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Krebs verstehen: Kleinste Spuren von Krebs im Blut finden

Sie könnten die Krebstherapie präziser machen, Nebenwirkungen vermeiden und Rückfälle früh erkennen. Warum Liquid biopsies trotzdem noch nicht Standard sind und für welchen Krebs sie sich eignen, erklärt Marisa Kurz.
Eine Hand hält ein Reagenzglas mit einer Blutprobe. Im Hintergrund sind unscharfe Laborgeräte zu sehen.
Mit dem Begriff »Liquid Biopsy« (Flüssigbiopsie) bezeichnet man Verfahren, bei denen aus einer Blutprobe oder aus anderen Körperflüssigkeiten wie Urin Informationen über eine mögliche Krebserkrankung gewonnen werden sollen.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Ich arbeite als Ärztin in einem großen Darmkrebszentrum. Nach einer Darmkrebs-OP verordne ich manchen meiner Patienten eine Chemotherapie. Und zwar dann, wenn ein hohes Risiko besteht, dass noch Krebszellen im Körper verblieben sind. Das ist etwa der Fall, wenn die Lymphknoten befallen sind.

Doch kenne ich auch die Schattenseite dieser Therapie: So entwickeln viele Patienten beispielsweise Gefühle von Taubheit oder Kribbeln in Fingern und Zehen, die manchmal dauerhaft bleiben. Deshalb suchen Wissenschaftler nach Möglichkeiten, zuverlässiger zu bestimmen, wer nach einer OP wirklich von einer Chemotherapie profitiert. Ein Ansatz sind so genannte Liquid Biopsies – Bluttests, die winzige Spuren von Krebs aufspüren. Sie könnten die Krebstherapie in vielen weiteren Bereichen revolutionieren.

Bei einer klassischen Biopsie entnehmen Ärztinnen und Ärzte mit einer Nadel oder im Rahmen einer OP eine kleine Menge Gewebe aus dem Körper, um es auf Tumorzellen zu untersuchen. Eine »flüssige Biopsie« dagegen nutzt Blut und anderen Körperflüssigkeiten und kann darin kleinste, zirkulierende Tumorzellen oder deren Erbgut nachweisen.

Wie gelangt solches Genmaterial überhaupt in Körperflüssigkeiten? Auch Krebszellen sterben, etwa wenn ein Tumor so schnell wächst, dass die Blutversorgung nicht hinterherkommt. Dann gehen DNA-Bruchstücke ins Blut über. Ob und wie viele davon nachweisbar sind, hängt unter anderem von der Art des Tumors und seinem Ausbreitungsstadium ab.

Die Herausforderung: Liquid biopsies müssen kleinste Mengen Tumorzellen oder -DNA erkennen und verlässlich von einer Unmenge gesunder Blutzellen und dem Erbgut weißer Blutkörperchen unterscheiden können. Technisch ist das äußerst anspruchsvoll und wird deshalb bisher nur selten außerhalb von Studien eingesetzt. Die Forschung dazu läuft jedoch auf Hochtouren.

»Eine Flüssigbiopsie könnte helfen, einzuschätzen, ob neben den sichtbaren Metastasen noch weitere Tumoren im Körper schlummern«

Ist nach der OP eine Chemotherapie nötig?

Zurück zum Beispiel Darmkrebs: Ob eine Chemotherapie nach einer OP sinnvoll ist, entscheiden wir derzeit anhand bestimmter Faktoren – etwa, wie groß der Tumor war oder ob er bereits die Darmwand durchbrochen hatte. Gerade bei Darmkrebs könnten Liquid biopsies künftig helfen, diese Entscheidung noch fundierter zu treffen. Besonders im Tumorstadium III – wenn sich die Erkrankung bereits vom Darm über die Lymphbahnen ausgebreitet hat und in den Lymphknoten Tumorzellen gefunden worden sind – ist eine Chemotherapie sinnvoll. Sie erreicht über das Blut den gesamten Körper und kann versteckte Tumorzellen zerstören. Im Tumorstadium II hingegen sind keine Lymphknoten befallen. In diesem Fall ist es viel schwieriger abzuwägen, ob nach der OP eine Chemotherapie ratsam ist. In einer Studie wurde untersucht, ob Patienten mit Darmkrebs im Stadium II von Therapieentscheidungen auf Basis eines Liquid-Biopsy-Ergebnisses proftieren. Nur Erkrankte, bei denen nach der OP Tumorspuren im Blut vorhanden waren, erhielten eine Chemotherapie. Dennoch überlebten genauso viele Patienten wie in der Vergleichsgruppe, in der deutlich mehr Patienten eine Chemotherapie durchliefen.

Warum ist die Flüssigbiopsie dann heute noch kein Standard bei der Behandlung von Darmkrebs? Die Analysen sind technisch anspruchsvoll, müssen sicher, standardisiert und kosteneffizient sein. Zudem fehlen Langzeitdaten und weitere Studien, die eindeutig belegen, dass Patienten mit Risikofaktoren, die mangels Tumorspuren im Blut keine Chemotherapie nach der OP erhalten, nicht doch eine schlechtere Prognose haben. Hier ist noch mehr Forschung notwendig.

