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Freistetters Formelwelt: Alles, nur kein Einheitsbrei!

Physikalische Einheiten sollten einheitlich sein. Das steckt ja schon im Wort selbst. Aber der Mangel an Verbindlichkeiten führt zu Verwirrung - und ganz konkreten Problemen.
Elektromechanisches Zählwerk

Zahlen sind Zahlen, zumindest dann, wenn sie in rein mathematischen Formeln auftauchen. Wenn die Gleichungen aber in einem naturwissenschaftlichen Zusammenhang Verwendung finden, dann haben sie auch eine über ihren numerischen Wert hinausgehende Bedeutung. Sie beschreiben physikalische Größen, und diesen Größen muss immer auch eine Einheit zugeordnet sein. Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob die Zahl "5" für 5 Kilogramm, 5 Meter oder 5 Sekunden steht. Und der korrekte Umgang mit den Einheiten ist mindestens ebenso wichtig wie die korrekte mathematische Berechnung.

Einheiten sollten eigentlich einheitlich sein; das steckt schon im Wort selbst. Aber ganz so einfach ist die Sache leider nicht. Ich ärgere mich zum Beispiel jedes Mal aufs Neue, wenn ich in Pressemitteilungen der amerikanischen Raumfahrtagentur NASA von "Meilen" lese. Diese Einheit für die Länge hat zwar eine lange Tradition, ist aber trotzdem kein Bestandteil des Internationalen Einheitensystems beziehungsweise des Système international d'unités (SI). Wie das aussieht, zeigt diese Formel:

[Q] = 10n · mα · kgβ · sγ · Aδ · Kε · molζ · cdη

"Q" steht dabei symbolisch für eine Einheit des Systems. Und egal um welche Einheit es sich handelt: Sie lässt sich immer aus den sieben Basisgrößen des SI zusammensetzen. Für Länge, Masse und Zeit sind das die auch aus unserem Alltag vertrauten Einheiten von Meter (m), Kilogramm (kg) und Sekunde (s). Man benötigt aber auch noch Ampere (A) für die Stromstärke, Kelvin (K) für die Temperatur, Mol (mol) für die Stoffmenge (also die Teilchenzahl einer gewissen Menge eines Stoffs) und Candela (cd) für die Lichtstärke. Die griechischen Buchstaben in der Formel sind die so genannten Dimensionsexponenten, der Faktor 10n am Anfang das "SI-Präfix".

Bei einer Länge ist beispielsweise der Dimensionsexponent α gleich 1; alle anderen Exponenten sind gleich 0. Beschreibt man einen Meter, also die Grundeinheit der Länge, dann ist außerdem auch noch n gleich 0; will man Kilometer beschreiben, dann wäre n gleich 3, da ein Kilometer aus 1000 (103) Metern besteht. Es gibt aber auch Einheiten, die aus verschiedenen Basiseinheiten zusammengesetzt sind. Eine physikalische Kraft ist zum Beispiel das Produkt aus Masse und Beschleunigung; die entsprechende Einheit wird also in Kilogramm mal Meter pro Sekunde zum Quadrat beschrieben beziehungsweise als kg1 · m1 · s-2. Die Einheit "Volt" der elektrischen Spannung wird im SI-System aus vier Basiseinheiten zusammengesetzt: m2 · kg1 · s-3 · A-1. Setzt man die Einheiten für Kraft pro Fläche zusammen, erhält man m-1 · kg1 · s-2, was genau der Definition der Einheit "Pascal" entspricht – und so weiter.

Die Naturwissenschaft ist in den letzten Jahrzehnten immer internationaler geworden, und es ist daher umso wichtiger, dass sich alle Forscherinnern und Forscher auf der ganzen Welt auf gemeinsame Einheiten einigen. Tut man das nicht, kann das dramatische Folgen haben. Als beispielsweise die NASA im Jahr 1998 den "Mars Climate Orbiter" auf seine einjährige Reise zu unserem Nachbarplaneten schickte, kam die Raumsonde nie an: Die NASA hatte im Internationalen Einheitensystem gerechnet; der für die Navigationssoftware zuständige Zulieferer Lockheed Martin dagegen mit dem angloamerikanischen Maßsystem.

Und genau darum ärgert es mich immer wieder, wenn ich in offiziellen Mitteilungen der NASA auch heute noch von "Meilen", "Grad Fahrenheit" und ähnlichen Einheiten lesen muss, die nicht Teil des SI sind. In der Wissenschaft ist das Internationale Einheitensystem nicht umsonst der fundamentale Standard. Wenn amerikanische Wissenschaftler sich an die amerikanische Öffentlichkeit wenden, ist die Verwendung der amerikanischen Nicht-SI-Einheiten ja noch verständlich. Aber die NASA ist eine wissenschaftliche Einrichtung und eingebettet in unzählige internationale Kooperationen und richtet sich an ein interessiertes öffentliches Publikum, das ebenfalls international ist. Entsprechend international sollte auch der Umgang mit den Einheiten sein.

Man muss nicht immer alles vereinheitlichen; regionale Unterschiede und Traditionen haben durchaus ihren Wert. Aber in der Wissenschaft sollte es weniger um Traditionen gehen als um den Versuch, unsere Welt möglichst gut zu verstehen. Und da es nur eine Welt gibt, sollten wir uns dabei auch auf ein einziges und einheitliches System von Einheiten einigen!

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