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Storks Spezialfutter: Auf dem Weg zur ökologischen Bürgerrevolution?

Das bayerische Volksbegehren für die Bienen und die jugendlichen Klimademonstranten sind dabei, unsere Gesellschaft von Grund auf zu verändern, meint Ralf Stork.
Greta Thunberg

Vor einem Jahr hatte selbst in Bayern noch kaum jemand von einer Bewegung gehört, die mittels Volksentscheid die Bienen und andere Insekten retten will. Und vor einem Jahr war Greta Thunberg einfach nur ein schwedisches Mädchen mit zwei streng geflochtenen Zöpfen. Sie hatte noch nicht mal damit angefangen, jeden Freitag mit einem Protestplakat in der Hand die Schule zu bestreiken.

Wie schnell sich die Dinge ändern: Heute ist aus der Idee mit den Bienen das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte des Freistaats geworden, das mittlerweile sogar von der CSU mitgetragen wird. Und aus dem beharrlichen Mädchen ist eine weltbekannte Ikone der Klimaschützer geworden. So unterschiedlich beide Erfolgsgeschichten auch sind, es gibt eine Reihe Übereinstimmungen, die es genauer zu betrachten lohnt.

Die Bieneninitiative und die Schwedin sind als krasse Außenseiter gestartet, beide widmen sich drängenden Problemen, die noch niemand so richtig angepackt hat, und beide haben es geschafft, in kurzer Zeit sehr viel Unterstützung zu bekommen: Greta Thunberg saß anfangs Freitag für Freitag ganz allein vor dem schwedischen Parlament und hätte sich nicht träumen lassen, ein paar Monate später von Talkshow zu Talkshow gereicht zu werden, Fernsehpreise zu bekommen, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen zu werden und allein in Deutschland mehrere hunderttausend Nachahmer zu finden. Das von der ÖDP angestoßene Volksbegehren »Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern« wurde zwar von Anfang an von vielen Umweltverbänden und Organisationen unterstützt. Dass das Anliegen dann in der Bevölkerung so großen Zuspruch erhalten würde, war trotzdem eine dicke Überraschung.

Auf unterschiedlichen Ebenen widmen sich sowohl das Mädchen als auch die Bürgerinitiative Themen, die unser aller Existenz bedrohen und unsere Ernährung verändern werden: In Bayern geht es konkret um die Frage, wie die Landwirtschaft die Bürger in Zukunft ernähren soll. Mit einem geforderten Ökoanteil von 30 Prozent, mit Gewässerrandstreifen und Biotopverbünden schlägt das Volksbegehren Pflöcke für eine grundlegend nachhaltigere Bewirtschaftung ein. Bei den Klimaprotesten spielt die künftige Art der Landnutzung zumindest implizit eine große Rolle. Die jugendlichen Demonstranten fordern einen grundlegenden Wandel unseres Lebensstils: Verzicht auf Flugreisen, weniger Konsum, weniger Plastikmüll, Ausstieg aus der Kohleenergie, Schluss mit der Ressourcenverschwendung. Wer das ernst meint, landet schnell bei einer ökologischeren Landwirtschaft, die auf Massentierhaltung, Pestizide und Stickstoffdünger nach Möglichkeit verzichtet.

Weil die etablierte Politik trotz erdrückender wissenschaftlicher Belege nicht wirklich in die Puschen kommt, versuchen beide Bewegungen auf anderen Wegen ans Ziel zu gelangen. Es ist eine Art Selbstermächtigung – hier die bayerischen Bienenfreunde, die die Mittel der direkten Demokratie bestmöglich für sich genutzt haben. Dort die Jugendlichen, denen allein schon ihres Alters wegen nichts anderes übrig bleibt als die außerparlamentarische Opposition.

