Angemerkt: Aus der Fisch
Ob eine Tier- oder Pflanzenart geschützt werden soll, entscheidet nicht ihre Seltenheit, sondern mittlerweile meist ihr Handelswert. Delikate Fische haben deshalb schlechte Karten.
Bis zu 100 000 Dollar legen japanische Händler auf den Tisch, wenn sie ein besonders schönes Exemplar des Roten Tunfischs auf Tokios Fischmarkt erwerben wollen, Preise um die 20 000 Dollar sind Alltag. Den Fischfängern winken also lukrative Erträge, und so verwundert es wenig, wenn sie rigoros Jagd auf den Hochseefisch machen, der auch im Mittelmeer vorkommt. Durch den schwunghaften Handel sind die Bestände allerdings mittlerweile drastisch geschrumpft: im Mittelmeer und dem östlichen Atlantik um 85 Prozent im letzten halben Jahrhundert. Die Fischer holen deshalb immer kleinere Exemplare aus dem Meer, zum Teil fangen sie verstärkt Jungfische, um diese dann in Aquafarmen für den Verkauf aufzupäppeln – ohne dass die Tiere sich jemals fortpflanzen konnten.
Auf Dauer zerstören die Jäger des Roten Tuns damit nicht nur die Art, sondern auch ihre eigene Lebensgrundlage – und das in vollem Bewusstsein. Denn auf der 15. Tagung des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES in Katar fiel jeder Antrag durch, der den Handel mit der begehrten Grundlage von Sushi und Sashimi beschränken oder völlig verbieten wollte: So lehnte eine von Japan angeführte Mehrheit einen Antrag Monacos ab, der die Befischung mit sofortiger Wirkung verbieten sollte. Nicht einmal der wachsweiche Vorschlag der Europäischen Union, zukünftig ein Embargo zu verhängen, wenn die Fischereiindustrie die Überfischung nicht selbst einschränkt, fand Gnade.
"Diese Entscheidung ist ein Kniefall vor Wirtschaftsinteressen", kommentierte Karoline Schacht, Fischereiexpertin des WWF, kurz und knapp. Und diese Kniefälle fanden während der letzten Tage nur zu häufig statt, denn verhandelt wird weniger über den Schutz von Arten, sondern mehr über wirtschaftliche Interessen und wer diese wie stark vertritt. Neben dem Roten Tun müssen beispielsweise auch verschiedene hochgradig bedrohte Haiarten wie Hammer- und Weißspitzen-Riffhai weiter um ihr Überleben bangen: Hunderttausende werden jährlich abgeschlachtet, weil ihre Flossen eine in Ostasien begehrte Ingredienz für Suppen sind.
In vielen Meeren sind die wichtigen Räuber an der Spitze der Nahrungskette mittlerweile zu 90 Prozent ausgelöscht, selbst in Meeresschutzgebieten wird gewildert, was das Zeug hält. Die Jäger gehen dabei so brutal wie verschwenderisch vor: Meist werden den Tieren bei lebendigem Leib die Flossen abgeschnitten und die Fische dann wieder ins Meer geworfen, wo sie elendig umkommen. Auch dieses Milliardengeschäft geht vorerst weiter, ohne dass die ökologischen Folgen für die Ozeane Beachtung finden. Treibende Kraft hinter der Ablehnung war in diesem Fall China: der größte Markt für die Flossen. Und ebenfalls nicht eingeschränkt wird der Handel mit Roten Korallen, deren Vorkommen vielerorts völlig abgetragen und zu Schmuck verarbeitet worden sind. Diese Ablehnung wurde wie beim Tun ein weiteres Mal von Japan organisiert.
Die Rolle der Europäer
Die Europäer brauchen dennoch nicht mit dem Finger nach Fernost zu zeigen: Viele Probleme könnten sie schon innerhalb der Europäischen Union angehen. Warum erlässt die EU kein Fangverbot für den Roten Tun in ihren Gewässern und für ihre Flotten? Oder unterbindet den Handel auf dem Staatsgebiet der Mitgliedsländer? Dadurch ließe sich vielleicht nicht verhindern, dass Spanier, Franzosen oder Italiener illegal gefangenen Tunfisch in Beirut oder auf hoher See an japanische Händler losschlagen. Das Geschäft wäre aber zumindest erschwert. Die gleichen Maßnahmen könnte die EU für den Schutz von Haien und Korallen erlassen.
Europas Fischereipolitik richtet sich jedoch schon seit Jahrzehnten einseitig an den Interessen der Fischer und ihrer Lobby aus – wider jegliche wissenschaftliche Vernunft: Weder bei den Haien, die in Deutschland als "Schillerlocke" oder "Kalbsfisch" vermarktet werden, noch bei Tunfisch und erst recht nicht bei Kabeljau hält man sich an die Vorschläge der Meeresforscher, die eindringlich vor dem Kollaps wichtiger Fischgründe warnen. Aus Furcht vor dem Zorn der durchaus handfest argumentierenden Fischer werden stets höhere Fangmengen bewilligt, als die Bestände auf Dauer verkraften.
Und auch auf anderen Gebieten – außerhalb des Wassers – steht es um Europas Leumund nicht zum Besten: Die EU ist einer der größten Märkte für Tropenholz, darunter Millionen Festmeter, die illegal in Südostasien oder Afrika geschlagen wurden und dann als Rohmaterial oder in Form von Möbeln importiert werden. Ein Gesetz, das diese Verstöße ahndet und den Import unter Strafe stellt, harrt seit Jahren der Verabschiedung im Europaparlament. Und Europäer fragen in riesigen Mengen Kakteen, Orchideen, Amphibien und Reptilien nach, die meist aus den Tropen eingeführt und schwungvoll auf Tierbörsen oder im Internet verkauft werden, ohne dass dem ein Riegel vorgeschoben wird. Der Handel mit Tieren, Pflanzen und daraus erzeugten Produkten setzt jedes Jahr Milliardensummen um, entsprechend stark sind die Widerstände, wenn er europaweit eingeschränkt werden soll.
Hier schließt sich der Kreis zu den CITES-Verhandlungen, denn dort lassen sich meist nur Erfolge erzielen, wenn es sich um Arten handelt, deren Handelsvolumen überschaubar ist wie beim Zagros-Molch aus dem Iran oder den Rotaugenlaubfröschen aus Zentralamerika. Oder aber die Tiere haben das Glück, dass sie eine weltweite Fangemeinde haben wie die Elefanten, so dass es die Unterhändler nicht wagen, den Handel mit Elfenbein zu lockern. Schon beim Tiger scheiden sich aber wieder die Geister: Der Westen will ihn stärker schützen, die Chinesen wollen mit Produkten aus kommerzieller Tigerzucht weiter dicke Geschäfte machen – obwohl das auch die Tür für gewildertes Material sperrangelweit aufreißt.
Es geht in Katar – und generell bei allen CITES-Konferenzen – also weniger um einen wissenschaftlich begründeten Artenschutz, denn nicht einmal Tiere und Pflanzen, die kurz vor dem endgültigen Verschwinden stehen, finden Gnade bei den Unterhändlern. Vielmehr versuchen möglichst viele Staaten einen möglichst großen Teil ihrer wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen. Auf der Naturschutzkonferenz der Vereinten Nationen 1992 hatte die Weltgemeinschaft sich fest vorgenommen, das Artensterben bis 2010 einzudämmen. Nie war sie davon wohl weiter entfernt als jetzt: Die 15. CITES-Tagung war nichts als ein weiteres Armutszeugnis.
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