Freistetters Formelwelt: Was ein rückläufiger Merkur wirklich bedeutet

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»Rückläufiger Merkur 2025 – Chaos oder Chance?« Oder: »Mach dich bereit: Der rückläufige Merkur steht wieder einmal offiziell vor der Tür – und das bedeutet, das Chaos nimmt seinen Lauf.« Oder: »Der rückläufige Mars ist endlich vorbei!« Die einschlägigen Zeitschriften sind regelmäßig voll mit Schlagzeilen dieser Art. Immer geht es dabei um Planeten, die »rückläufig« sind. Aus astronomischer Sicht gibt es allerdings keinen Grund für Aufregung – es handelt sich dabei um ein Phänomen, das sich mit dieser Formel verstehen lässt:
Man kann mit der Gleichung die sogenannte »synodische Periode« zweier Himmelskörper berechnen. Damit ist der Zeitraum gemeint, der vergeht, bis beide Objekte wieder in gleicher Konstellation relativ zur Sonne stehen. Die Erde braucht zum Beispiel für einen Umlauf um die Sonne 365,25 Tage. Das ist die siderische Periode, also der Zeitraum, bis sie in Bezug auf die Hintergrundsterne wieder dieselbe Position eingenommen hat. Bei unserem Nachbarplaneten, dem Mars, sind es 686,98 Tage. Setzt man diese Werte für die Perioden P1 und P2 in die Formel ein, ergibt sich eine synodische Periode S von gut 780 Tagen beziehungsweise 2,13 Jahren. Es dauert demnach ein bisschen mehr als zwei Jahre, bis Erde und Mars in Bezug auf die Sonne dieselbe Position einnehmen. Oder anders gesagt: Sind sich die beiden Planeten zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr nahe, dann wiederholt sich dieser Zustand nach wenig mehr als zwei Jahren. Das ist auch der Grund dafür, wieso sich Marsmissionen im Zwei-Jahres-Rhythmus auf den Weg machen: Sie nutzen den sich wiederholenden kurzen Reiseweg.
Erreicht ein Planet auf seiner Bahn den geringsten Abstand zur Erde, befindet er sich in »Opposition«, die Position am erdfernsten Punkt wird »Konjunktion« genannt (im Fall von Himmelskörpern, die sich innerhalb der Erdbahn bewegen, wird der erdnächste Punkt »untere Konjunktion« genannt und der erdfernste »obere Konjunktion«). Die Rückläufigkeit kommt ins Spiel, wenn man die ganze Situation aus Sicht der Erde untersucht.
Im geozentrischen Weltbild wirkt es seltsam
Betrachten wir dazu noch einmal das Beispiel von Mars und Erde. Unser Planet bewegt sich schneller um die Sonne als der weiter von ihr entfernte Mars. Der Zeitpunkt der Opposition ist folglich auch der Zeitpunkt, an dem die Erde den Mars auf der Innenbahn überholt. Betrachtet man um die Opposition herum die scheinbare Bewegung des Mars am Himmel der Erde, dann sieht es so aus, als würde er kurz innehalten, sich dann eine Zeitlang entgegen der ursprünglichen Richtung bewegen und anschließend wieder den normalen Weg aufnehmen. Er zieht am Himmel der Erde eine Schleife – diese Phase nennt man »Rückläufigkeit«.
Aus heliozentrischer Sicht ist das Verhalten selbsterklärend. Aber als man noch davon ausging, dass sich die Erde im Zentrum des Sonnensystems befindet, war die Rückläufigkeit der Planeten extrem schwer zu erklären. Vermutlich deswegen hat man jenes Phänomen bei der astrologischen Deutung der Planetenbewegung mit Unglück, Chaos und anderen unangenehmen Eigenschaften verbunden. Man könnte meinen, dass die Angst vor der Rückläufigkeit mit der modernen Astronomie und der korrekten Beschreibung der Planetenbewegung verschwunden wäre. Doch die Astrologie ist heute noch so populär wie früher und gewinnt in den sozialen Medien und bei jungen Menschen immer mehr an Bedeutung. Regelmäßig wird dort zum Beispiel vor »retrograde mercury« (es scheint sich der englische Fachbegriff für die Rückläufigkeit durchgesetzt zu haben) gewarnt oder erleichtert aufgeatmet, wenn der Mars sich wieder normal bewegt. Mit wissenschaftlichen Erklärungen ist dort leider wenig auszurichten. Aber zumindest können wir ausrechnen, wann mit der nächsten astrologischen Hysterie über die Rückläufigkeit zu rechnen ist.
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