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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch fermentierte Lebensmittel

Sauerkraut, Kimchi, Joghurt und Co. sind zwar gesund – doch in einigen fermentierten Speisen kann ein lebensgefährliches Gift namens Bongkreksäure lauern.
Nahaufnahme eines gehenden Teigs mit einem dichten Netz aus weißen, faserigen Strängen.
Ein unerwünschter Eindringling kann bei manchen Gärvorgängen die äußerst giftige Bongkreksäure herstellen. Beruhigend: Der hier abgebildete Sauerteig zählt nicht zu seinen bevorzugten Nährmedien.

 Die Begeisterung für Fermentiertes habe ich erst vor wenigen Jahren entwickelt. Früher mochte ich nicht einmal Joghurt, während ich es heute fast täglich esse – und immer wieder greife ich mit Freude zu Kimchi, Miso und Sauerkraut. Viele Ernährungsratgeber behaupten, ich tue meinem Körper damit etwas Gutes. In den meisten Fällen mag das auch durchaus stimmen. Doch in manchen gärenden Lebensmitteln gedeiht ein Bakterium, das ein äußerst starkes Gift namens Bongkreksäure produziert. Unbemerkt sammelt sich dieses in der Speise an und beschert jedem, der von ihr isst, eine gefährliche Lebensmittelvergiftung.

Wie das ausgehen kann, zeigt etwa ein Krankheitsausbruch, der sich im Oktober 2020 in einem Ort im Osten Chinas zutrug. Zwölf Personen frühstückten gemeinsam zu Hause. Neun von ihnen waren innerhalb der nächsten zwei Wochen tot. Sie alle verband eines: Sie hatten saure Suppe gegessen. Diese enthielt Nudeln, die die Gastgeber aus (zu lange und zu sorglos gelagertem) fermentiertem Mais hergestellt hatten. Es dauerte nur wenige Stunden, bis die Vergiftungsopfer erste Symptome entwickelten. Zuerst bemerkten sie Bauchschmerzen, ihnen wurde übel und sie mussten sich übergeben. Einige bekamen Durchfall und allen ging es schnell sehr schlecht. Die Beschwerden wurden so heftig, dass sie noch am selben Tag medizinische Hilfe suchten. Die Ärztinnen und Ärzte konnten ihnen jedoch nicht helfen. Der erste Patient war nur 20 Stunden nach Beginn der Vergiftungserscheinungen tot. Sechs weitere folgten in den kommenden 48 Stunden. Die letzten beiden hielten einige Tage länger durch, sie erholten sich aber ebenfalls nicht von der Erkrankung.

In diesem Fall starben alle Personen, die das Toxin aufgenommen hatten. Insgesamt enden etwa die Hälfte derartiger Begegnungen mit Bongkreksäure tödlich. Schon kleinste Mengen des Stoffs – ein bis eineinhalb Milligramm – können einen Erwachsenen das Leben kosten. Bei der beschriebenen Tragödie fanden die chinesischen Behörden eine Konzentration von 330 Milligramm pro Kilogramm in den hausgemachten Nudeln, die die Opfer gegessen hatten. Nimmt man einen Konsum von etwa 100 Gramm pro Person an, ergibt sich rund das 20- bis 30-Fache der tödlichen Dosis des Gifts. Die Zubereitung der Speise änderte daran nichts. Denn anders als die Bakterien, die Bongkreksäure herstellen, zersetzt sich die Substanz selbst beim Kochen nicht. Und weder der Geschmack noch der Geruch des Gerichts lässt auf seine Anwesenheit schließen.

Unsichtbare Gefahr im verbotenen Tempeh

Während hier eine Maiszubereitung zum Verhängnis wurde, brachte man Bongkreksäure ursprünglich vor allem mit einem anderen Lebensmittel in Verbindung. Das Toxin wurde sogar nach ihm benannt: Tempeh Bongkrek.

Tempeh besteht aus fermentiertem Soja. Nach dem Einweichen und Kochen der Bohnen fügt man Sporen eines Edelschimmelpilzes hinzu und lässt die Mischung etwa zwei Tage lang luftdicht verschlossen gären. Die entstehende Masse aus Pflanze und Pilz kann man dann würzen und braten oder frittieren. Tempeh Bongkrek enthält neben Soja noch Kokosnusspulpe als weitere Zutat. Und in dieser wächst mit Vorliebe der Keim Burkholderia gladioli, der Bongkreksäure herstellen kann. Genauer gesagt ist es ein bestimmter Stamm dieses Bakteriums, der besonders viel von dem Gift produziert, Burkholderia gladioli pathovar cocovenenans, kurz Bcocovenenans.

