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Storks Spezialfutter: Dann sterben sie halt aus

Sobald wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen, hilft seltenen Arten selbst der strengste Schutzstatus nicht weiter. Das zeigt sich gerade an der Mosel, berichtet unser Kolumnist.
Ein roter Hubschrauber sprüht Flüssigkeit über einen steilen Weinberg, umgeben von dichtem, grünem Wald. Die Aktion findet an einem sonnigen Tag statt, was auf landwirtschaftliche Pflege und Pflanzenschutzmaßnahmen hinweist.
Seit 2011 dürfen die Hubschrauber mit Pflanzenschutzmitteln nur noch mit Ausnahmegenehmigung über den Weinbergen der Mosel aufsteigen. Der Ausnahmefall ist bislang allerdings in jedem Jahr eingetreten.
Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Schon mal einen Mosel-Apollofalter gesehen? Nein? Dann wird es aber höchste Zeit – wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Mit einer Flügelspannweite von bis zu siebeneinhalb Zentimetern gehört er zu den größten Schmetterlingen in Deutschland. Und schön ist er auch: Die großen Flügel sind sehr hübsch mit schwarzen und roten Flecken auf hellem Untergrund verziert. Der Apollofalter, der in den steilen Hängen der Weinberge an der Mosel lebt, genießt gleich dreifachen Schutz: in Deutschland nach dem Bundesnaturschutzgesetz; europaweit, weil er im Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie steht; und weltweit, weil gemäß dem Washingtoner Artenschutzabkommen alle Unterarten des Falters streng geschützt sind. Und trotzdem ist er nur noch einen Flügelschlag vom Aussterben entfernt.

In den 1970er und 1980er Jahren ging es schon einmal steil bergab mit ihm, als die Moselwinzer große Mengen an Insektiziden auf die Weinberge sprühten. Nachdem der Einsatz der Mittel auf Initiative von Naturschutzvereinen eingeschränkt wurde, ging es wieder aufwärts mit der Art. Bis 2012. Damals begannen die Winzer, neu zugelassene Pestizide gegen Pilzkrankheiten mit Hubschraubern versprühen zu lassen. Diese Methode ist seit 2011 gesetzlich verboten. Es kann aber mit besonders begründeten Ausnahmegenehmigungen gestattet werden. Das ist an der Mosel jedes Jahr der Fall.

In einer Analyse zu den Pestiziden und zur Gefährdung des Mosel-Apollofalters attestierte das Umweltbundesamt einigen Mitteln eine so hohe Giftigkeit, »dass eine Anwendung nur mit einem Sicherheitsabstand von – je nach Mittel – 5 bis 30 Metern zu Vorkommen des Schmetterlings vertretbar ist«. Mit dem Hubschrauber lässt sich so ein Abstand nicht einhalten, weil große Mengen der Pestizide durch den Wind unkontrolliert verdriftet werden.

Das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat trotzdem eine Genehmigung erteilt, die keine Vorschriften zu Sicherheitsabständen macht. Der Zusammenhang zwischen den Fungiziden und dem Populationsrückgang des Falters sei bisher wissenschaftlich nicht belegt. Auch ein Eilantrag der Deutschen Umwelthilfe und eines lokalen Naturschutzvereins gegen den Hubschraubereinsatz wurde vom Verwaltungsgericht Koblenz im Mai 2025 abgelehnt.

Mosel-Apollofalter | Parnassius apollo viningensis kommt nur in einem kleinen Gebiet an den offenen Steilhängen der Mosel vor. Hier findet er vor allem in den Trockenmauern die Pflanzen, auf die seine Raupen angewiesen sind.

Der Apollofalter ist tot – lang lebe der Apollofalter!

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit argumentiert in seiner Begründung für die Ausnahmeregelung durchaus perfide, dass das Sprühen der giftigen Stoffe den Apollofaltern am Ende sogar nütze, weil es die einzige Möglichkeit sei, den Weinbau in Steillagen rentabel zu halten. Es ist ja richtig: Aufgegebene Weinberge wuchern zu, wodurch die Schmetterlinge ihren Lebensraum verlieren.

Doch es wäre eben durchaus möglich, das Ausbringen der Fungizide so zu optimieren, dass die Apollofalter und ihr Lebensraum nicht gefährdet würden. Zum Beispiel durch den Einsatz von Drohnen. Die können tiefer fliegen als Hubschrauber und zielgenauer spritzen. Dadurch würden nicht mehr so viele giftige Stoffe verdriftet. Allerdings wäre das neue Verfahren aufwändiger und erst mal teurer.

Weil es ums Geld geht, wird der Mosel-Apollofalter wohl bald aussterben. Da hilft ihm auch sein dreifacher Schutzstatus nicht weiter.

Wird unser individuelles Leben ärmer oder schlechter, weil ein Schmetterling aus der Landschaft verschwindet, den kaum einer kennt? Oder eine unscheinbare Maus? Oder Fischarten, die jeweils nur in einem einzelnen oberbayerischen See lebten, und selbst von Fachleuten kaum von verwandten Arten zu unterscheiden sind?

Nicht unbedingt. Wer nicht weiß, was ein Buchfink ist, ein Star oder Kleiber, hat vermutlich auch keine Kapazitäten, um sich für das Schicksal vom Aussterben bedrohter Exoten zu interessieren. Die Artenkenntnis unter Jugendlichen ist seit Jahren erschreckend gering.

Vielfalt macht zufriedener

2021 zeigten Wissenschaftler allerdings, dass sich eine große Artenvielfalt durchaus positiv auf unsere Lebenszufriedenheit auswirkt. Dass zehn Prozent mehr Vogelarten in unserem Umfeld uns genauso glücklich machen wie eine zehnprozentige Gehaltserhöhung.

Ich für meinen Teil kann das bestätigen. Für mein Wohlbefinden macht es durchaus einen Unterschied, ob im Frühling in einer Landschaft zehn Vogelarten gleichzeitig zu hören sind oder null bis zwei. (Ein großartiges Hilfsmittel, um die Vogelstimmen richtig zuzuordnen, ist übrigens die kostenlose App Merlin Bird ID).

Die Monetarisierung und Monotonisierung der Landschaft erinnert an das Sterben der kleinen Bäckereien zu Gunsten der Großbetriebe. Macht das die Brötchen günstiger? Ja. Macht es unser Leben eintöniger? Auch. Wollen wir das wirklich? Dann haben wir es wahrscheinlich nicht anders verdient.

Im März 2019 erschien die erste Ausgabe dieser Kolumne, heute, sechs Jahre und genau 64 Kolumnen später, endet sie. Dazwischen lag das erste Laborhuhn, fuhren Bauern in die ganz falsche Richtung, wurde die Ökodiktatur doch wieder abgeblasen. Und einmal, aber wirklich nur einmal, fand sogar die EU den Weg zurück zur Natur. Ich hoffe, auch für Sie war ausreichend Spezialfutter zum Nachdenken dabei. Allen Leserinnen und Lesern, die der Kolumne über die Jahre die Treue gehalten haben, sage ich ein herzliches Dankeschön! Sämtliche Beiträge zum Nachlesen finden Sie übrigens hier.

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