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Kampf um Amerikas Geschichte: Make American History Great Again!

Die amerikanische Geschichtsforschung hat sich seit den 1960ern in Teilen zu einseitig auf Themen wie Rassismus und Diskriminierung verlegt. Doch wenn die neue US-Regierung nun vorschreiben will, was als die historische Wahrheit zu gelten hat, ist die Rede- und Wissenschaftsfreiheit in Gefahr.
Eine massive Reiterstatue schwebt, von starken Gurten gehalten, durch die Luft. Sie ist von grünen Bäumen umgeben.
Am 10. Juli 2021 wurde in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia die Statue des konföderierten Generals Robert E. Lee aus dem Market Street Park entfernt. Ein Dekret von Präsident Trump könnte nun dazu führen, dass unter anderem dieses umstrittene Denkmal an seinen Platz zurückkehrt.

Seit Donald Trumps Amtsantritt im Januar sieht sich die amerikanische Wissenschaft massiven Eingriffen in die Freiheit der Forschung ausgesetzt. Besonders stark ist der Druck auf die Klimaforschung und die Gender Studies, aber auch Felder wie die Virologie und Immunologie sind ins Visier der Administration geraten, seit der Impfgegner Robert F. Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister ernannt wurde.

Betroffen sind nicht nur die direkt vom Bund finanzierten Forschungseinrichtungen wie die National Institutes of Health, sondern auch die öffentlichen und privaten Universitäten , denen Trump mit der Streichung von Bundesmitteln droht, unter anderem um sie zur Einstellung ihrer Förderprogramme für Minderheiten zu zwingen. Die Columbia University hat unlängst eingewilligt, die von der Bundesregierung geforderten Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus auf ihrem Campus zu erfüllen. Die New Yorker Elite-Universität war während der Proteste gegen den Gazakrieg in die Kritik geraten, weil sie angeblich ihre jüdischen Studierenden nicht vor radikalen Palästinensern geschützt hatte.

Nun nimmt Trump die öffentliche Erinnerungskultur ins Visier. Am 27. März 2025 unterzeichnete der Präsident einen Erlass zur »Wiederherstellung von Wahrheit und Vernunft in der amerikanischen Geschichte«, mit dem er dem »linken Geschichtsrevisionismus« Einhalt gebieten will. Die Revisionisten, so heißt es in der Executive Order, hätten Amerikas »beispielloses Erbe im Kampf für die Freiheit, die Rechte des Einzelnen und das menschliche Glück« zu einer Geschichte rassistischer und sexistischer Unterdrückung verfälscht.

Unmittelbar betroffen von dem Dekret ist die 1846 zum Zwecke der »Vermehrung und Verbreitung des Wissens« gegründete Smithsonian Institution, die wichtigste Kultureinrichtung der USA, die sich sowohl durch Bundeszuschüsse als auch private Spenden finanziert und zahlreiche Museen und Forschungseinrichtungen betreibt, die meisten davon auf der National Mall in der Bundeshauptstadt Washington. Zur Smithsonian Institution gehören etwa das National Air and Space Museum, das National Museum of American History und das 2016 eröffnete National Museum of African American History and Culture. Geplant sind zwei weitere Museen zur Geschichte der amerikanischen Frauen und der Lateinamerikaner.

Laut Trumps Erlass ist die Smithsonian Institution jedoch unter den Einfluss einer »spalterischen, auf Rasse fixierten Ideologie« geraten. Als Beispiel ist in seiner Anordnung eine Tafel im Museum für Amerikanische Kunst zitiert, auf der zu lesen ist, dass »Gesellschaften, darunter die Vereinigten Staaten, auf der Grundlage von Rasse Machtsysteme, Privilegien und Entrechtung etabliert haben« – eine Aussage, deren faktische Richtigkeit allerdings wohl kein Historiker bestreiten würde, während die Trump-Administration offenbar die Geschichte rassistischer Ausgrenzung und Unterdrückung totschweigen möchte.

Um weiterer »Indoktrination« der Besucher einen Riegel vorzuschieben, hat Trump nun seinen Vizepräsidenten J. D. Vance mit einer Überprüfung der Smithsonian Institution und einer Neubesetzung des Aufsichtsrats beauftragt. Darüber hinaus sollen Denkmäler, die in den vergangenen Jahren aus ideologischen Gründen entfernt worden seien, wieder an ihre Standorte zurückgebracht werden. Gemeint sind damit die Statuen konföderierter Kriegshelden, die bei den Black-Lives-Matter-Protesten 2020 beschädigt oder auf Grund behördlicher Anordnungen entfernt wurden. Schließlich bestimmt die Verfügung, dass künftig alle Erläuterungstexte an historischen Monumenten »die großartigen Leistungen und den Fortschritt des amerikanischen Volkes« sowie die »Schönheit des Landes« herauszustellen haben.

