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Unwahrscheinlich Tödlich: Tod durch Kontaktlinsen-Amöbe

Amöben der Gattung Acanthamoeba können Menschen erblinden lassen, wenn sie sich auf Kontaktlinsen ansiedeln. Gelangen sie ins Gehirn, richten sie dort noch mehr Schaden an.
Makroaufnahme einer Hand, die eine Kontaktlinse auf einer Fingerspitze hält.
Wer Kontaktlinsen trägt, sollte unbedingt auf die Hygiene der Sehhilfen achten.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Wie man unschwer an meinem Autorinnenfoto erkennt, bin ich leider eine ziemliche Blindschleiche. Wegen meiner starken Kurzsichtigkeit bin ich auf eine Sehhilfe angewiesen, um mehr als zehn Zentimeter über die Nase hinaus scharf zu sehen. In den vergangenen 25 Jahren habe ich gelegentlich auch Kontaktlinsen probiert. Und hätte ich gewusst, was auf ihrer Oberfläche gedeihen kann, hätte ich bei ihrer Reinigung sicher noch etwas besser aufgepasst.

Denn es ist gar nicht so leicht, die Linsen wirklich sauber zu halten. Kaum jemand schafft das: Eine US-Umfrage unter 1000 Kontaktlinsenträgern hatte etwa ergeben, dass sich bloß jede 100. Person an alle nötigen Vorgaben und Empfehlungen hielt. 55 Prozent tauschten die Desinfektionslösung nicht täglich aus, mehr als 60 Prozent gingen mit den Linsen in den Augen schwimmen und 35 Prozent reinigten sie am Ende des Tages mit Leitungswasser. Dieses ist zwar ohne Weiteres trinkbar, deshalb aber nicht keimfrei. Es enthält neben diversen Bakterien meistens auch Amöben der Gattung Acanthamoeba, wenngleich in recht niedriger Konzentration. Die Einzeller fühlen sich auf Kontaktlinsen pudelwohl; sie haften sich oft auf deren Oberflächen an, vermehren sich dort und können dann mit der Linse ins Auge geraten.

Das kann ins Auge gehen!

Die Folgen sollte man nicht unterschätzen. Acanthamoeba löst nämlich ernsthafte Hornhautentzündungen aus, die sich nur schwer behandeln lassen. Selbst mit intensivmedizinischer Therapie bleiben bei etwa jedem dritten Betroffenen permanente Augenschäden zurück. Einige Patienten benötigen eine Hornhauttransplantation, um die Sehkraft wiederzuerhalten und die Infektion ganz loszuwerden.

Noch gefährlicher wird es allerdings, wenn die Amöben ins Nervensystem eindringen. Das geschieht in der Regel nicht über die Augen, sondern auf anderen Wegen. Eine häufige Eintrittspforte scheint die Nase zu sein. So sorgte 2023 ein Fall für Aufsehen, bei dem Acanthamoebavia Nasendusche in das Gehirn einer Frau in New Mexico gelangte. Die Patientin hatte sowohl diese als auch ihr CPAP-Gerät – ein Hilfsmittel für Menschen mit Schlafapnoe – regelmäßig mit Leitungswasser befüllt. Wegen kognitiver Beschwerden und Schwächeanfällen kam sie Ende 2023 ins Krankenhaus. Hier verschlimmerten sich ihre Symptome, sie entwickelte Fieber und Krampfanfälle. Ein MRT-Scan zeigte, dass ihr Hirn voller Läsionen war. Die Ärztinnen und Ärzte konnten sie nicht mehr retten. Etwa drei Wochen nach ihrer Einlieferung verstarb sie.

Im Gehirn nahezu immer tödlich

Damit ging es ihr wie fast allen, die nach einem Acanthamoeba-Befall eine so genannte granulomatöse Amöbenenzephalitis entwickeln. Diese bricht vor allem bei Personen aus, die bereits an Vorerkrankungen leiden. Das traf auch auf die US-amerikanische Patientin zu. Neben Schlafapnoe hatte sie eine chronische Darmerkrankung, zudem Diabetes, und sie war alkoholabhängig. Wahrscheinlich ist sie auch nicht die Einzige, die sich über eine Nasendusche infiziert hatte: Die Fallbeschreibung nennt mindestens zehn weitere Verdachtsfälle mit wahrscheinlicher Ansteckung über diesen Weg.

Die granulomatöse Amöbenenzephalitis ist sehr selten; in den USA registriert man drei bis zwölf Patienten pro Jahr. Im deutschsprachigen Raum gibt es nur vereinzelt Infektionen. Ein Bericht von 2018 beschreibt etwa die Erkrankung eines deutschen HIV-positiven Mannes. Der damals 54-Jährige kam wegen neurologischer Beschwerden in die Klinik. Dass ein Amöbenbefall hinter den Symptomen steckte, wiesen die Ärztinnen und Ärzte erst kurz vor seinem Tod nach. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon Krampfanfälle und Hirnblutungen entwickelt, die eine Genesung sehr unwahrscheinlich machten. Wie er sich angesteckt hatte, ist unklar.

