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Krebs verstehen: Wie man Immunzellen gegen Krebs programmiert

Unser Immunsystem spürt Krebszellen auf und zerstört sie. Forscher verstärken diese Abwehr, indem sie Immunzellen umprogrammieren. Für welche Krebsarten sich die CAR-T-Zelltherapie eignet.
CAR-T-Zellen greifen eine Krebszelle an
Gibt man die CAR-T-Zellen (blau) in den Körper des Erkrankten, attackieren sie die Krebszellen (rot).

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Unser Immunsystem besitzt eine erstaunliche Fähigkeit, die mich als Ärztin in der Onkologie besonders fasziniert: Es erkennt Krebszellen und zerstört sie gezielt. Man kann sich das wie einen Einkaufsbummel vorstellen. Immunzellen wandern permanent durch unseren Körper. Dabei kommen sie an anderen Zellen vorbei, die verschiedene Molekülbruchstücke auf ihrer Oberfläche tragen, und prüfen deren »Sortiment«, wie in einer Art Schaufenster. Zeigen die Zellen ihnen ungewöhnliche Stücke, die nur Krebszellen oder mit Krankheitserregern infizierte Zellen aufweisen, fällt das den Immunzellen auf, und sie zerstören die Zellen. Diese Kontrolle läuft jederzeit im Hintergrund – möglicherweise entdecken gerade jetzt Immunzellen in Ihrem Körper Krebszellen und eliminieren sie. Leider gelingt es manchen Krebszellen jedoch, sich vor dem Immunsystem zu schützen.

Immunzellen gegen Krebs schärfen

Fachleute versuchen, sich die körpereigene Krebsabwehr zu Nutze zu machen und sie zu optimieren. Neben Immuntherapien, die das Immunsystem generell gegen Krebs aktivieren sollen, kommen auch so genannte CAR-T-Zellen zum Einsatz. Dabei entnehmen Ärzte Patienten einen Typ von Immunzellen aus dem Blut, die so genannten T-Zellen. Im Labor programmieren sie diese so um, dass sie Krebszellen effektiv erkennen und abtöten.

Was wie Sciencefiction klingt, ist längst eine etablierte Therapiesäule in der Krebsmedizin: In einer Art Blutwäsche werden die T-Zellen gezielt aus dem Blut herausgefiltert. Anschließend wird ihnen ein Bauplan für einen so genannten chimären Antigen-Rezeptor (Abkürzung: CAR) eingeschleust. Diesen stellen die Immunzellen daraufhin her und tragen ihn an ihrer Oberfläche. Er funktioniert wie ein Schlüssel zu einem Schloss: Die CAR-T-Zellen können so an bestimmte Merkmale auf Krebszellen andocken. Die Zellen werden im Labor vermehrt und dem Patienten über das Blut zurückgegeben.

Bei welchen Krebsarten helfen CAR-T-Zellen?

Zwar werden die T-Zellen individuell aus dem Blut des Patienten gewonnen und für jede Person einzeln im Labor verändert. Doch die Methoden und Materialien, mit der daraus CAR-T-Zellen entstehen, sind standardisiert. Bislang kommen CAR-T-Zell-Therapien bei Krebserkrankungen zum Einsatz, die von B-Zellen ausgehen. Entarten diese Immunzellen, können sie etwa Blut- oder Lymphdrüsenkrebs auslösen.

2018 wurden in der EU die ersten CAR-T-Zelltherapien zugelassen. Sie heißen Axicabtagen, Ciloleucel und Tisagenlecleucel und werden bei akuter lymphatischer Leukämie und diffus großzelligem B-Zell-Lymphom eingesetzt. Mittlerweile behandeln Ärzte auch weitere Erkrankungen mit CAR-T-Zellen wie etwa multiple Myelome, follikuläre Lymphome, Mantelzelllymphome und primär mediastinale großzellige B-Zell-Lymphome.

»Beim multiplem Myelom war nach rund fünf Jahren noch ein Drittel der Patienten krebsfrei«

Langzeitbeobachtungen zeigen viel versprechende Ergebnisse: Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit B-Zell-Krebserkrankungen steigt durch eine CAR-T-Zelltherapien deutlich – vor allem bei jungen Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie. Bei Menschen mit diffus großzelligen B-Zell-Lymphom, deren Krankheit nach einer Chemoimmuntherapie zurückkehrte, sank das Sterberisiko um rund 30 Prozent. Die Hälfte der Patienten lebte vier Jahren später noch. Auch beim multiplem Myelom war nach rund fünf Jahren noch ein Drittel der Patienten krebsfrei.

