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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Das Computerspiel Doom und der falsche Wert von Pi

Wie sähe eine Welt mit einem anderen Wert für Pi aus? Das lässt sich mit Doom simulieren. Tatsächlich weicht aber auch in unserem Universum der Wert von Pi von 3,14159… ab.
Ein Bildschirmfoto eines klassischen Egoshooter-Videospiels, das auf einem Monitor angezeigt wird. Im Vordergrund ist eine Hand auf einer Tastatur zu sehen, die das Spiel steuert. Auf dem Bildschirm ist ein Spielcharakter in einer futuristischen Umgebung zu erkennen, der eine Waffe abfeuert. Unten auf dem Bildschirm sind Statusanzeigen für Munition, Gesundheit und Rüstung zu sehen. Das Bild vermittelt eine aktive Spielszene.
Aus heutiger Sicht lässt die Grafik zu wünschen übrig, doch in den 90ern war der Egoshooter Doom ein High-End-Game.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen bis hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen; viele davon können Sie auch im Podcast »Geschichten aus der Mathematik« hören.

Jeder macht mal Fehler. Gerade wenn es um den Wert von Pi geht. Als irrationale Zahl hat sie unendlich viele Nachkommastellen, die sich nicht wiederholen; daher ist es unmöglich, sie exakt abzubilden. Man rundet also. An sich ist das kein Problem – wenn man es nicht handhabt wie das deutsche Steuerrecht, wo sich jahrelang die Zahl 3,12 für Pi fand, was ziemlich krass danebenliegt, schließlich ist π = 3,14159…

Etwas weniger peinlich, aber dafür umso interessanter, ist ein Fehler, den der Spieleentwickler John Carmack Anfang der 1990er Jahre machte. Als er das inzwischen kultige Computerspiel »Doom« programmierte, setzte er den Wert von Pi händisch fest – und ganz in Nerd-Manier schrieb er die Zahl bis zur zehnten Nachkommastelle aus seinem Gedächtnis nieder: 3,141592657.

Fällt Ihnen etwas auf?

Die Sieben ist falsch. Es sollte eigentlich 3,141592654 heißen. Auf das Spiel hat das kaum Auswirkungen: Doom war einer der ersten Egoshooter mit einer 3-D-Grafik und wurde dafür berühmt. Man schlüpft dabei in die Rolle eines Space-Marines, der wegen eines fehlgeschlagenen Teleportationsexperiments auf einem Marsmond in der Hölle landet und dort gegen Dämonen und Zombies kämpft. Grandiose Story, furchtbare Grafik. Das liegt aber nicht an der falschen Pi-Nachkommastelle, sondern daran, dass in den 90ern nur sehr wenig Rechenleistung verfügbar war. Gutes Rendering war unmöglich. Trotzdem machte das Zocken auch damals schon Spaß.

Aber was für Folgen hätte es gehabt, wenn Carmacks Gedächtnis ihn viel früher im Stich gelassen hätte und der programmierte Wert von Pi noch weiter danebenliegen würde? Dieser Frage ging der US-Ingenieur Luke Gotszling nach und präsentierte seine Einsichten 2022 auf dem Chaos Computer Camp in Brandenburg.

Wenn Pi im Computerspiel danebenliegt

Da Doom ein quelloffenes Computerspiel ist, kann man sich den Code herunterladen – und verändern. Das tat Gotszling und testete, was herauskommt, wenn er die einprogrammierten Werte von Pi ändert.

Die vorgestellten Ergebnisse haben bei mir teilweise Übelkeit ausgelöst. Als Gotszling π = 3 festsetzte, erscheint die Doom-Welt verzerrt, und die Wände und Säulen bewegen sich auf unerwartete Weise. Dennoch lässt sich das Game spielen. Der US-Ingenieur ging aber noch weiter und setzte Pi gleich e (die Eulersche Zahl 2,718…) fest. Die seltsamen Effekte verstärken sich; man bewegt sich in der Spielwelt geradeaus, und alle umliegenden Objekte im Spiel weichen zu verschiedenen Seiten aus. Gegner tauchen aus dem Nichts auf und verschwinden wieder. »Mit einem starken Rauschzustand lässt sich das nachstellen«, scherzt Gotszling. Richtig schlimm wird es, als er für Pi den Wert π/2 einsetzt: Wände blitzen auf und verabschieden sich; es fällt schwer, sich zu bewegen, weil immer irgendwelche unsichtbaren Hindernisse im Weg sind. Besonders viel Spaß macht das Spiel in diesem Zustand nicht mehr.

