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Grams' Sprechstunde: Gleichberechtigung!

Ärzte sind keine »Halbgötter in Weiß«, die allein entscheiden. Patientinnen und Patienten bestimmen immer öfter mit. Gut so! Denn für die beste Behandlung braucht es gegenseitig Vertrauen und Kooperation, meint unsere Kolumnistin.
Immer häufiger ist in Sprechstunden »Also, ich hab da mal gegoogelt …« zu hören. Und das sei super, sagt unsere Kolumnistin.

So nahe wie in den vergangenen Monaten waren vielen die Themen Gesundheit und Krankheit wohl noch nie – Corona sei »Dank«. Ein guter Zeitpunkt, um einmal Abstand vom täglichen Desaster zu gewinnen und den Blick auf Grundsätzliches zu werfen: das Verhältnis von Ärzten und Patienten sowie seinem Ideal in Theorie und Praxis.

Ich kenne Menschen, die bis heute den Arztbesuch scheuen, weil sie das alte Zerrbild vom »Halbgott in Weiß« verinnerlicht haben. Verständlich, dass man sich einem Halbgott nicht ausliefern will. Aber die Situation hat sich verändert: Die Erwartung, Patientinnen und Patienten mögen kritiklos aufschauen zum ärztlichen Patriarchat früherer Zeiten, wurde abgelöst von einem Miteinander. Dabei sind Patienten nicht mehr bloßes Objekt, sondern übernehmen die Rolle eines Partners der ärztlichen Berufsausübung. Für die Seite der Ärzte und Ärztinnen formuliert das »Genfer Gelöbnis« des Weltärztebunds, das als neuzeitlicher hippokratischer Eid gilt: »Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.«

Dieses Ideal verlangt von allen Beteiligten ein neues Selbstverständnis. Die große Veränderung liegt in der Partizipation, der aktiven Teilhabe der Erkrankten an der Entscheidung, wie ein konkreter Behandlungsfall angegangen wird. Dafür müssen sie eigene Vorstellungen über Krankheit, Gesundheit und Therapie entwickeln, sie abwägen und ihre Bewertung deutlich machen. Ärzte und Ärztinnen wiederum sind gefordert, diese Vorstellungen im Rahmen des wissenschaftlich Möglichen zu respektieren.

Was kann die moderne Medizin leisten? Nutzt die Homöopathie? Was macht einen guten Arzt aus, und welche Rolle spielt der Patient? Die Ärztin und Autorin des Buchs »Was wirklich wirkt« Natalie Grams diskutiert in ihrer Kolumne »Grams' Sprechstunde« Entwicklungen, Probleme und eklatante Missstände ihrer Zunft. Alle Teile lesen Sie hier.

Dabei geht es nicht nur um Emanzipation. Es geht um Heilung. Denn schon lange weiß die psychosomatische Medizin, dass ohne die aktive Beteiligung von Patienten und ihr inneres Einverständnis viele Therapieansätze scheitern und die »Droge Arzt« wirkungslos bleibt. Die Betroffenen verschaffen sich mit Engagement und Initiative eine Selbstwirksamkeit in der Krankheit und tragen so zum Therapieerfolg bei. Übrigens: Ein Miteinander in der Medizin dürfte zudem dafür sorgen, dass viel weniger Patienten einen Grund sehen, sich »alternativen« Heilsversprechen zuzuwenden.

Ein Miteinander kann mühsam sein. Ärztinnen und Ärzte haben zu respektieren, wenn Menschen eine Behandlung ablehnen oder abzubrechen wünschen – egal, ob es sich dabei um eine einfache Spritze oder um die aufwändige Therapie einer ernsthaften, womöglich lebensbedrohenden Erkrankung handelt. Nun sind Ärzte und Ärztinnen allerdings hoch qualifiziert. Sie müssen deutlich machen, was es bedeuten kann, eine Behandlung abzulehnen. Und sie müssen bemüht sein, ihre Patientinnen und Patienten von der nach aller Evidenz aussichtsreichsten Behandlungsform zu überzeugen, um Beschwerden zu lindern oder gar Krankheiten zu heilen. Eine partnerschaftliche Entscheidung kann eben nur wirklich gemeinsam getroffen werden.

In unserer Informationsgesellschaft mischt dabei das Internet kräftig mit. Immer häufiger ist in Sprechstunden »Also, ich hab da mal gegoogelt …« zu hören. Und das ist super! Denn mehr Wissen für alle sorgt fraglos für mehr Gesundheitskompetenz. Ideal wäre zudem die Fähigkeit, seriöse Quellen von unseriösen unterscheiden zu können – eine hohe Medienkompetenz also. Ob es daran hapert, wird zu Recht diskutiert. Doch hier liegen eben die aktuellen Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt.

Für Arzt und Ärztin stellt sich die Herausforderung, mit dem richtigen Maß gleichzeitig die Autonomie der Patienten zu respektieren und ihrer fachlichen Verantwortung gerecht zu werden. Eine Richtschnur für das Maßhalten liefert die evidenzbasierte Medizin (EbM), die sich auf nachvollziehbare wissenschaftliche Standards als Grundlage für Therapieentscheidungen stützt. Die EbM ist keine Schablonenmedizin, auch wenn manche – vor allem Anbieter von Pseudomedizin – sie so missverstehen. Denn sie fordert in ihrer allgemein anerkannten Definition, eine individuelle Therapieentscheidung auf »Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz, der klinischen Erfahrung des Behandlers und den berechtigten Vorstellungen des Patienten / der Patientin« zu verbinden. Der therapeutische Dreisatz sozusagen. Die EbM ist ein System, das versucht, Grundlagen und Handreichungen zu schaffen, damit dieses Ideal in der ärztlichen Praxis umgesetzt werden kann.

Ein Ideal zu verwirklichen, ist im Alltag schwer. Das gilt nicht zuletzt im ärztlichen Tagesgeschäft: Hier fehlen schmerzlich die Voraussetzungen dafür, ausführlich zuhören und sprechen zu können. Das ist sicher weniger eine Frage des Wollens der einzelnen Ärzte und Ärztinnen. Das Wollen prallt hier auf volle Sprechzimmer bei Allgemein- und Fachärzten und auf eine Budgetierung in der gesetzlichen Krankenversicherung, die letztlich eine Rationierung von Gesundheitsleistungen darstellt. Hier muss viel geschehen, hier gibt es eine Menge zu tun für die Entscheider und Gestalter im Gesundheitswesen. Mitwirken daran sollte aber jeder – sowohl Patienten wie Ärzte.

Ich hoffe – und wünsche mir –, dass wir alle von diesem Verhältnis auf Augenhöhe profitieren. Vielleicht schon bei den Corona-Impfungen in Arztpraxen. Auch hier wird entscheidend sein, ob die zu impfenden Menschen sich mitgenommen fühlen. Dies zeigt ein Blick auf eine COVIMO-Studie, die »Impfverhalten, Impfbereitschaft und -akzeptanz in Deutschland« untersucht: Demnach gibt es einen hohen Informationsbedarf bei den Befragten über die Impfung – und zugleich eine umso höhere Impfbereitschaft, je besser Menschen sich informiert sehen. Eine über Nutzen und Risiken der Impfstoffe aufgeklärte, gemeinsame Entscheidung ist möglich. Wie viele sie letztlich treffen werden, ist ein Praxistest dieses Ideals.

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