Vorsicht, Denkfalle!: Per du mit der Maschine

Unser Familienauto kann einem manchmal schon leidtun. Deshalb rede ich dem in die Jahre gekommenen Gefährt jedes Mal, wenn es die steile Rampe der Tiefgarage hinaufächzt, gut zu: »Komm, du schaffst das, läuft doch super!«
Was mit dem Mitgefühl fürs Auto beginnt, hört bei der künstlichen Intelligenz noch lange nicht auf. So lässt uns offenkundig die eigene Neigung zum Anthropomorphisieren (schlaudeutsch für »Vermenschlichen«) daran glauben, eine KI verstehe, wolle oder fühle gerade etwas. Und allein diese Tatsache hat weitreichende Konsequenzen für unser Zusammenleben mit den maschinellen Helferlein.
Geistlos geistvoll
Denn Menschen erkennen nicht nur knuffige Gesichter in Wolken oder sprechen aufmunternd mit Blechkarosserien, nein, sie trauen selbst einem – mit Verlaub – geistlosen Algorithmus jede Menge Geistiges wie Absichten, Wünsche und Gefühle zu. Das ist etwa so, als würde ich an einem kalten Wintertag ins Nichts hauchen und die Dampfschwaden für mein lebendiges Gegenüber halten.
- Der fundamentale Attributionsfehler
- Die Normalitätsverzerrung
- Der Rückschaufehler
- Die Wissensillusion
- Die Verlustaversion
- Die Fokussierungsillusion
- Das Pippi-Langstrumpf-Syndrom
Zwei Psychologen der Princeton University ließen in einer als Preprint erschienenen Studie knapp 200 Menschen drei Wochen lang für zehn Minuten am Tag mit einem Chatbot interagieren. Diejenigen, die sich laut einem Fragebogen öfter einsam fühlten, sprachen dem Bot viel bereitwilliger Emotionen zu und fühlten sich von ihm verstanden und »angenommen«.
Das geht allerdings nicht bloß einsamen Herzen so. Wer von uns hätte beispielsweise nicht den Eindruck, dass ChatGPT, Gemini oder wie sie alle heißen einem etwas erklären wollen? Oder dass sie sich bemühen (bei der KI-Suche steht doch da auch »ich überlege …«?) und dass sie es folglich gut mit uns meinen – und nicht einfach nur wahrscheinlichkeitsbasiert eine Buchstabenfolge an die andere heften?
Das Problem: Wir können die Simulation von Gefühlen oder Absichten kaum von deren wirklicher Existenz unterscheiden. Und so erobert KI unseren Alltag vor allem deshalb, weil wir menschliche Fähigkeiten und Bedürfnisse auf sie projizieren. Die KI ist immer so gut, wie es unsere eigene Zuschreibung ermöglicht.
Anthropomorphisieren wider besseren Wissens
Das Erstaunliche: Wissen schützt offenbar kein bisschen vor diesem Effekt des Anthropomorphisierens. Denn rational ist natürlich auch mir klar, dass unser Auto ein Konglomerat aus Kunststoff und elektromechanischen Bauteilen ist – da kann nichts denken, fühlen oder wollen. Dennoch verhalte ich mich meinem treuen alten Freund gegenüber so, als wäre das der Fall.
So nimmt es nicht wunder, dass Menschen sich von einer KI wertgeschätzt, gut beraten, empathisch aufgefangen, ja, therapiert oder sogar geliebt fühlen. Und dass sie all die guten Gefühle erwidern. Sie sehen in der Maschine, was sie in ihr sehen wollen.
Das gilt umgekehrt übrigens auch für jene Hobby-Apokalyptiker, die meinen, die KI werde eines Tages die Weltherrschaft an sich reißen, sobald sie realisiert hat, was für erbärmliche Würstchen diese Menschen doch sind und wie viel besser sie, die KI, die Geschicke der Welt selbst lenken kann. Ohne ein großer Prophet zu sein, kann man getrost davon ausgehen: Wenn die KI jemals die Weltherrschaft übernimmt, dann nur, weil wir es ihr zutrauen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben