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Mensch-Tier-Mischwesen: Warum wir Chimären brauchen

Aus den ethischen Problemen der Biotechnologie gibt es keinen »sauberen« Ausweg. Wir müssen uns entscheiden - und für die Konsequenzen Verantwortung übernehmen.
Nein, liebe Kinder, Labormäuse werden real nicht so gehalten.

Menschliche Organe aus eigens gezüchteten Tieren sollen die größten Probleme der klassischen Organspende lösen. Doch sie kommen mit ihrem eigenen Ballast: Für diese Technik muss man Mischwesen aus menschlichen und tierischen Zellen erzeugen. Das hat potenziell schwer wiegende ethische Konsequenzen, und zwei aktuelle Studien, die über bisherige Experimente hinausgehen, haben diese Diskussion wieder angestoßen.

Die Frage führt weit hinaus aus der Komfortzone vieler Menschen. Zur Debatte steht der besondere moralische Status der so geschaffenen Organismen – machen die enthaltenen menschlichen Zellen sie schon zu etwas Besonderem, jenseits klassischer Labortiere? Die Versuchung ist groß, die Debatte zur Suche nach jener feinen Linie zu machen, die Mensch und Tier trennt, denn unsere Kultur behandelt Menschen und Tiere fundamental unterschiedlich. Doch schon woran man diesen Unterschied bei Nichtchimären festmacht, ist kontrovers – und damit auch die Frage, bis zu welchem Punkt solche Forschung statthaft ist.

Die neuen Experimente geben dieser Frage auf unterschiedliche Weise neue Dringlichkeit. Zum einen plant eine Arbeitsgruppe in Japan, erstmals solche gemischten Embryos bis zur Geburt heranwachsen zu lassen. Bisher mussten die entstehenden Embryos früh in ihrer Entwicklung vernichtet werden, lange bevor die Präsenz menschlicher Zellen einen Unterschied in der Entwicklung machte.

Auf dem Weg zur Menschenmaus

Nun aber dürfen Arbeitsgruppen in Japan – sobald die erheblichen technischen Probleme überwunden sind – solche Zellbündel zu fertigen Lebewesen heranwachsen lassen, die atmen, herumlaufen und reagieren. Auch das Gehirn solcher Tiere könnte, ob durch Zufall oder Absicht, zu einem beträchtlichen Anteil aus menschlichen Zellen bestehen und die Frage aufwerfen, wie menschlich der Geist eines solchen Organismus ist.

Gleichzeitig verändert das japanische Experiment auch den Kontext eines anderen Versuchs, von dem die spanische Zeitung »El País« bereits Mitte Juli berichtete. Eine Arbeitsgruppe aus Spanien und den USA erzeugte – in China, um rechtliche Probleme zu vermeiden – Chimären aus Menschen und Affen. Laut den Berichten sollen die so entstehenden Embryos wie bisher üblich nach 14 Tagen vernichtet werden.

Affen allerdings sind wegen ihrer recht engen Verwandtschaft zum Menschen gleich in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall. Zum einen haben sie in der öffentlichen Debatte deswegen bereits eine Art Sonderstatus. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass menschliche Zellen diese Tiere viel dramatischer in Richtung menschlicher Eigenschaften verschieben, als es in den anatomischen Grenzen des Mäuse- oder Rattenkörpers möglich wäre. Drittens sind unsere nächsten Verwandten die aussichtsreichsten Kandidaten für erfolgreiche Mischwesen zum Beispiel als Quelle von Spenderorganen.

Abschied vom Grundsätzlichen

Wohlgemerkt, keines der beiden Experimente wirft nach Ansicht der meisten Fachleute aktuell ethische Probleme jenseits der allgemeinen Fragen rund um Tierversuche auf. Dass die entstehenden Embryos neben tierischen auch menschliche Zellen enthalten, hat keine Konsequenzen, von den Ergebnissen einiger spezialisierter Analyseverfahren einmal abgesehen. Doch viele Menschen sehen mit den Experimenten an Chimären eine Grenze überschritten: Der Politiker Karl Lauterbach zum Beispiel nannte die geplanten Versuche im Japan einen »klaren ethischen Megaverstoß«.

Man muss solche Positionen, die sich auf grundsätzliche Vorbehalte gegenüber Chimären-Experimenten gründen, zwar ernst nehmen. Aber dass diese radikale Sicht die »sichere«, das heißt ethisch unproblematische Position wäre, ist reine Illusion. Für die Konsequenzen dessen, was man nicht tut, trägt man genauso die moralische Verantwortung wie für das, was man tut. Bei medizinischer Forschung auf Nummer sicher zu gehen, ist das Privileg der Gesunden und geht seinerseits zu Lasten anderer. Und bekanntermaßen zieht, wer krank ist, ethische Grenzen mit Vorliebe auf der anderen Seite dessen, was Heilung verspricht.

Auch das ist menschlich; es bedeutet, dass man sich gerade bei so ambivalenter Forschung wie jener an den Chimären nicht auf das Grundsätzliche zurückziehen kann, sondern die Konsequenzen sorgfältig abwägen muss. Extrempositionen verbieten sich ganz offensichtlich – weder ist es ethisch vertretbar, derartige Forschung ganz zu verbieten, noch, sie uneingeschränkt zuzulassen. Und wo zwischen beiden in Zukunft die Grenze liegt, jenseits derer wir keine Experimente akzeptieren, wird immer Gegenstand von Debatten sein, denn jede derartige Grenzziehung ist in letzter Konsequenz willkürlich. In die ethische Komfortzone führt kein Weg zurück.

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