Weil der Genuss von Tempeh Bongkrek in Indonesien Tausende Vergiftungen nach sich zog, sah sich die Regierung des Landes 1988 dazu veranlasst, die Produktion des Lebensmittels zu verbieten. Doch so wie sich Deutsche nicht ihr Sauerkraut nehmen lassen würden, gelang das auch nicht mit Tempeh Bongkrek. Noch heute erzeugen Menschen es für den Privatgebrauch oder für den Schwarzmarkt. Und die Bongkreksäurevergiftungen gingen zwar zurück, aber verschwanden nicht ganz.

B. cocovenenans mag auch Mais und Reis

Das liegt mitunter daran, dass man das Toxin mittlerweile in einigen weiteren Lebensmitteln findet. Bcocovenenans wächst gern auf feucht gelagertem, stärkereichem Getreide, wenn dieses absichtlich oder durch ungeeignete Lagerung zu gären beginnt. Dazu zählen neben fermentierten Maiszubereitungen etwa auch Süßkartoffelmehl und Reisnudeln, die für einige Ausbrüche in China verantwortlich gemacht werden.

Die Fälle konzentrieren sich weiterhin auf Südostasien. Doch 2018 trat die Krankheit erstmals auch in Afrika auf. Zwischen dem 9. und dem 12. Januar erkrankten 234 Bewohner des Dorfs Chitima in Mosambik, nachdem sie das aus Maismehl gebraute Getränk Pombe konsumiert hatten. Insgesamt starben 75 von ihnen an der Vergiftung.

2024 kam es zu einem Fall in Nordamerika. Der Betroffene hatte sich ein Gericht aus fermentiertem Maismehl zubereitet. Als er zwei Tage später ins Krankenhaus kam, klagte er über Übelkeit, Erbrechen und Erschöpfung. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Leber und seine Nieren bereits schwer geschädigt und sein Blut war übersäuert. Sein Zustand verschlechterte sich in den folgenden Tagen stetig. Die Haut verfärbte sich blau, es traten Hirnschäden auf und er entwickelte ein Multiorganversagen. Nach acht Tagen verstarb er im Krankenhaus.

In Europa hat man bislang keine Fälle vom Bongkreksäurevergiftungen beobachtet. Man muss sich also keineswegs vor heimischen fermentierten Lebensmitteln aus dem Supermarkt fürchten. Und auch wer selbst Obst oder Gemüse vergärt, hat diesbezüglich kaum etwas zu befürchten. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Bcocovenenans irgendwann bei uns auftritt – dann jedoch wahrscheinlich am ehesten in Zubereitungen, in denen der Keim üblicherweise gedeiht.

  • Steckbrief: Bongkreksäure
    Reisnudeln | In China und Taiwan hat B. cocovenenans zuletzt in schlecht gelagerten Reisnudeln zu Problemen geführt.

    Herstellender Organismus: Sauerstoffnutzendes, gramnegatives Bakterium der Art Burkholderia gladioli. Insbesondere der Stamm (pathovar) cocovenenans (kurz: Bcocovenenans) stellt gefährliche Mengen Bongkreksäure her.

    Vorkommen:Burkholderia gladioli kommt weltweit im Boden vor, wo es mit manchen Pflanzen und Pilzen symbiotische Beziehungen eingehen kann. Das Bakterium ist jedoch auch als Krankheitsauslöser bei einigen Pflanzen bekannt; sein Name leitet sich von der Gladiole ab, bei der es Wurzelfäulnis auslösen kann. Burkholderia gladioli befällt gelegentlich Menschen, insbesondere wenn ihr Immunsystem geschwächt ist. B. cocovenenans enthält einen DNA-Abschnitt, der anderen Stämmen von Burkholderia gladioli fehlt. Der Keim wurde bereits auf mehreren Kontinenten nachgewiesen, auch in Proben aus Europa.

    Wirkung: Bongkreksäure wirkt allem an den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen. Es bindet an ein Protein in ihrer Membran und blockiert so den Transfer von ADP in die Organellen und von ATP aus ihnen heraus. Dieser Transfer ist für den Energiemetabolismus von zentraler Bedeutung; ohne ihn stockt die Zellatmung und die Zelle erleidet einen katastrophalen Stoffwechselzusammenbruch. Wegen seiner irreversiblen Wirkung ist das Toxin schon in äußerst geringen Dosen gefährlich.

    Krankheitspotenzial: Auslöser von schweren Lebensmittelvergiftungen, die in einem von zwei Fällen tödlich enden.

    Häufigkeit: Sehr selten. Vergiftungen ereignen sich meist in Clustern mit Dutzenden bis Hunderten Betroffenen; Ausbrüche konzentrieren sich auf Indonesien und China.

    Besonderheiten:B. cocovenenans wächst unter säurearmen Bedingungen in gärenden Lebensmitteln (vor allem in stärkereichem Getreidemehl aus Mais, Reis und Süßkartoffeln) bei Temperaturen von 22bis 37 Grad. Dabei produziert der Keim Bongkreksäure. Das Toxin ist hitzestabil – selbst eine Stunde Garzeit bei 120 Grad Celsius kann es nicht zerstören.

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