Da die heute zugelassenen CAR-T-Zellen Oberflächenmerkmale von B-Zellen erkennen und sie sehr effizient zerstören, könnten sie ebenso gegen nicht krebsbedingte Erkrankungen helfen, bei denen B-Zellen eine Rolle spielen. Dazu gehören Autoimmunerkrankungen wie Lupus oder multiple Sklerose. In klinischen Studien wird derzeit untersucht, ob diese Erkrankungen mit CAR-T-Zellen in Schach gehalten oder sogar besiegt werden können

Warum CAR-T-Zellen nicht bei allen Krebserkrankungen wirken

Trotz großer Fortschritte eignet sich eine CAR-T-Zelltherapie derzeit nur für einen kleinen Teil der Krebspatienten. Sie helfen manchen Patienten mit B-Zell-Malignomen, aber leider nicht allen. Und bei anderen Krebsarten zeigen sie in Studien bisher kaum Wirkung. Woran liegt das?

Die meisten zugelassenen CAR-T-Zelltherapien richten sich gegen ein ganz bestimmtes Oberflächenmerkmal auf den B-Zellen, genannt CD19. Dieses Molekül eignet sich sehr gut als Angriffspunkt für eine Krebstherapie, da es ausschließlich auf B-Zellen vorkommt. Die scharf gemachten T-Zellen durchstreifen dann den Körper und zerstören gezielt B-Zellen, ohne lebenswichtige Organe zu schädigen. Ein zentrales Problem praktisch aller Krebstherapien ist, dass sie nicht nur entartetes, sondern ebenso gesundes Gewebe angreifen und dadurch Nebenwirkungen verursachen. Auch bei der CAR-T-Zell-Therapie können gesunde B-Zellen zerstört werden, doch das lässt sich teilweise kompensieren, etwa durch die Gabe schützender Antikörper über Infusionen. Ein anderes Ziel zugelassener CAR-T-Zellen ist das Oberflächenmerkmal BCMA, das ebenfalls hauptsächlich auf B-Zellen vorkommt.

Ein weiterer Grund, warum CAR-T-Zellen gezielt gegen B-Zell-Krebsarten wirken: Die Krebszellen befinden sich meist im Blut, im Knochenmark oder in Lymphknoten. Diese Stellen sind für die CAR-T-Zellen gut über die Blutbahn erreichbar.

Versuche, die CAR-T-Zelltherapien zu verbessern, stoßen auf mehrere Hürden. So fehlen bei vielen Krebsarten tumorspezifische Oberflächenmerkmale wie CD19, die als Angriffspunkt dienen könnten. Zudem schützen sich viele solide Tumoren wie etwa Brust- oder Darmkrebs, indem sie eine Barriere um sich herum bilden oder Stoffe absondern, die Immunzellen bremsen. Deshalb wird in Studien untersucht, CAR-T-Zellen mit anderen Therapien zu kombinieren oder sie für den Einsatz bei soliden Tumoren zu optimieren – etwa dadurch, dass sie weitere Oberflächenmoleküle erkennen oder direkt in Tumoren eingespritzt werden können. Auch arbeiten Wissenschaftler daran, die Bildung so genannter Zytokine gezielt im Bereich des Tumors anzuregen. Diese locken Immunzellen an und können die Immunreaktion verstärken.

CAR-T-Zellen nur an spezialisierten Zentren

Infusionen mit CAR-T-Zellen können gefährliche Nebenwirkungen auslösen. Deshalb werden sie nur in spezialisierten Behandlungszentren verabreicht. Dort kann das entsprechend geschulte Personal Probleme sofort erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen einleiten. Zu den häufigsten Komplikationen zählt das so genannte Zytokinfreisetzungssyndrom, eine überschießende Immunreaktion, die mit Fieber und Schüttelfrost einhergehen kann. In selteneren Fällen drohen Blutdruckabfall oder Atemprobleme. Auch neurologische Beschwerden können als Nebenwirkung der Behandlung auftreten. 

Da die Therapie das Immunsystem schwächt, steigt für Patienten das Risiko für schwere Infekte. Nach der Behandlung besteht außerdem eine erhöhte Gefahr für Krebserkrankungen, die durch die Krebstherapie entstehen. Ob dieses höhere Risiko auf die CAR-T-Zellen und oder auf die Vorbehandlungen mit hoch dosierten Chemotherapeutika und Bestrahlungen zurückzuführen ist, ist noch nicht geklärt – ebenso, ob es tatsächlich höher ist als bei alternativen Therapien. 

Da ich auf die Behandlung solider Tumoren spezialisiert bin, spielen CAR-T-Zellen in meinem Arbeitsalltag bislang keine Rolle. Das könnte sich aber in Zukunft ändern, womöglich in Kombination mit anderen Behandlungsformen. Dazu sind noch mehr Studien notwendig. Die Therapie von B-Zell-Krebserkrankungen haben CAR-T-Zellen allerdings bereits revolutioniert. Sie sind dort zu einer festen Therapiesäule geworden.

Krebstherapien, die die körpereigene Abwehr verstärken, halte ich für sehr vielversprechend. Ich hoffe, dass sich CAR-T-Zellen mit der Zeit noch effektiver machen lassen, um sie bei weiteren Erkrankungen einzusetzen.

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