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Freistetters Formelwelt: Das Geheimnis um »geeignete« Zahlen

Es gibt unendlich viele Zahlen – und genau genommen sogar noch mehr. Aber nicht alle davon sind »geeignet«. Und die, die es sind, sind leider nicht sehr zahlreich.
Ein abstraktes Bild mit leuchtenden, weißen Zahlen, die in einem Wirbelmuster auf einem verschwommenen, bläulichen Hintergrund schweben. Die Zahlen scheinen in Bewegung zu sein und erzeugen einen dynamischen, fast hypnotischen Effekt. Die Darstellung vermittelt ein Gefühl von Unendlichkeit und Komplexität, das an mathematische oder digitale Konzepte erinnert.
Seit Jahrhunderten werfen »geeignete« Zahlen zahlreiche Fragen auf. Und eine Antwort ist nicht in Sicht.
Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Ob eine Zahl »geeignet« ist oder nicht, hängt davon ab, mit welchem Problem man es zu tun hat. Der große Mathematiker Leonhard Euler war im Jahr 1778 auf der Suche nach möglichst großen Primzahlen und hat dafür ein Verfahren entwickelt, für dessen Umsetzung er Zahlen mit bestimmten Eigenschaften brauchte. Diese Zahlen hat er »numeri idonei« genannt, lateinisch für »geeignete Zahlen«. Die einfachste Möglichkeit, diese zu definieren sieht so aus:

nab+ac+bc

Eine natürliche Zahl n (die von null verschieden sein muss) ist genau dann geeignet, wenn sie sich nicht auf die durch die obige Formel darstellen lässt (wobei a, b und c paarweise verschiedene positive ganze Zahlen sind). 

So eine geeignete Zahl kann man, wie Euler herausgefunden hat, für das Auffinden von Primzahlen verwenden. Dazu stellt man zuerst die Gleichung m = x² + ny² auf. m ist dabei eine ungerade Zahl, für die die Gleichung genau eine Lösung mit zwei natürlichen Zahlen x und y hat (wobei die Zahlen x und ny keinen gemeinsamen Teiler außer der 1 haben dürfen). Ist das alles gegeben, dann ist m eine Primzahl.

Nehmen wir zum Beispiel die geeignete Zahl 3. Die Gleichung m = 13 = x² + 3y² kann man mit x = 1 und y = 2 lösen. x = 1 und ny = 6 sind teilerfremd und damit ist klar, dass 13 eine Primzahl sein muss. Euler hat das Verfahren natürlich für kompliziertere Fälle angewandt und dafür möglichst viele numeri idonei gesucht. Die Resultate findet man in seiner Arbeit mit dem Titel »Illustratio paradoxi circa progressionem numerorum ideoneorum ive congruorum«, was so viel heißt wie: Eine Veranschaulichung eines Paradoxons über die Folge der idonealen oder kongruenten Zahlen.

Das Paradoxon, das Euler ausgemacht hat, besteht in der Tatsache, dass geeignete Zahlen zwar einem klar definierten Gesetz folgen und auch beginnend mit der ersten geeigneten Zahl n = 1 kontinuierlich ansteigen. Aber irgendwann hört die Folge der Zahlen auf. Euler konnte 65 von ihnen finden, die größte war n = 1848. Darüber hinaus konnte er keine mehr entdecken, obwohl er seine Suche bis n = 10 000 und darüber hinaus durchgeführt hat. Euler konnte keinen Grund dafür finden, aber zumindest beweisen, dass die Quadratzahlen unter den geeigneten Zahlen begrenzt sind. Neben 1, 4, 9, 16 und 25 kann es keine weiteren Quadratzahlen geben, die die notwendigen Bedingungen erfüllen. 

Wahrscheinlich gibt es nur zwei weitere geeignete Zahlen

Später hat sich auch Carl Friedrich Gauß mit dem Problem dieser speziellen Zahlen beschäftigt. Aber auch er konnte keinen weiteren geeigneten Zahlen entdecken, genauso wenig wie er beweisen konnte, dass es keine weiteren gibt. Er hatte allerdings die starke Vermutung, dass genau das der Fall sein muss. Erst 1934 bewies der indische Mathematiker Sarvadaman Chowla, dass es nur endlich viele geeignete Zahlen gibt. Und 1973 schaffte es der US-amerikanische Mathematiker Peter Weinberger, die numeri idonei mit der riemannschen Vermutung zu verknüpfen. Sollte sie stimmen, dann gibt es höchstens noch zwei weitere geeignete Zahlen, die größer als 1848 sind. 

Das ist, wie so oft in der Mathematik, ein höchst überraschendes Ergebnis: Was haben diese Zahlen an sich, dass es nicht mehr als 67 von ihnen geben kann? Warum tauchen sie anfangs noch häufig auf und dann auf einmal nicht mehr, wenn n 1848 übersteigt? Wieso sind die letzten beiden verbleibenden Zahlen – sofern es sie überhaupt gibt – so viel größer als die anderen? Die »geeigneten Zahlen« sind rätselhaft. Aber sie haben ihre Eignung mehr als einmal unter Beweis gestellt. Neben der ursprünglichen Suche nach Primzahlen, haben sie sich mittlerweile auch in anderen Gebieten der Mathematik als nützlich erwiesen. Da ist es fast schade, dass es nur so wenig von ihnen gibt.

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