Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Hundertfüßer

Vor etwa zwei Jahren begrüßte ich kurzzeitig einen neuen Mitbewohner. Schon bald zeigte sich, dass er ziemlich unberechenbar war und sich nicht besonders gut mit meinen Katzen verstand. Als ich herausfand, dass er ganz schön giftig sein kann, habe ich ihn rausgeschmissen − buchstäblich, in hohem Bogen aus dem Fenster. Jenen, die aus dieser Geschichte ableiten, dass es diesmal um einen »Tod durch Fenstersturz« geht, kann ich eine Entwarnung geben. Der kleine Kerl war nämlich kein Mensch, sondern ein Spinnenläufer. Diese Art Hundertfüßer, die ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammt, taucht immer häufiger auch in Zentral- und Nordeuropa auf.
Als ich dem Krabbeltier begegnete, kam mir natürlich zuallererst eine Frage in den Sinn: Wie gefährlich ist der Eindringling? Bei der Suche danach, ob er mich (oder meine flauschigen Mitbewohner) eventuell verletzen oder gar umbringen könnte, stieß ich auf einige interessante Informationen zu den vielerorts gefürchteten Tieren.
Die gute Nachricht vorab: Spinnenläufer (Scutigera coleoptrata) sind zwar dazu im Stande, zuzubeißen und ihr Gift unter unsere Haut zu injizieren. Sie tun sich dabei allerdings recht schwer und attackieren Menschen nur in seltenen Fällen. Sie laufen eher vor uns davon und verstecken sich. Hier gilt also tatsächlich der Leitsatz: Es hat mehr Angst vor dir als du vor ihm. Und selbst wenn die Begegnung einmal unglücklich endet, sind die Folgen am ehesten mit der von Bienen- oder Wespenstichen vergleichbar.
Krabbeltier mit Biss
Doch nicht alle Hundertfüßer sind harmlos. Manche können durch ihren Giftcocktail höllische Schmerzen verursachen. Zusätzliche Beschwerden wie Benommenheit, Schwindel, Übelkeit, schwere Gewebeschäden und sogar Herzinfarkte sind ebenfalls möglich. Doch nur gelegentlich sind die Tiere in tödliche Unfälle verwickelt. In entsprechenden Berichten tauchen vor allem Vertreter der Riesenläufer (Scolopendromorpha) auf, die vorrangig in tropischen und subtropischen Gebieten leben. Die erste Fallbeschreibung einer fatalen Begegnung mit einem solchen Gliederfüßer stammt aus dem Jahr 1923. Betroffen war ein siebenjähriges Kind, das nach einem Biss in den Kopf starb. In einem Artikel von 2023 verweisen Fachleute auf zwei weitere Tode, die in klarem Zusammenhang mit einem Hundertfüßerbiss stehen. Eine Person erstickte nach einem sehr unglücklich platzierten Biss in den Hals (fragen Sie mich nicht, wie das Tier dort hinkam). Eine andere reagierte allergisch auf die Giftinjektion und erlitt einen anaphylaktischen Schock.
Die asiatischen Riesenläufer zählen zu den Hundertfüßern mit den stärksten Giften. Mit ihren Toxinen können sie kleine Wirbeltiere wie Mäuse oder Fledermäuse problemlos erlegen. Die Wirkung geht dabei nicht von einem einzelnen Stoff aus, sondern von einem Cocktail an Enzymen und Peptiden. Diese Substanzen greifen den Organismus des Opfers gleich auf mehrere Arten an – ungefähr 50 Inhaltsstoffe mit verschiedenen biologischen Aktivitäten hat man bereits identifiziert. Manche davon wirken spezifisch auf Herzmuskelzellen, andere zersetzen Blutkörperchen oder schädigen das Gehirn. Einige attackieren Proteine in unserem Körper, wieder andere erzeugen Löcher in den Zellmembranen und bringen die Zellen so zum Absterben. Eine 2018 veröffentlichte Studie beschreibt ein Peptid im Gift des Chinesischen Rotkopfhundertfüßers, das bestimmte Ionenkanäle an der Zelloberfläche blockiert. Mit dem Ergebnis, dass Neurone unkontrolliert zu feuern beginnen, was den Herzschlag und die Atmung aus dem Takt bringt. Das Molekül, dem die Autoren den Namen »Spooky Toxin« gaben, führt so bei kleinen Wirbeltieren schnell zum Tod.
Schreckgespenst Hundertfüßer
Glaubt man Google und darüber auffindbaren Zeitungsberichten, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Hundertfüßer zahlreiche menschliche Opfer auf dem Gewissen haben. Die meisten dieser Berichte lassen allerdings keine klaren Schlüsse darauf zu, inwieweit die Tiere ursächlich zum Tod der Opfer beigetragen haben. Unter Umständen ist gar nicht die direkte Giftwirkung für das Ableben verantwortlich, sondern eine Folgeerkrankung. So starb ein ehemaliger Meister im Thaiboxen namens Dokmaipa Por Pongsawang 2020 fünf Tage, nachdem ein Hundertfüßer ihn am Bein erwischt hatte. Dabei drang offenbar ein Keim in die Wunde ein, der eine Infektion verursachte. Diese geriet außer Kontrolle und löste schließlich eine Blutvergiftung aus. Auch in anderen Fällen, bei denen die Gliederfüßer als vermeintliche Killer dargestellt wurden, war der Tathergang ähnlich.
Insgesamt beruht die Angst vor »tödlichen Hundertfüßern« also mehr auf Mythen und Fehlschlüssen als auf tatsächlichen Gefahren. Wer doch einmal mit den scheuen Tieren aneinandergerät, braucht sich nicht allzu viele Sorgen zu machen. Wie bei jeder Wunde ist es aber ratsam, die Bissstelle gründlich zu waschen, um Infektionen zu vermeiden. Das könnte noch einen weiteren positiven Effekt haben, denn: Viele Hundertfüßertoxine sind hitzeempfindlich; setzt man sie höheren Temperaturen aus, verlieren sie zunehmend ihre Wirkung. Das Spülen mit möglichst warmem Wasser kann den Schadeffekt vermindern und Bissopfer so mitunter vor einigem Schmerz und unangenehmen Begleiterscheinungen bewahren.
- Hundertfüßer oder Tausendfüßer?© chokchaipoo / stock.adobe.com (Ausschnitt)Hundertfüßer oder Tausendfüßer? | … für die richtige Antwort müssen Sie in diesem Bild keine Beinchen abzählen!
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Beide Namen sind irreführend. Denn weder haben Hundertfüßer genau 100 Beinchen noch besitzen Tausendfüßer die namensgebende Anzahl an Gliedern. Bei Ersteren sind es zwischen 15 und 191 Beinpaare. Bei Letzteren gibt es bisher nur eine Art, die ihrem Namen gerecht wird, und zwar Eumillipes persephone mit 1306 Beinen.
Es wird aber leider noch etwas komplizierter. Hundertfüßer und Tausendfüßer sind biologisch gesehen nämlich nicht zwei getrennte Tierfamilien. Vielmehr sind Hundertfüßer eine Untergruppe der Tausendfüßer. Beide zählen zum Stamm der Gliederfüßer, und die Arten fallen alle in den Unterstamm der Tausendfüßer, in dem die Hundertfüßer eine eigene Klasse bilden. Wenn Nichtbiologen von Tausendfüßern sprechen, meinen sie damit meist Doppelfüßer, die ebenfalls eine eigene Klasse im Unterstamm ausmachen. Kurz gesagt sind aus taxonomischer Sicht also alle Hundertfüßer Tausendfüßer, aber nicht umgekehrt.
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