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Artenschutz: Warum wir Zoos brauchen

Nach der Tötung von Pavianen im Nürnberger Tiergarten fordern viele Menschen, Zoos zu schließen. Doch die Einrichtungen spielen eine wichtige Rolle für Bildung und Artenschutz, kommentiert Daniel Lingenhöhl.
Ein großer, blauer Vogel mit auffälligem Federkamm sitzt auf einem Nest aus Zweigen auf einer Plattform. Im Hintergrund sind zwei Personen zu sehen, die den Vogel fotografieren. Die Umgebung ist grün und waldartig.
Das Leipziger Gondwanaland ist ein gutes Beispiel für artgerechte Tierhaltung in einem Zoo.

Am 29. Juli 2025 hat der Nürnberger Tiergarten bewusst zwölf Guinea-Paviane getötet, um die im Zoo gehaltene Gruppe zu verkleinern. Ein Schritt, zu dem sich die Verantwortlichen genötigt sahen, um wieder einen Bestand zu erreichen, für den die Anlage ausgelegt ist – nachdem sie lange nach Alternativen gesucht und alle Argumente abgewogen hatten. Die Aktion hat zahlreiche Proteste ausgelöst, die bis hin zu Morddrohungen gegen Direktor Dag Encke eskalierten. Gleichzeitig mehren sich Stimmen, die unter anderem das (mittelfristige) Verbot von Tiergärten fordern – eine Diskussion, die immer wieder aufkommt.

Natürlich können diese Einrichtungen die Natur nur unvollständig abbilden. Und natürlich wäre es erstrebenswert, dass wir Menschen endlich ein besseres Verhältnis zur natürlichen Umwelt entwickelten und Tiere wie Pflanzen in ihren eigentlichen Lebensräumen effektiver schützten. In der Realität sieht das aber ganz anders aus. Zahlreiche Arten wären bereits ausgestorben, wenn man sie nicht in Zoos erhalten hätte: Socorro-Taube, Balistar, Zimtkopfliest, Schwarzfußiltis, Goldgelbes Löwenäffchen, Wisent, Przewalski-Pferd (zur Diskussion, ob es sich um echte Wildpferde handelt, lesen Sie hier mehr), verschiedene Partula-Schnecken, nordafrikanische Gazellen, Kalifornischer Kondor … Ohne Tiergärten hätten diese Arten nicht überlebt, weil sie überjagt wurden, eingeschleppte Arten sie dezimierten oder Umweltgifte sie zugrunde richteten. Viele dieser Tiere konnten in ihren Lebensräumen erfolgreich wiederangesiedelt werden, nachdem die Gefahren ganz oder zumindest größtenteils beseitigt worden waren.

Andere Spezies waren zumindest regional ausgestorben und ließen sich ebenfalls dank Nachzüchtung in Tiergärten erfolgreich auswildern. Dass Bartgeier heute wieder über großen Teilen der Alpen kreisen, Habichtskäuze den Bayerischen Wald besiedeln oder Waldrappe mithilfe von Menschen den Zug von Mitteleuropa nach Süden lernen, war nur dank Zoos möglich. Für viele indonesische Singvögel – begehrt für Gesangswettbewerbe –, Amphibienarten – bedroht durch einen invasiven Chytridpilz – oder Buntbarsche aus dem Victoriasee – aufgefressen durch eingeschleppte Nilbarsche – sind Zoos und Aquarien die letzte sichere Zuflucht.

Tierschützer argumentieren auf der Basis von Zahlen des Bundesumweltministeriums, dass die Zahl der aus deutschen Zoos ausgewilderten Tiere sehr überschaubar sei, während sie viel häufiger an andere Tiergärten abgegeben würden. Das stimmt, hängt aber stark mit dem Populationsmanagement durch Zoos und Tiergärten in Europa, Nordamerika oder sogar weltweit zusammen. Internationale Zuchtbücher und der Austausch einzelner Tiere sollen gewährleisten, dass ein möglichst reichhaltiger Genpool der bedrohten Arten erhalten bleibt – und damit die Chance auf künftige Wiederansiedlungen gefährdeter Spezies steigt, so sie denn nicht doch in den verbliebenen Ökosystemen überleben. 

Wiederauswilderung von Bartgeiern | In den Bayerischen Alpen sollen wieder Bartgeier heimisch werden. Die Tiere stammen aus Nachzuchten in Zoos und werden im Nationalpark Berchtesgaden ausgesetzt.