Beiden Initiativen ist es gelungen, in kurzer Zeit sehr viele Menschen zu mobilisieren. Das hat auch mit der Massenwirksamkeit sozialer Netzwerke, mit symbolträchtigen Bildern und einprägsamen Geschichten zu tun, die sich in drei, vier pointierten Sätzen erzählen lassen. Das Bild von der Biene, die eine Blume zum Leben braucht, ist schließlich genauso unmittelbar einleuchtend wie das vom Eisbären, dem das Eis unter den Füßen wegtaut.

So viel Erfolg fordert Kritik geradezu heraus. Neben den eigentlichen Akteuren – Greta Thunberg wird in rechten Netzwerken als unmündige, von einer linken Elite fremdbestimmte Marionette verunglimpft – bekommen auch die Unterstützer ihr Fett weg: Was derart schnell wächst, lautet die Hoffnung, fällt bestimmt auch schnell wieder in sich zusammen. Das Gros der Unterstützer, so die Stoßrichtung der Kritik, sei ohnehin nur dabei, weil das schöne Gefühl, etwas Gutes zu tun, selten so billig zu haben war. Es ist leicht, freitags auf die Straße zu gehen, wenn einem dafür der Unterricht erspart bleibt und man ein bisschen Rebellion spielen kann. Es kostet ja nichts, das Volksbegehren zu unterstützten, wenn die Konsequenzen am Ende bloß die Bauern tragen müssen.

Berechtigte Fragen

Die Kritiker zweifeln an der grundsätzlichen Bereitschaft der Protestierenden, auch selbst Opfer zu bringen: Sind die Schüler wirklich bereit, ihren Lebensstil zu ändern, auf ihr Smartphone, den Billigflieger oder neue Klamotten zu verzichten? Und sind die bayerischen Bienenfreunde gewillt, mehr zu geben als bloß ihre Stimme?

Mittlerweile gibt es immerhin eine erste wissenschaftliche Studie, die sich mit den Klimaprotesten beschäftigt. Auf Friday-for-Future-Demonstrationen in Berlin und Bremen hat das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung 700 Teilnehmer befragt. Rund 70 Prozent der Befragten gaben an, wegen des Klimawandels weniger zu konsumieren. Fast ebenso viele haben ihre Ernährung umgestellt. 40 Prozent verzichteten außerdem auf Flugreisen. Auch wenn die Untersuchung nicht repräsentativ ist, scheint es vielen der Jugendlichen also wirklich ernst zu sein mit ihrem Protest.

In Bayern haben Landwirte ein konkretes Experiment ersonnen, um zu sehen, ob die Unterstützer des Volksbegehrens tatsächlich willens sind, sich für die Insekten zu engagieren. Im Internet bieten sie Blühstreifen gegen Bezahlung an. Und siehe da, die Bürger nehmen das Angebot an – und das sogar zu teilweise deutlich überteuerten Preisen.

Die bisherige Entwicklung zeigt, dass viele Unterstützer der Klimaaktivisten und der Insektenfreunde bereit sind, sich konkret über ein bloßes Lippenbekenntnis hinaus zu engagieren. Die Aktivierung über soziale Netzwerke ist dafür offensichtlich kein Hindernis. Und aus dem Erstkontakt mit einem Thema – selbst in einer verkürzten Form – kann eine wirkliche Auseinandersetzung entstehen. Das lässt viel Entwicklungsspielraum für die Zukunft: Der Erfolg des bayerischen Volksbegehrens könnte als Blaupause dienen, Schritt für Schritt könnte so in den übrigen Bundesländern ein vergleichbares Gesetz zum Schutz der Artenvielfalt durchgesetzt werden.

Für die Klimademonstranten ist ein solcher Marsch durch die Institutionen ungleich schwieriger. Aber auch sie haben großen Einfluss. Selbst wenn die Klimastreiks nicht endlos weitergehen – sobald die hunderttausenden Jugendlichen die Diskussion um Nachhaltigkeit und Klimawandel ernsthaft in ihre Familien tragen, werden sie unsere Gesellschaft wohl grundlegend verändern.

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