Ganz sicher sind aber auch zuvor kerngesunde Menschen nicht vor Acanthamoeba, wie ein 2024 veröffentlichter Bericht aus Indien zeigt. Eine 19-jährige Frau aus Westbengalen hatte sich einen Lungeninfekt eingefangen, als sie beim Schwimmen in einem Teich beinahe ertrank. In einem lokalen Spital wurde sie deshalb intubiert und mechanisch beatmet. Sie entwickelte Empfindungsstörungen und Krampfanfälle. Als sie in ein größeres Krankenhaus überstellt wurde, lag sie bereits im Koma. Weil sich eine Blutvergiftung andeutete, bekam sie eine Antibiotikatherapie. Ihr Zustand besserte sich jedoch nicht. Im Gegenteil, sie erlitt einen Herzstillstand und wurde wiederbelebt. In Hirnscans fand das Ärzteteam Anzeichen krankhafter Veränderungen. Sie deuteten auf eine Hirnentzündung hin. Die Liquorprobe lieferte den entscheidenden Hinweis, denn in der Hirnflüssigkeit tummelten sich winzige amöbenartige Mikroben. Die Mediziner und Medizinerinnen stellten die Therapie der Patientin um, kamen damit jedoch leider zu spät. Die junge Frau verstarb wenige Tage später, nach einem zweiten Herzstillstand.

Acanthamoeba ist nicht die einzige gefährliche Amöbe

Neben Acanthamoeba gibt es übrigens noch eine weitere Amöbenart, die Menschen gern über die Nase attackiert: Naegleria fowleri, auch bekannt unter dem unheilvollen Spitznamen »die hirnfressende Amöbe«. Dass sie in Wahrheit kein Hirngewebe frisst, macht sie leider nicht weniger gefährlich. Denn wie Acanthamoeba verursacht sie schwer wiegende Schäden und Entzündungen im Organ, die für den Betroffenen zumeist fatal enden. N. fowleri befällt dabei nicht vorrangig Personen mit Vorerkrankungen, sondern vor allem Kinder und Jugendliche.

Verschiedene Amöbenarten unterscheiden sich stark hinsichtlich ihres Lebensraums – und damit des Orts, wo sich die meisten Leute anstecken. Während N. fowleri warme Gewässer wie Pools, Badeseen und heiße Quellen bevorzugt, lebt Acanthamoeba besonders gern in Biofilmen (das sind die schleimigen Mikrobenkolonien, denen man in Abflüssen geradezu beim Wachsen zusehen kann). Letztere findet man auch an der Innenwand von Wasserversorgungssystemen, was die Amöbe dann mit dem Leitungswasser in unsere Bäder spült.

Kann man etwas tun, um sein Ansteckungsrisiko zu reduzieren? Aufpassen, was man sich durch die Nase zieht, scheint eine gute Idee zu sein. Nasenduschen sollte man stets mit destilliertem Wasser befüllen. Gleiches gilt für andere Geräte, die einem Dampf oder Wasser in die Atemwege pusten. Zudem schadet es nicht, beim Schwimmen darauf zu achten, so wenig Flüssigkeit wie möglich in die Nase zu bekommen. Und natürlich ist es ratsam, Gewässer zu meiden, in denen kurz zuvor Amöbeninfekte aufgetreten sind. In Deutschland, der Schweiz und Österreich gab es noch keine Fälle von Naegleria-fowleri-Infektionen – sie traten in der Vergangenheit vor allem in amerikanischen Seen und Bädern auf. Acanthamoeba ist hingegen auch in Zentraleuropa heimisch.

  • Steckbrief: Acanthamoeba

    Acanthamoeba im Hirn | Im Hirngewebeschnitt ist eine Zyste von Acanthamoeba deutlich als runde, dunkle Zelle mit klarer Begrenzung zu den umgebenden Zellen sichtbar.

    Organismus: verschiedene Amöbenarten der Gattung Acanthamoeba

    Vorkommen: je nach Art unterschiedlich; man findet sie in Erde, Schlamm und Gewässern, aber insbesondere in Biofilmen

    Krankheitspotenzial: im Auge (vor allem von Kontaktlinsenträgern) Auslöser von schweren Hornhautentzündungen; bei Eintritt über die Nase können sie ins Gehirn gelangen und dort schwere Entzündungen mit Todesfolge auslösen

    Häufigkeit: Hirninfekte sind sehr selten; in den USA etwa drei bis zwölf Erkrankungen pro Jahr, in Deutschland nur wenige gesicherte Fälle

    Besonderheiten: Die Amöben lassen sich häufig in unserer unmittelbaren Umgebung nachweisen, und mit zunehmendem Alter entwickeln viele Menschen Antikörper gegen sie, ohne je Symptome zu zeigen; wahrscheinlich gibt es also sehr häufig stille Infekte

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