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Lobes Digitalfabrik: Cookies beim Kekskaufen

Auch in physischen Ladenflächen werden Kunden getrackt und per Gesichtserkennung nach Alter und Geschlecht sortiert. Am Ende wird der Kunde selbst zur Ware.
Technik im Supermarkt

Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass man im Netz Spuren hinterlässt. Webseitenbetreiber nutzen Tracking-Technologien wie Cookies, um Nutzer wiederzuerkennen und ihnen personalisierte Werbung zu zeigen. Wer beispielsweise nach »Urlaub Mallorca« googelt, sieht Anzeigen zu Ferienwohnungen. Doch nicht nur im virtuellen, auch im physischen Raum werden Kunden getrackt – zum Beispiel in Supermärkten.

Vor wenigen Wochen kündigte die US-Drogeriemarktkette Walgreens an, in ihren Filialen smarte Kühlregale (»Cooler Screens«) zu installieren, die mit Kameras und Sensoren ausgestattet sind und Kunden personalisierte Werbung zeigen. Mit Hilfe einer Gesichtserkennungssoftware ermitteln die Kühlschränke Geschlecht und Alter der Kunden sowie das Produkt, das diese in den Wagen legen. Firmen, die Anzeigenplätze auf den Cooler Screens buchen, können dann auf Grundlage dieser Daten beispielsweise sehen, welcher Typ von Käufer sich für ihre Produkte interessiert. Dank Iris-Tracking-Software soll das smarte Kühlsystem zudem in der Lage sein, die Blickrichtung des Kunden zu erfassen. So erfährt der Drogeriemarktbetreiber, welche Bereiche seines Regals besonders viel Aufmerksamkeit bekommen.

Auch in Deutschland kam die Technik bereits zum Einsatz. In Filialen der Deutschen Post sowie der Supermarktkette Real wurden Kunden mit einer Gesichtserkennung ausgespäht. Am Kassenbereich waren Werbebildschirme mit einer integrierten Kamera installiert, die Alter und Geschlecht der Kunden sowie ihre Blickrichtung analysierte. Damit sollte die Qualität der ausgestrahlten Werbefilme gemessen werden. Die Datenschutzorganisation Digitalcourage erstellte Strafanzeige gegen Real und die Deutsche Post wegen Verstoß gegen Datenschutzrecht. Daraufhin wurde die Praxis eingestellt.

Die britische Supermarktkette Tesco plante bereits 2013 Hightech-Screens an Tankstellen zu installieren, um die Gesichter der Kunden zu analysieren und maßgeschneiderte Werbung auszuspielen. Es erinnert an den Sciencefiction-Streifen »Minority Report«, wo Tom Cruise durch eine videoüberwachte Mall läuft und in den Schaufenstern personalisierte Werbung sieht. In den Niederlanden wurden an Bahnhöfen digitale Werbetafeln postiert, die mit versteckter Kamera aufzeichneten, ob die Werbung von Passanten gesehen wird. Das schwedische Unternehmen Tobii forscht schon seit Jahren an Eye-Tracking-Systemen, die die Blickbewegungen erfassen. Ein Eye-Tracker besteht in der Regel aus Kameras, Lichtquellen und Algorithmen. Der Projektor sendet infrarotnahes Licht aus, das vom menschlichen Auge reflektiert wird. Kameras erfassen Auge und Reflexionsmuster. Auf Basis der Daten errechnen Bildverarbeitungsalgorithmen die Position des Auges. Dabei geht es vor allem um die Erfassung der Fixationszahl und Fixationsdauer, also welche Bildpunkte das Auge anvisiert und wie lange.

Für die Marktforschung ist Eye-Tracking eine interessante Technologie, gerade vor dem Hintergrund, dass das Warenarrangement in Supermärkten vor allem unseren Sehsinn anspricht. Starrt der Kunde auf die Schokolade? Wie lange schaut er auf das Preisschild? Sucht er nach bestimmten Inhaltsstoffen? Hat er Feuer in den Augen, wenn er Rabattaktionen sieht?

Die US-Bürgerrechtsorganisation ACLU kritisiert, dass Eye-Tracking noch viel mehr Informationen aus dem menschlichen Auge herauslesen könne, zum Beispiel kognitive Störungen, Drogen- und Alkoholmissbrauch oder eine HIV-Erkrankung. Besonders perfide wäre es natürlich, wenn man einem Alkoholiker Rabattaktionen für Spirituosen anzeigt. Aus den biometrischen und Konsumdaten ließen sich detaillierte Psychogramme erstellen: Frau, Mitte 40, kommt zweimal pro Woche in den Supermarkt, steht zehn Minuten an der Fleischtheke und beobachtet den Bildschirm auffällig lange bei Unterwäschewerbung.

Das Problem ist, dass sich diese sensiblen Daten nicht so einfach verbergen lassen. Man müsste sich schon eine Augenbinde oder zumindest eine getönte Brille aufsetzen, um verzerrte Daten zu produzieren und die Eye-Tracking-Systeme in die Irre zu führen. Aber will man das? Bräuchte es womöglich bald auch für physische Ladenflächen Werbeblocker wie im Netz, mit der sich Werbung unterdrücken lässt?

Datenschützer fordern schon seit Längerem einen Stopp der Technologie. Doch je stärker die Überwachungstechnologie in den Konsum eingewoben ist – in einer Filiale der Fastfood-Kette KFC in China kann man seinen Burger per Gesichtsscan bezahlen –, desto schwieriger wird es, sie regulatorisch einzuhegen.

Wie die Zukunft des Einkaufens aussehen könnte, demonstriert Amazon mit seinen Go-Shops in Seattle und Chicago. Der Kunde identifiziert sich beim Betreten des Ladens mit einer App, indem er sein Handy wie an einem U-Bahn-Drehkreuz auf einen Scanner hält, steckt seine gewünschten Artikel in die Tasche und checkt am Ende des Einkaufs kontaktlos aus. Eine Kasse gibt es nicht mehr, die Bezahlung erfolgt automatisch über den Amazon-Account. »Grab and Go« nennt Amazon diese Technologie. Damit das System funktioniert, muss der Kunde jedoch lückenlos überwacht werden. In dem Supermarkt sind hunderte Kameras und Infrarotsensoren installiert, die registrieren, wenn der Kunde durch die Regale läuft und einen Artikel aus dem Regal nimmt. Der Komfort, nicht mehr an der Supermarktkasse anstehen zu müssen, hat einen Preis: Der Kunde wird im Überwachungskapitalismus selbst zur Ware.

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