Es steht außer Frage: Zoos können wegen Platz- und Geldmangels nur einige der weltweit bedrohten Arten halten und züchten. Deshalb sind viele inzwischen dazu übergegangen, direkt vor Ort Naturschutzmaßnahmen mit Geld und Knowhow zu unterstützen. Über Einnahmen und Spenden fördern sie Schutzgebiete und Zuchtzentren etwa in den Tropen oder bilden Ökologen und Ranger aus. Eine Studie (leider schon aus dem Jahr 2011) zeigt, dass Tiergärten mittlerweile zu den größten Geldgebern für internationale Artenschutzprojekte gehören.

Unterschätzter Bildungsauftrag

Natürlich stimmt die Kritik, dass nach heutigem Stand der Dinge viele der in Zoos gehaltenen Tiere nicht ausgewildert werden könnten, selbst wenn man ihre Spezies mit Nachzuchten erhält: Eisbären, Elefanten oder Wale und Delfine sind dafür gute Beispiele. Die Freilassung des Schwertwals »Keiko«, bekannt aus dem Film »Free Willy«, war ein Millionen Dollar teurer Fehlschlag; mit dem Geld hätte man an anderer Stelle sehr viel mehr für den Schutz wilder Meeressäuger erreichen können. Tatsächlich ist die Haltung von großen Meeressäugern oder Haien aus Tier- und Artenschutzgründen mehr als fragwürdig. Doch das gilt für viele andere Tiere eben nicht.

Moderne Zoos haben nichts mehr mit den Verwahranstalten früherer Zeiten zu tun. Sie besitzen moderne, oft großräumige Gehege, in denen die Tiere einem Großteil ihrer natürlichen Verhaltensweisen nachgehen können (und manches dürfen Zoos ihnen nicht erlauben, etwa das Erlegen von Beute). Sie orientieren sich an wissenschaftlichen Standards und erlauben die Forschung an ihren Tieren. Sehr bekannt ist beispielsweise die Kooperation des Zoos in Leipzig mit dem Max-Planck-Institut für Anthropologie, die wichtige Erkenntnisse zum Verhalten und zur Wahrnehmungsfähigkeit von Primaten erbracht hat.

Für viele Menschen sind Tiergärten die einzige Möglichkeit, wilde Tiere zu sehen und zu erleben. Je nach Datenbasis zählen die Zoos und Tiergärten in Deutschland jedes Jahr zwischen 19 und 34 Millionen Besuche (je nachdem, ob verkaufte Tickets oder alle Besuche erfasst wurden). Mehr als eine Million Kinder nahmen an Angeboten der Zooschulen teil, die es in allen großen Zoos gibt und Wissen über die Tiere sowie ihre Umwelt vermitteln sollen.

Wie nachhaltig dies im Einzelfall gelingt, ist unbekannt. Doch zeigen Studien prinzipiell, dass Menschen den Besuch von Tiergärten nicht nur als Unterhaltung sehen, sondern auch als Möglichkeit, etwas über Natur, Tiere und deren Schutz zu lernen. Und das scheint zumindest bei einem guten Teil der Besucherinnen und Besucher zu gelingen, was wissenschaftlich evaluiert und bei Bedarf im Zoo angepasst wird.

Przewalski-Pferde | Mittlerweile haben sich Przewalski-Pferde in der mongolischen Steppe wieder gut etabliert. Sie alle sind Nachkommen kleiner Herden, die in den Tiergärten von München und Prag überlebt hatten.

In Dänemark geht man bei diesem Bildungsauftrag sogar noch weiter: Dort seziert man regelmäßig tote Zootiere öffentlich, um Kindern und Erwachsenen die Anatomie der Lebewesen zu erklären. In Deutschland scheint das undenkbar, in Dänemark läuft dies ohne größere Proteste ab. Dort stehen allerdings Besuche von Schlachthäusern ebenfalls auf dem Lehrplan von Schulen, um darüber aufzuklären, woher das Fleisch im Supermarkt überhaupt kommt. 

Hierzulande muss man mit dem Bildungsauftrag nicht so weit gehen. Und doch gilt: Nirgendwo können mehr Menschen über Tiere und deren Bedrohungen aufgeklärt werden als im Zoo. Ebenso bleiben Tiergärten als moderne Archen wichtig und unverzichtbar für den globalen Artenschutz. Zumindest solange es uns nicht endlich gelingt, Arten in ihren natürlichen Lebensräumen zu erhalten, ohne sie zu überjagen oder eingeschleppten Tieren, Pflanzen und Krankheiten auszusetzen. Bis dahin sollten wir versuchen, möglichst viele von ihnen auch in Zoos zu erhalten. Damit wir zumindest die Chance haben, sie später wieder in ihre Ökosysteme zurückzubringen.

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