Trumps Dekret kommt nicht überraschend, denn schon lange ist der nationalistischen Rechten die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Erbe von Sklaverei und Rassismus ein Ärgernis. Trumps Wahlsieg bietet nun die Chance, auch die amerikanische Geschichte wieder großartig zu machen. Auch wenn sich die präsidiale Anordnung zunächst nur auf die unmittelbar vom Bund finanzierten Einrichtungen beziehen, sind die Konsequenzen für die akademische Geschichtswissenschaft absehbar. Universitäten, die an ihren History Departments den von Trump inkriminierten Geschichtsrevisionismus dulden, könnten Bundeszuschüsse verlieren. Der prominente Yale-Historiker David W. Blight spricht von einer »politischen Kriegserklärung an die Historikerzunft«, kritische Historiker sollen ihm zufolge zum Schweigen gebracht werden.

Die Geburt der »New American History«

Amerikas Geschichtskriege wurzeln in der Kulturrevolution der 1960er Jahre, als eine junge Generation von Historikerinnen und Historikern, die sich dezidiert als Teil der Emanzipationsbewegungen der Zeit verstanden, das historische Selbstbild der amerikanischen Gesellschaft radikal in Frage zu stellen begannen. Die »New American History« erschütterte populäre Mythen von der Geschichte Amerikas als Triumphzug von Freiheit, Fortschritt und Demokratie, bei dem Sklaverei und Rassismus nur bedauerliche Abweichungen waren. Doch bis heute trennt die akademische Geschichtswissenschaft ein tiefer Graben vom Geschichtsbild konservativer Amerikaner, die den »Geschichtsrevisionismus« der Historiker schlichtweg für unpatriotisch halten. Darüber, wie die Geschichte der USA öffentlich erzählt und vermittelt werden soll, entbrannten schon bald heftige Kulturkämpfe.

Das wohl augenfälligste Beispiel für diesen Konflikt ist die Erinnerung, die in den Südstaaten an den Bürgerkrieg gepflegt wird. Der Süden ist mit Statuen konföderierter Kriegshelden übersät, Teile der weißen Bevölkerung klammern sich unbeirrbar an den Mythos vom »Lost Cause«: In ihrer Sicht kämpften ihre Vorfahren nicht für die Erhaltung der Sklaverei, wie es die akademischen Historiker behaupten, sondern für die von der Tyrannei der Bundesregierung bedrohte Freiheit des Südens. Die allgegenwärtige konföderierte Kriegsflagge – die »Stars and Bars« – symbolisiert nach dieser Deutung »heritage, not hate«, ein stolzes Erbe, aber keinen Rassenhass.

Afroamerikaner sehen dies verständlicherweise völlig anders, für sie repräsentieren die Rebellenflagge und Denkmäler für Generäle wie Robert E. Lee oder Thomas »Stonewall« Jackson Unterdrückung und weiße Vorherrschaft. Daran, dass die Konföderiertenflagge diese Botschaft auch aussendet, gibt es keinen vernünftigen Zweifel. So hatte sich der junge weiße Mann, der 2015 in Columbia, South Carolina, neun Menschen in einer afroamerikanischen Kirche ermordete, zuvor mit konföderierten Insignien gefilmt.

Nach den Morden beschloss die Legislative von South Carolina, die Flagge vom Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Columbia einzuholen. In New Orleans ordnete der weiße Bürgermeister 2017 die Entfernung konföderierter Statuen von öffentlichen Plätzen an und hielt eine mutige Rede, in der er erklärte, die Monumente seien Zeugnisse eines historischen Selbstbetrugs, denn die Konföderation habe auf der falschen Seite der Geschichte gestanden. Erwartungsgemäß riefen die Denkmalstürze wütende Proteste und Drohungen von Seiten südstaatlicher Identitätshüter hervor, während antirassistische Aktivisten dazu übergingen, den Abbruch konföderierter Standbilder in die eigenen Hände zu nehmen.

