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Lobes Digitalfabrik: Das Auto wird zur Nanny

Autobauer arbeiten an einer Personalisierung des Fahrerlebnisses – Sensoren sollen dem Fahrer Wünsche von Lippen ablesen. Doch das birgt Risiken der Überwachung.
Das allwissende Auto fährt mit zahlreichen Sensoren

Autofahrer, die sich ein Fahrzeug teilen, kennen das Problem: Nach jedem Einsteigen muss der Sitz wieder in die richtige Position gebracht, Außen- und Rückspiegel neu justiert und vielleicht der Lieblingssender neu eingestellt werden. Autobauer arbeiten daher an biometrischen Systemen, welche die Einstellungen speichern und den Fahrer per Gesichts- oder Spracherkennung identifizieren. Der Autozulieferer Continental hat in diesem Jahr ein biometrisches Zugangssystem vorgestellt, das eine weitere Sicherheitsebene ins Fahrzeug bringt. Zum Motorstart reich es nicht mehr, dass der Fahrer den Zündschlüssel ins Schloss steckt – der Wagen startet erst, wenn die Authentifizierung durch einen Fingerprintsensor erfolgt. "Durch diese 2-Faktor-Authentifizierung wird der Diebstahlschutz des Fahrzeugs deutlich erhöht", heißt es bei Continental. Der Fingerabdruck wird zum Schlüsselersatz.

Darüber hinaus ermöglichten die biometrischen Elemente eine "echte Individualisierung des Fahrzeugs", so das Unternehmen. Das System ist mit einer Innenraumkamera verknüpft, die das Gesicht des Fahrers erkennt und Fahrzeugeinstellungen wie Sitz- und Spiegelposition, Musik, Temperatur und Navigation automatisch für den jeweiligen Fahrer personalisiert. Das System speichert die Einstellungen des Fahrers; Sitz und Rückspiegel würden sich bei jedem Fahrerwechsel automatisch justieren. "Es geht nicht nur um Personalisierung", sagte Zachary Bolton, Ingenieur bei Continental, der "New York Times". "Wir können den Lichtblick, das Blitzen in den Augen, nutzen, um präzise zu bestimmen, wohin man schaut." Auch das auf der diesjährigen Consumer Electronics Show in Las Vegas präsentierte Konzept Chrysler Portal von Fiat Chrysler (FCA) soll Fahrer per Gesichtsscan bestätigen, Sitzhöhe und Fahrmodus anpassen und sogar ein Fahrziel auf Grund der vergangenen Routen vorschlagen. Das Auto von morgen weiß nicht nur, wo der Fahrer überall herumfährt, sondern auch, wer drinsitzt. Big Brother schaut über das Lenkrad.

Auch Konkurrent Ford arbeitet an der Vollvernetzung seiner Fahrzeuge. Das Infotainment-System SYNC 3 ermöglicht schon heute Sprachsteuerung (zum Entgegennehmen von Telefonaten mit der Freisprecheinrichtung oder Abspielen von Musiktiteln) und ist auf dem US-Markt bereits mit Amazons Sprachsteuerung Alexa verbunden. Die Zukunftsvision von Ford ist, dass das Fahrassistenzsystem zu einem fürsorglichen virtuellen Assistenten wird. Dieser soll wie ein Lebenspartner Wünsche von den Lippen ablesen – Pizza bestellen, wenn man zu müde zum Kochen ist. Lieblingslieder abspielen, wenn man gerade down ist. "Liebt Ihr Auto Sie mehr als Ihr Partner?", ist eine Pressemeldung des Autobauers überschrieben. In den nächsten zwei Jahren sollen Spracherkennungssysteme Vorschläge unterbreiten wie zum Beispiel "Möchten Sie für Ihre Mutter Blumen zum Muttertag bestellen?" oder den dezenten Hinweis geben, dass die Schokoladenvorräte an Bord zur Neige gehen und der nächste Shop auf der Strecke gerade die Lieblingssorte im Angebot hat.