Dass Liquid Biopsies bisher nicht immer zuverlässig sind, habe ich selbst erlebt: Im Rahmen einer Studie fanden wir bei einer meiner Patientinnen* anfangs Tumorspuren im Blut. Nach der OP und der Chemotherapie waren sie verschwunden. Doch nur wenige Wochen später hatte die Patientin Metastasen in der Leber. Zum Zeitpunkt der Flüssigbiopsie müssen Krebszellen in ihrem Körper gewesen sein, doch das Untersuchungsverfahren hatte sie nicht registriert.

Viele weitere Anwendungsbereiche denkbar

Aktuell werden Liquid Biopsies außerhalb von Studien nur selten genutzt. Bei Patientinnen mit Brustkrebs unter Antihormontherapie können sie eine sogenannte ESR1-Mutation nachweisen. Betroffene sollten dann ein anderes Medikament einnehmen. Da der Test direkte Konsequenzen für die Therapie hat, übernehmen die Krankenkassen die Kosten. Auch bei Lungenkrebs kommen Liquid Biopsies immer öfter zum Einsatz, um Tumorerbgut auf Mutationen zu untersuchen, gegen die es zielgerichtete Medikamente gibt.

Darüber hinaus sind noch viele weitere Anwendungsbereiche denkbar. Liquid Biopsies könnten den Erfolg einer Krebstherapie überwachen, Resistenzen gegen Medikamente aufspüren und Rückfälle frühzeitig erkennen. Schon heute nutzen wir bei Krebspatienten Bluttests, um sogenannte Tumormarker zu untersuchen. Das sind bestimmte Eiweiße im Blut, deren Spiegel bei manchen Krebspatienten erhöht sind. Das Problem: Viele Patienten weisen keine erhöhten Tumormarker auf oder die Marker sind unspezifisch Denn sie können etwa durch Entzündungen im Körper ansteigen und eignen sich deshalb nur in bestimmten Fällen dafür, eine Erkrankung zu überwachen.

Flüssigbiopsien können auch dann hilfreich sein, wenn eine klassische Tumorbiopsie technisch nicht möglich ist oder misslingt. Liegt ein Tumor beispielsweise tief im Körper und ist von Blutgefäßen umgeben, kann eine Gewebeentnahme gefährlich sein. Zudem gelingt es manchmal nicht, bei einer Biopsie die Tumorzellen zu treffen, etwa wenn ein Gewebe nicht gleichmäßig von Tumorzellen durchsetzt ist. Dann muss die Biopsie wiederholt werden. Eine Blutuntersuchung ist deutlich sicherer und einfacher durchzuführen.

Auch bei lokalen Metastasen könnten Liquid Biopsies in Zukunft eine Rolle spielen. Hat sich der Krebs bereits ausgebreitet, können sich im Körper manchmal Tumorzellen verstecken, die bei computertomografischen Untersuchungen nicht sichtbar sind. Im schlimmsten Fall unterziehen sich Patienten einer OP, für die sie ihre Chemotherapien unterbrechen müssen – und Wochen danach tauchen plötzlich neue Metastasen im Körper auf, die aus versteckten Zellen entstanden sind. Eine Flüssigbiopsie könnte helfen einzuschätzen, ob neben den sichtbaren Metastasen noch weitere Tumoren im Körper schlummern.

Die Einsatzmöglichkeiten sind zahlreich. Deshalb beklagen Experten aus der Onkologie in Deutschland, dass Liquide Biopsies aktuell in der Praxis zu wenig genutzt werden. Sie fordern mehr Forschung zum Thema, eine Standardisierung der Testmethoden sowie eine bessere Aufklärung von Ärzten.

Chance für einen Bluttest auf Krebs?

Könnte es dank Liquid Biopsies irgendwann einen Bluttest geben, der frühzeitig Krebs erkennt? Kurz- und mittelfristig sehe ich ihren Einsatz eher in den oben beschriebenen Bereichen. Denn in sehr frühen Krebsstadien gibt es besonders wenige Spuren im Blut – gerade hier müsste ein Früherkennungstest aber zuverlässig anschlagen. Falsch positive Befunde würden unnötige Untersuchungen nach sich ziehen, falsch negative Ergebnisse Menschen in trügerischer Sicherheit wiegen.

Doch ich bin überzeugt: In anderen Bereichen werden Liquid Biopsies hoffentlich schon bald zur Standarddiagnostik gehören. Als Ärztin in der Onkologie verabreiche ich oft Medikamente und ich freue mich über jeden Patienten, dem ich die Nebenwirkungen ersparen kann. Ich hoffe, dass wir mit Liquid Biopsies in Zukunft unsere Behandlungen noch präziser auswählen und steuern können. Was mich jeden Tag begeistert, ist, wie sehr Patienten diesen Fortschritt unterstützen wollen. Ich helfe gerade dabei, Blutproben für ein Forschungsprojekt über Flüssigbiopsien zu sammeln. Wenn ich Patienten frage, ob sie dafür ein paar Röhrchen Blut spenden möchten – und ihnen erkläre, dass sie selbst keinen unmittelbaren Vorteil davon haben –, bin ich immer wieder gerührt, wie viele Patienten mitmachen. Diese Bereitschaft, etwas für künftige Krebspatienten zu tun, beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue.

*Patientenfälle sind aus Datenschutzgründen abgeändert

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