Das ist an sich alles spannend, aber ich habe mich gefragt, warum diese Effekte eintreten. Was bedeutet es, wenn eine so harmlos anmutende Zahl wie Pi plötzlich einen anderen Wert hat?

Pi ist nicht immer 3,14159…

Ursprünglich wurde Pi als das Verhältnis von Kreisumfang zu Kreisdurchmesser definiert. Es geht also um Kreise. In unserer alltäglichen Welt nehmen wir sie als etwas Rundes hin. Doch im engeren mathematischen Sinn ist ein Kreis durch alle Punkte definiert, die den gleichen Abstand zu einem gemeinsamen Mittelpunkt haben. In einer ebenen zweidimensionalen Welt, bei der Abstände als die kürzesten Geraden definiert sind, ist ein Kreis rund.

Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie stehen in der Innenstadt von Manhattan – oder notfalls Mannheim. Wenn Sie nun herausfinden wollen, welche Orte in einem Abstand von exakt einem Kilometer von Ihnen entfernt liegen, erhalten Sie kein rundes Ergebnis. Der ursprüngliche Kreis, den Sie auf einem ebenen Feld vorfinden würden, sieht in Manhattan oder Mannheim plötzlich ganz anders aus. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie können nicht durch Wände gehen. Stattdessen müssen Sie dem schachbrettförmigen Straßenverlauf folgen. Ein Kreis hat in der »Manhattan-Metrik« (wie es im Mathe-Jargon heißt) also eine eckige Form. Und wenn man Pi in dieser Welt wieder als Verhältnis von Kreisumfang zu Kreisdurchmesser definiert, nimmt die Kreiszahl völlig andere Werte an: In der Manhattan-Metrik ist Pi exakt 4.

Manhattan-Metrik | Möchte man die Distanz zwischen zwei Orten wie Manhattan und Mannheim angeben, kann man die Luftlinie nehmen (grün). Deren Länge lässt sich mit der euklidischen Metrik bestimmen. Die tatsächliche Entfernung lässt sich aber mit der Manhattan-Metrik berechnen (blau, rot oder gelb), da man sich nur entlang rechter Winkel durch die Straßen bewegen kann.

Mit Orten wie Manhattan oder Mannheim lässt sich zwar veranschaulichen, dass Pi auch andere Werte annehmen kann – die Beispiele sind allerdings schlecht auf Doom übertragbar: Schließlich kann man sich in dem Spiel frei in jede Raumrichtung bewegen. Was bedeutet es also, wenn Pi in einer kontinuierlichen Welt einen anderen Wert hat?

Nichteuklidische Geometrie

Wenn man es genau nimmt, ist auch in unserer Welt der Wert von Pi nicht exakt gleich 3,14159… Stattdessen nimmt das Verhältnis von Kreisumfang zu Kreisdurchmesser einen anderen Wert an – und schlimmer noch: Dieser variiert!

Stellen Sie sich hierfür vor, dass Sie auf dem Nordpol stehen und alle Orte betrachten, die exakt 1000 Kilometer von Ihnen entfernt sind. Diese bilden einen Kreis auf der Kugeloberfläche – dessen Umfang ist aber kleiner als im ebenen Fall, da man die Krümmung der Erde mitberücksichtigen muss. Der Effekt wird umso stärker, je stärker man sich dem Äquator nähert; der entsprechende Wert von Pi weicht immer mehr vom gewohnten Zahlenwert 3,14159… ab. Das lässt sich für eine Kugel auch als exakte Formel ausdrücken:

π=UmfangDurchmesser=πsin(r/rKugel)r/rKugel

Der neue Wert von Pi ist also nicht konstant, sondern hängt vom Radius des Kreises ab. Und das ist nicht nur der Fall, wenn man eine Kugeloberfläche betrachtet. Jede Art von gekrümmter Oberfläche liefert veränderliche Werte für Pi.

Kreis auf einer Kugel | Betrachtet man alle Punkte mit gleichem Abstand r zum Nordpol, dann beschreiben sie einen Kreis (rot). Dieser hat allerdings einen kleineren Umfang, als wenn man einen Kreis in der Ebene mit Radius r zeichnet.

Solche gekrümmten Welten bezeichnen Mathematiker als »nichteuklidische« Geometrien. Grund hierfür ist, dass in diesen Umgebungen nicht mehr die Postulate von Euklid gelten, die der antike Gelehrte vor mehr als 2000 Jahren aufstellte. Vereinfacht gesagt beschrieb Euklid jene Regeln, die wir auch im Geometrieunterricht in der Schule lernen, unter anderem, dass sich Parallelen niemals schneiden.

In seinem Vortrag zur trippigen Doom-Welt spricht auch Gotszling von nichteuklidischen Geometrien. Doch aus mathematischer Sicht trifft diese Bezeichnung hier nicht zu: Denn im Doom-Universum ist Pi stets eine Konstante – in nichteuklidischen Geometrien trifft das hingegen nicht zu.

Was beschreibt die trippige Doom-Welt?

Um zu verstehen, was für eine Art von Welt Gotszling durch seine Anpassungen von Pi erschafft, muss man die Rolle von Pi im Quellcode des Spiels untersuchen. Dafür müssen wir uns wieder in die 1990er Jahre zurückversetzen: eine Zeit, in der jede Rechenoperation sehr viele Ressourcen frisst. Daher hat man versucht, jede Art von Berechnung, die anfallen kann, schon im Voraus zu bestimmen und in »Lookup-Tables« zu speichern.

Wenn man eine 3-D-Grafik für ein Computerspiel entwickeln will, spielen trigonometrische Funktionen wie Sinus, Kosinus und Tangens eine wichtige Rolle. Durch sie lässt sich beschreiben, wie sich Objekte zeitlich durch den Raum bewegen (in der Ego-Perspektive wirkt es schließlich so, als würde die Umgebung an einem selbst vorbeiziehen). Um Rechenleistung zu sparen, haben die Doom-Entwickler im Voraus wichtige Werte der trigonometrischen Funktionen für verschiedene Winkel berechnet und in den Lookup-Tables gespeichert. Und hier kommt Pi ins Spiel: Man muss einen Winkel im Grad-Maß mit Pi multiplizieren, um den entsprechenden Wert in Radiant zu erhalten, mit dem der Computer arbeitet.

Wenn Gotszling also einen zu kleinen Wert von Pi einsetzt, werden die Winkel falsch umgerechnet. Da die Entwickler nur endlich viele Winkel abspeichern, erzeugt Gotszling Lookup-Tables mit Werten, die nicht mehr die vollen Rotationen enthalten: Anstatt eine Umgebung zu beschreiben, in der ein Objekt erst nach einer 360-Grad-Drehung wieder am selben Ort erscheint, tritt das bereits nach einem deutlich kleineren Winkel ein. Das erklärt, warum in den Extremsituationen plötzlich Objekte verschwinden oder wieder aus dem Nichts auftauchen.

Die Doom-Welt mit fehlerhaftem Pi ist enorm seltsam – aber sie beschreibt keine nichteuklidische Geometrie. Dennoch bringt Gotszlings Experiment einige Menschen dazu, über Mathematik und insbesondere Pi nachzudenken, was ich sehr schön finde. Und die Inspiration dafür verdanken wir nur einem kleinen Fehler, der dem Spieleentwickler unterlief. Fehler haben manchmal auch etwas Gutes.

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