Freistetters Formelwelt: Was scheiden Sterne aus?

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Ich freue mich immer dann besonders, wenn ich in wissenschaftlichen Forschungsarbeiten auf Themen stoße, die ich dort eigentlich nicht erwartet habe. Denn dann wird es meistens sehr interessant.
Bei der Recherche zu einem Umweltschutzprojekt zur Wiederherstellung ausgetrockneter Böden habe ich die Arbeit eines spanischen Forschungsteams entdeckt, das sich mit Nostoc commune beschäftigt. Das ist eine Art von Cyanobakterien, die besonders gut mit wenig Wasser klarkommen. Diese Stickstoff fixierenden Bakterien lassen sich gut züchten, und die dabei entstehende Biomasse kann verwendet werden, um die Erosion von Böden zu verhindern und ihre Fruchtbarkeit zu erhöhen. Um zu untersuchen, wie gut Nostoc commune wächst, haben Fachleute ein mathematisches Modell verwendet:
μ ist dabei die spezifische Wachstumsrate der Cyanobakterien, die von der idealen Wachstumsrate μmax abhängt, die unter idealen Lichtbedingungen erreichbar ist. Ik ist eine Konstante, welche die Lichtintensität angibt, bei der die Wachstumsrate gerade halb so groß wie die maximale Rate. Iav ist die mittlere Intensität des Lichts, und der Parameter n beschreibt die Form der Wachstumskurve (und wird in der Arbeit aus der Beobachtung des Bakterienwachstums in Experimenten bestimmt). Am Ende kommen die Forscherinnen und Forscher zu dem Ergebnis, dass sich Nostoc commune durchaus zur Verbesserung schlechter Böden züchten lässt – und dass ein solches Verfahren günstiger ist als bisherige Methoden.
Das finde ich spannend; mir selbst ist Nostoc commune aber in einem ganz anderen Zusammenhang begegnet. Der Schweizer Arzt, Alchemist und Philosoph Theophrastus Bombastus von Hohenheim, den man eher unter dem Namen Paracelsus kennt, hat 1530 ein »Buch der Himmelserscheinungen« geschrieben und darin behauptet, dass Wetterphänomene durch Sterne entstehen. Blitze werden demnach von »Blitzsternen« erzeugt, Wind von »Windsternen« und so weiter. Sterne würden sich außerdem von Feuer ernähren, und wenn ein Stern Nahrung aufnimmt, muss er auch wieder etwas ausscheiden. Oder – wie Paracelsus es damals beschrieb: »Und auff das was sich mit Speiß un trincken erhalt, das muß sein Excrementum geben.«
Ein Bakterium als Sternenauswurf
Dafür hatte er sogar Belege: Immer wieder könne man in der Nacht diese Sternen-Exkremente sehen; nämlich als das, was wir normalerweise etwas poetischer als Sternschnuppen bezeichnen. Und was davon am Boden landet, wandele sich in einen grünlichen Schleim. Diesen kann man auch heute noch beobachten. Immer wieder, vor allem nach starken Regenfällen, sieht man am Boden eine entsprechende Masse auftauchen. Im deutschsprachigen Raum wird das Phänomen als »Teufelsdreck« oder »Hexenkaas« bezeichnet, in Frankreich nennt man es »crachat de lune«, also Mondspucke. Und in Italien, ganz im Sinne von Paracelus: »purgazione delle stelle«, also Sternenauswurf.
Mit Sternen hat die glibberige Masse aber natürlich nichts zu tun. Es handelt sich um Kolonien von Nostoc commune. Die Bakterien bilden lange Fäden aus Zellen, die sich zu noch größeren Gruppen zusammenfinden und mit einer Hülle aus Schleim umgeben. Ist es trocken, schrumpft die Masse zu einer dünnen, kaum sichtbaren Schicht zusammen, die nicht weiter auffällt. Wenn es aber regnet, nimmt die Nostoc-Kolonie das Wasser auf und quillt zu einem Haufen Glibber auf, der kaum zu übersehen ist.
Man kann Nostoc übrigens auch essen, in China gibt es entsprechende Rezepte für das »Gemüse der himmlischen Unsterblichen«, wie man dort etwas appetitlicher zu Nostoc commune sagt. Und wer es doch etwas eklig findet, den »Sternenauswurf« zu essen, kann die Masse trotzdem einsammeln und den eigenen Garten damit düngen.
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