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Freistetters Formelwelt: Das Bienen-Kraftfeld

Das Verhalten einzelner Tiere kann man nur bedingt vorhersagen. Einen ganzen Schwarm dagegen kann man mit den Methoden der Mathematik durchaus in den Griff bekommen.
Bienen

Gestern habe ich auf meinem Balkon die ersten Bienen der Saison gesehen. Draußen ist es schon warm genug, um die Insekten nach der Winterruhe wieder aus dem Bienenstock zu treiben. Ich weiß nicht, von welchem Stock aus die Tiere den Weg zu meinem Balkon gefunden haben, aber man kann davon ausgehen, dass die Bienen selbst die Orientierung behalten und den Rückweg gefunden haben.

Schwerer haben sie es allerdings, wenn die ganze Kolonie umziehen muss. Wenn sich ein ganzer Bienenschwarm auf den Weg zu einem neuen Nest macht, kennen nur zirka fünf Prozent der Tiere den korrekten Weg. Trotzdem kommen am Ende alle im neuen Heim an, und wie sie das tun, ist nicht nur Gegenstand der biologischen Forschung, sondern auch von mathematischem Interesse. Ziemlich komplexer Mathematik, wie man an dieser Formel sehen kann:

Dieser lange Ausdruck ist nur ein Teil einer noch längeren Reihe an Formeln, die verwendet werden, um die Mechanismen der Schwarmsteuerung bei Bienen zu untersuchen. Die Kundschafterbienen wissen, wo das neue Nest zu finden ist. Sie müssen den Rest des Schwarms sicher dorthin bringen. Um dessen Bewegung mathematisch zu formulieren, geht man von einem Set an Gleichungen aus, die die zeitliche Veränderung des Orts und der Fluggeschwindigkeit der einzelnen Bienen beschreiben.

Damit der Schwarm kompakt bleibt, müssen Bienen, die einander zu nahe kommen, sich wieder ein Stück voneinander entfernen – und umgekehrt sich nähern, sollten die Abstände zwischen ihnen zu groß werden. Mathematisch wird das in den Gleichungen durch einen Ausdruck formuliert, der einem Kraftfeld entspricht, das auf die Bienen wirkt.

Der Schwarm muss aber auch kollektiv in die richtige Richtung fliegen, und das wird im mathematischen Modell mit der obigen Formel erreicht. Sie beschreibt eine Kraft, die auf die Insekten wirkt und sie zwingt, sich an die Flugrichtung der Tiere anzupassen, die in ihrem jeweiligen Sichtfeld sind. Die Kraft auf die i-te Biene (Fi) hängt dabei von der Anzahl ni der anderen Bienen ab, die Einfluss auf die Bewegung nehmen können.

Wie Kundschafter den Schwarm steuern

Mit x und v werden Position und Geschwindigkeit der Bienen bezeichnet; der Parameter aij berücksichtigt, dass jede Biene immer nur einen Teil des Schwarms sehen kann. Cal beziehungsweise lal sind Ausdrücke, die modellieren, wie stark sich die Bienen an ihren Nachbarn orientieren.

Konkret folgt aus der Formel, dass es vor allem auf die Geschwindigkeit ankommt: Schnelle Bienen üben – im mathematischen Modell! – eine »Angleichungskraft« aus, die dazu führt, dass die langsameren ihre Flugrichtung entsprechend anpassen. Und tatsächlich zeigen Beobachtungen realer Bienenschwärme, dass es typischerweise die Kundschafterbienen sind, die im Schwarm am schnellsten fliegen.

Würden sie jedoch konstant schneller als die restlichen Bienen fliegen, würden diese irgendwann abgehängt werden; es muss also noch weitere Mechanismen geben; die Kundschafter müssen regelmäßig warten oder sich immer wieder zurück ans Ende des Schwarms fallen lassen. Doch wie das im Detail funktioniert und wie nahe das mathematische Modell der Realität kommt, ist immer noch nicht komplett verstanden.

Sehr gut funktionieren die mathematischen Modelle des Schwarmverhaltens dagegen in nichtbiologischen Anwendungsbereichen. Zum Beispiel, um dafür zu sorgen, dass sich computergenerierte Menschenmengen in Filmen realistisch verhalten. Die Algorithmen können allerdings auch zur autonomen Steuerung militärischer Drohnen verwendet werden, die dann als Schwarm fliegen und angreifen können. Die Mathematik kennt eben leider keine Moral: Sie funktioniert für Bienen ebenso wie für Waffen.

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