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Sex matters: Der unsichtbare Dritte im Bett

Wie kann man den Alltagsstress hinter sich lassen und körperlich wieder zueinanderfinden? Der Paar- und Sexualtherapeut Carsten Müller rät zu kurzen »Körper-Dates« anstelle von langen Wochenenden. Eine Kolumne.
Zwei Personen liegen auf einem Bett, von Sonnenlicht durch Jalousien gestreift. Die Schattenmuster erzeugen ein gestreiftes Muster auf den Bettlaken und den Personen. Eine Person liegt auf der linken Seite, die andere auf der rechten, beide in entspannter Haltung. Die Szene vermittelt eine ruhige, intime Atmosphäre.
Wenn der Stress mit ins Bett geht, ist für Nähe kein Platz mehr.

»Meine Frau und ich haben ziemlich viel um die Ohren, wir arbeiten beide Vollzeit und haben drei Kinder. Die Großeltern helfen oft, und eigentlich funktioniert unser Alltag. Aber wir merken, dass uns die Lust auf Sex irgendwie abhandengekommen ist. Wir lieben uns wirklich, aber es fehlt etwas. Wir kriegen es einfach nicht hin, Zeit füreinander zu finden. Was können wir tun?« (Tarek, 38, mit seiner Frau Lara, 36)*

Tarek beschreibt etwas, das viele Paare kennen: Stress ist der unsichtbare Dritte in vielen Schlafzimmern. Kein Seitensprung, keine große Kränkung, kein Drama. Nur ein monotones Brummen, das Lust und Nähe langsam zersetzt. Leise, effizient – und oft ohne Widerstand. Oh weh.

Als Tarek und Julia zu mir kommen, sehe ich ein erfolgreiches Paar, sportlich, cooler Look. Perfekt, eigentlich. Aber auch sichtbar: ihre Augenringe unter dem Concealer und sein müder Blick. Die beiden sind erschöpft. »Einfach platt«, sagt Lara. Sie lieben sich, sie finden einander attraktiv. Und dennoch gibt es keine Berührungen, keine Zärtlichkeit, keinen Sex.

Der Zusammenhang ist wissenschaftlich belegt, unter anderem in einer aktuellen Studie aus Deutschland und Österreich, in der 59 Personen zwei Wochen lang über ihr Lust- und Stresserleben Auskunft gaben: je höher der subjektiv empfundene Stress, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, sexuelles Verlangen oder Erregung zu empfinden. Lustmangel hat nichts damit zu tun, wie attraktiv man jemanden findet – sondern schlichtweg mit Stress.

Die drei Lustkiller

Ich frage Tarek und Lara nach ihrem Alltag, und der hat es in sich: drei Elternabende im Monat, Elektriker-Rechnungen auf dem Küchentisch und ständig Mails auf dem Handy. Die Kinder müssen zum Fußballtraining gefahren werden. Tarek geht ins Fitnessstudio, weil er den Ausgleich braucht. Und Lara geht jeden Mittwoch zum Achtsamkeits-Yoga. Alles ist durchgetaktet und funktional. Am Abend sind beide müde, der Kopf ist voll – und an Sex ist nicht zu denken.

In meiner Praxis höre ich immer wieder die gleichen Gründe. Erstens: Erschöpfung. Die Menschen sind einfach platt. Sie haben Kopfschmerzen oder wollen nur noch ins Bett und möglichst sofort einschlafen. Zweitens: das Gedankenkarussell. »Ich muss noch einkaufen, die Präsentation fertigmachen, die Sportsachen für morgen rauslegen.« Mental Load, der nie aufhört. Drittens: Druck. »Wir müssten doch mal wieder Sex haben.« Allein dieser Gedanke tötet jede Stimmung. 

Die drei Faktoren sorgen dafür, dass Sexualität einfach aus dem Alltag verschwindet. Ständig schaltet unser Kopf zurück in den Stressmodus. Wir sind abgelenkt, fühlen uns angespannt oder unter Druck.