Linke Revisionisten, so die Kritiker, wollten Amerikas Kinder zum Hass auf ihr eigenes Land erziehen

Außerhalb des Südens wurde der Kult des »Lost Cause« lange als Preis für die nationale Aussöhnung hingenommen. Doch auch der Rest der USA musste sich der Frage stellen, wie das amerikanische Geschichtsbild modernisiert werden sollte. Ende der 1980er Jahre beauftragte die unabhängige Bundesbehörde National Endowment for the Humanities (NEH) eine Expertenkommission mit der Erarbeitung nationaler Standards für den Geschichtsunterricht an öffentlichen Schulen. Die Kommission einigte sich nach langen Beratungen darauf, dass die Standards die »Vielfalt der Nation, insbesondere im Hinblick auf Rasse, Ethnizität, sozialen Status, Geschlecht und religiöse Zugehörigkeit« reflektieren und dabei zugleich »die gemeinsame staatsbürgerliche Identität und die geteilten Werte« betonen sollten.

Obschon es sich lediglich um Empfehlungen handelte, löste der 1994 veröffentlichte Bericht bei konservativen Kommentatoren einen Sturm der Entrüstung aus. Die Republikanerin Lynne Cheney, die als NEH-Direktorin die Standards selbst in Auftrag gegeben hatte, attackierte den Report als düsteres Zerrbild der amerikanischen Geschichte. Linke Revisionisten, so die Kritiker, wollten Amerikas Kinder zum Hass auf ihr eigenes Land erziehen. Bald kursierten Behauptungen, George Washington und andere Heroen der US-Geschichte kämen in den Empfehlungen gar nicht mehr vor, es gehe nur noch darum, die Rolle von Minderheiten zu feiern. Der US-Senat distanzierte sich in einer einstimmigen Resolution von den Standards, und die damalige Regierung unter dem Demokraten Bill Clinton ließ das Projekt wie eine heiße Kartoffel fallen.

Nationaler Mythos oder Todesbote? | Die Boeing B-29 »Enola Gay«, die 1945 die Atombombe über Hiroschima abwarf, ist heute im Smithsonian National Air and Space Museum in Washington ausgestellt. Immer wieder entbrannte Streit darüber, wie man die Geschichte der Maschine durch passende Informationsangebote für Museumsbesucher darstellen soll.

Die Veröffentlichung der Standards für den Geschichtsunterricht fiel mit dem patriotischen Erinnerungsmarathon an diverse 50. Jahrestage des Zweiten Weltkriegs zusammen. Das Land feierte den Sieg in einem Krieg, in dem es unbestreitbar auf der richtigen Seite gestanden hatte, sowie die »Greatest Generation«, die diesen Sieg erfochten hatte. Als Teil des Gedenkens plante das National Air and Space Museum in Washington auch die »Enola Gay« erstmals öffentlich auszustellen – jenes Flugzeug, das am 6. August 1945 die Atombombe über Hiroschima abgeworfen hatte. Allerdings sollte der Bomber um weitere Ausstellungsstücke ergänzt werden, die das Leiden der japanischen Zivilbevölkerung illustrierten. Auf Texttafeln wollten die Ausstellungsmacher die unter Historikern in der Tat strittige Frage thematisieren, ob der Einsatz der Atombombe seinerzeit noch notwendig und gerechtfertigt war.

Als diese Pläne bekannt wurden, kam es zu wütenden Protesten von Veteranenverbänden, die darin eine Beleidigung der US-Soldaten sahen, die für ihr Land gekämpft und ihr Leben gelassen hatten. Die Kritiker erzürnte vor allem, dass Japaner als Opfer gezeigt werden sollten und eine Entscheidung, die mutmaßlich vielen amerikanischen GIs das Leben rettete, moralisch in Zweifel gezogen wurde. Die Museumsleitung musste nachgeben und begnügte sich damit, das Flugzeug dem Publikum mehr oder weniger kommentarlos zu präsentieren.

In den Kontroversen über die nationalen Geschichtsstandards und die Enola-Gay-Ausstellung setzten sich Traditionalisten durch, die patriotische Geschichtserzählungen als unverzichtbare Grundlagen der nationalen Identität betrachten. Nach der Wende zum 21. Jahrhundert schien es dagegen, als hätten die Befürworter eines radikalen Bruchs mit der Vergangenheit die Diskurshoheit errungen, vor allem wenn es um das Erbe des Rassismus ging. So verkündete die Princeton University im Juni 2020, dass sie mehrere Gebäude und wissenschaftliche Einrichtungen umbenennen werde, die den Namen des früheren US-Präsidenten Woodrow Wilson trugen. Die Entscheidung fiel nach einer mehrjährigen Kampagne afroamerikanischer Studenten, die sich daran störten, dass während Wilsons Präsidentschaft (1913–1921) die Rassentrennung auch in den Bundesbehörden flächendeckend eingeführt worden war.

Obwohl Wilson fraglos zu den bedeutendsten Präsidenten der US-Geschichte gehört – er führte die USA in den Ersten Weltkrieg und gilt als Architekt des Völkerbunds – und obwohl er als Präsident der Princeton University den Grundstein für deren akademischen Weltruhm legte, erklärte die Universitätsleitung, Wilson könne kein »geeigneter Namensgeber« für eine renommierte Hochschule mehr sein, die sich dem »Kampf gegen den Rassismus in all seinen Formen« verpflichtet sehe. Von schwarzen Studierenden dürfe nicht verlangt werden, sich mit »dem Namen eines rassistischen Präsidenten« zu identifizieren.

Den Einwand, Wilson habe lediglich den Mainstream-Rassismus des frühen 20. Jahrhunderts verkörpert und seine historische Rolle dürfe nicht auf diesen Aspekt reduziert werden, wollten die Aktivisten nicht gelten lassen. Solange Wilson in Princeton geehrt werde, könnten sich schwarze Studenten dort nicht willkommen fühlen. Im Übrigen ließen sie wissen, die Umbenennungen seien nur ein Anfang. In der Tat: Wenn Woodrow Wilson der Damnatio memoriae verfallen muss, wie können dann die Gründerväter George Washington, Thomas Jefferson oder James Madison, die allesamt Sklavenhalter waren, noch als »geeignete Namensgeber« gelten?

In Amerikas »history wars« geht es längst um polarisierte und unvereinbare Geschichtsbilder

In Amerikas »history wars« geht es längst nicht mehr um inklusive Erzählungen, in denen möglichst alle Menschen und Gruppen vorkommen sollen, sondern um polarisierte und unvereinbare Geschichtsbilder, für die symbolisch die Jahreszahlen 1619 und 1776 stehen: das Jahr der Ankunft der ersten afrikanischen Sklaven in Britisch-Nordamerika und das Jahr der Unabhängigkeitserklärung.

Das 2019 vom »New York Times Magazine« initiierte »1619 Project« bekennt sich ausdrücklich zu der Prämisse, »dass aus der Sklaverei – und dem Rassismus, den sie hervorbrachte – beinahe all das hervorgegangen ist, was Amerika wirklich einzigartig macht«. Als Reaktion versuchte die erste Trump-Administration unter dem Banner des Unabhängigkeitsjahres 1776 die alten patriotischen Geschichtsmythen wiederzubeleben. Bundesstaaten wie Texas erließen Gesetze, die Lehrern vorschreiben, im Geschichtsunterricht Sklaverei und Rassismus ausschließlich als »Abweichungen von und Verrat an den authentischen Gründungsprinzipien der Vereinigten Staaten, nämlich Freiheit und Gleichheit« zu behandeln. Zwischen der Sicht auf die Geschichte Amerikas als fortgesetztem moralischem Skandal auf der einen Seite und als göttlich inspiriertem Triumphzug der Freiheit auf der anderen gibt es keinen Kompromiss.

Die historische Wahrheit obliegt nicht der Regierung

Man kann die Fixierung von Teilen der akademischen Geschichtswissenschaft auf die Themen Rassismus, Diskriminierung und Unterdrückung mit guten Gründen als einseitig kritisieren. Ebenso wenig ist zu leugnen, dass es an US-Universitäten Tendenzen gibt, im Namen des Minderheitenschutzes die freie Rede einzuschränken. Aber der jetzige Versuch der Trump-Administration, der Öffentlichkeit und der Geschichtswissenschaft per Dekret das eigene nationalistische Geschichtsbild aufzuzwingen, hat eine andere Qualität.

Wenn Regierungen vorschreiben wollen, was historische Wahrheit ist und welche Fakten als »objektiv« zu gelten haben, sind die Rede- und die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Niemand wird ernsthaft glauben, dass es Donald Trump, dessen Verhältnis zur Wahrheit notorisch problematisch ist, lediglich um eine ausgewogenere Erinnerungskultur geht. »Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft, und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit«, heißt es bei George Orwell. Wie sich die US-Geschichtswissenschaft gegen staatlich verordnete historische Wahrheit zur Wehr setzen wird, bleibt nun abzuwarten.

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