacht bis zu 250-mal heller sein als bei Neumond.

Darum haben die Forschenden die Daten nicht nur nach den Mondphasen ausgewertet, sondern auch nach Unterschieden zwischen Geburten bei Tag und bei Nacht. Betrachtet man nur die nächtlichen Geburten, zeigt sich tatsächlich eine leichte Abweichung: Bei Vollmond oder Neumond dauern die Wehen ein bisschen kürzer als bei anderen Mondphasen. Aber die Fachleute waren zurückhaltend, was die Interpretation dieser Ergebnisse angeht. Der Datensatz war zwar groß, aber trotzdem nur aus einem einzigen Land. Es braucht mehr Daten und man muss auch andere Faktoren berücksichtigen, die die Beleuchtung beeinflussen. Denn unsere Nächte werden ja schon lange nicht mehr vom Mond allein erhellt. Unsere Umgebung wird kaum noch dunkel; wir gehen nicht mehr bei Sonnenuntergang ins Bett, sondern leben und arbeiten unter künstlichem Licht. 

All diese Einflüsse zu berücksichtigen ist nicht einfach. Dafür wird man vielleicht Formeln benötigen, die nicht mehr so simpel sind. Doch es wird diese Formeln geben – und am Ende werden wir, auch dank der Mathematik, wissen, was real und was nur Aberglaube ist. Aber diejenigen, die an einen umfassenden Einfluss des Mondes auf uns Menschen glauben wollen, werden das auch weiterhin tun. Denn Irrationalität lässt sich nicht wegrechnen. 

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.