Unser Alltag ist zu voll. Das frisst die Nähe auf

Um zu verstehen, warum sich Stress und Sexualität gegenseitig ausschließen, mache ich mit Paaren eine kleine Übung. Ich bitte sie, den ganzen Körper anzuspannen. Jeden einzelnen Muskel. Dann sage ich: »Versuchen Sie jetzt, an etwas Schönes zu denken. Etwas Lustvolles.« Das hat noch niemand geschafft. Die meisten Menschen müssen stattdessen lachen, weil sie sofort merken, dass das nicht geht. Weil wir unter Spannung von »Leben« auf »Überleben« umschalten.

Biologisch gesehen ist Stress nämlich ein Überlebensmodus: »fight or flight«, kämpfen oder fliehen. In diesem Zustand vermeidet der Körper jede Form von Verletzlichkeit. Und Sexualität bedeutet genau das: Nacktheit, Gefühle zeigen, sich fallen lassen.

Okay, denken Sie, dann muss man den Stress reduzieren. Aber genau das ist für die meisten Menschen unrealistisch. Beispiel Tarek und Lara: Rechnungen müssen bezahlt werden. Ein neuer Kredit ist fällig. Arbeit reduzieren? Geht nicht. Kinder, Sport? Das muss auch sein.

Kurze Körper-Dates

Also gibt es gar nichts, was sich verändern lässt? An diesem Punkt der Beratung schauen mich Paare oft mit großen Augen an. Weil sie auf einmal das Gefühl haben: Da kann man ja gar nichts machen! Doch, kann man. Das Allerwichtigste ist, auszusprechen, was ist. Ja, unser Alltag ist zu voll. Das frisst die Nähe auf. Wenn diese Erkenntnis da ist, können Paare gemeinsam überlegen, was zu tun ist. Sie tragen gemeinsam die Verantwortung, etwas zu verändern, denn ganz ohne Veränderung funktioniert es nicht.

Viele Paare denken dann: »Aha, wir müssen wieder mehr Date-Nights einplanen.« Einen Abend oder sogar ein ganzes Wochenende zu zweit verbringen. Doch das ist in der Regel unrealistisch. Ich schlage deshalb etwas anderes vor: Mikro-Sex statt Hollywood-Sex. Denn wer auf den perfekten freien Abend wartet, hat schon verloren. Wer es dagegen schafft, sich im Alltag Mikro-Sex zu organisieren, gewinnt.

Ich hatte einmal ein Paar, das auf einer riesigen Couchlandschaft immer weit auseinandersaß. Ich bat sie, die Couchteile so zu verschieben, dass sie zusammen auf einer Seite liegen mussten, wenn sie gemeinsam fernsehen wollten. Das hat viel verändert. Die beiden kamen sich wieder näher – im wahrsten Sinne des Wortes.

Mit Lara und Tarek habe ich besprochen, dass sie kleine Körper-Dates im Alltag einbauen. Als Erstes eine Umarmung am Morgen. Mindestens 20 Sekunden. Das bringt richtig viel: Während der Kopf bereits mit dem Tag beschäftigt ist, erinnert sich der Körper daran, wie sich Nähe anfühlt. Ein anderes Beispiel: Sonntags dürfen die Kinder morgens Fernsehen gucken. In dieser Zeit gehen die Eltern duschen. Gemeinsam oder nacheinander, während der eine Partner von der Woche erzählt und der andere zuhört. Ohne Verpflichtung zu mehr.

Denn Körper-Dates müssen nicht zu Sex führen. Es geht nicht um Orgasmen, nicht um Häufigkeit, nicht um Leistung. Es geht um Nähe, um diese kurzen Momente, in denen der Körper spürt: Da ist jemand, der mich berührt, der mir nah ist. Diese Art von Mikro-Sex tut gerade in stressigen Zeiten gut und hilft dem Körper umzuschalten – von Überleben auf Leben.

* Namen geändert

Jetzt sind Sie dran!

Halten Sie kurz inne und prüfen Sie gemeinsam mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin: Wie hoch ist unser Stresslevel gerade? Was genau stresst uns? Was können wir daran ändern? 20 Minuten genügen. Das ist kein Date, sondern eine organisatorische Standortbestimmung. Und falls Sie nicht in einer Partnerschaft leben: Tun Sie es für sich.

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  • Quellen
Mües, H.M. et al., Annals of Behavioral Medicine 10.1093/abm/kaaf007, 2025

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