"Sprachkommandos wie 'Ich bin hungrig', um ein Restaurant zu finden, oder 'Ich brauche Kaffee' haben das Infotainmentsystem bereits auf das Terrain des persönlichen Assistenten gebracht", wird Mareike Sauer, Softwareingenieurin bei Ford, in der Pressemeldung zitiert. Das Auto soll nicht nur Transportmittel und Unterhaltungsmedium sein, sondern eine mobile Lebensberatung – ein "empathisches Fahrzeug", wie es bei Ford heißt. Nur: Damit der Assistent den Fahrer kennt, muss das System jede Menge Daten sammeln. Moderne Autos sind Computer auf Rädern, die aus dem Fahrverhalten detaillierte Persönlichkeitsprofile ableiten können. Fährt er aggressiv? Ist er eher entspannt? Irgendwann kennt das Auto nicht nur unsere Fahrgewohnheiten, sondern auch unsere Vorlieben besser als wir selbst.

Und der Datenschutz?

Honda hat auf dem Genfer Automobilsalon 2017 sein autonom fahrendes und elektrisch angetriebenes Konzeptfahrzeug NeuV vorgestellt, das mit einem "Emotion Engine", einem mit künstlicher Intelligenz versehenen Bordcomputer, ausgestattet ist, der in der Lage ist, eigene Emotionen zu entwickeln. Der künstlich intelligente Fahrassistent soll aus dem Fahrverhalten Emotionen ableiten und auf dieser Grundlage Empfehlungen wie etwa Musikvorschläge unterbreiten. Zeig mir, wie du fährst, und ich sage, welche Musik dir gefällt. Es hat auch einen praktischen Sicherheitsnutzen: Schaut der Fahrer auf die Fahrbahn? Ist er abgelenkt? Dann interveniert der Fahrassistent. Ein ruhiger Fahrer fährt sicherer als ein angespannter, gereizter Fahrer, der einen aggressiven Fahrstil an den Tag legt. Das alles dient der Sicherheit und dem Komfort des Fahrers. Doch das Emotiontracking birgt auch Risiken.

Gesichter enthalten sensible biometrische Merkmale. Eye-Tracking-Systeme könnten zum Beispiel erkennen, ob der Fahrer betrunken ist oder unter Drogeneinfluss steht. Aus den Augen lassen sich zudem Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes ablesen. Diese Daten könnten Automobilhersteller an Krankenkassen weitergeben. Datenschützer sind alarmiert.

Jeremy Gillula, Technologie-Experte bei der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, der sich in seiner Forschung viel mit Datenschutz und dem Tracking von (autonomen) Fahrzeugen beschäftigt, sagt im Gespräch mit "Spektrum.de": "Die Privatsphärebedenken fokussieren auf die Frage, ob die im Fahrzeug erhobenen Daten gespeichert und weitergeleitet werden. Wenn die Information nur in dem Moment genutzt wird, sind die datenschutzrechtlichen Bedenken gering. Wenn die Information aber gespeichert wird, wirft das die Frage auf, welche Form der Kontrolle der Fahrer über diese Daten hat."

Eine Untersuchung des ADAC im Auftrag der FIA anhand eines BMW 320d ergab, dass in allen Steuergeräten Fehler oder ungewöhnliche Betriebssituationen gespeichert und diese Daten (etwa individuelle Einstellungen wie die Sitzposition) nach außen gesendet werden. Das Problem: Diese Daten sind für den Besitzer nicht einsehbar und auch über Werkstätten nur schwerlich auslesbar. Vor allem weiß der Besitzer nicht, welche Daten über ihn erhoben werden und wo sie am Ende landen. Datenschutzexperte Gillula konstatiert: "Es ist möglich, dass Autobauer Systeme wie das Emotiontracking nutzen, um festzustellen, ob der Fahrer betrunken oder unter Drogeneinfluss steht, schon bevor das Fahrzeug startet." Wenn diese Information dazu genutzt werde, einen alkoholisierten Fahrer am Losfahren zu hindern und möglicherweise vor einem Unfall zu schützen, wären die datenschutzrechtlichen Bedenken gering, so Gillula. Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit wiegt höher als die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen, dessen mögliche Alkoholfahrt ohnehin nicht schutzwürdig ist. Trotzdem glaubt Gillula, dass, wenn diese Informationen an den Autobauer oder sogar die Polizei übermittelt würden, viele Fahrer die Kameras wie die Laptopkamera abkleben. Als Selbstschutz. Zumindest dann kann Big Brother im Auto nicht mehr zuschauen.

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