Die fabelhafte Welt der Mathematik: Das Ziegenproblem: Sollte man sich umentscheiden?
Wie so vielen anderen, fiel es mir anfangs schwer, die Antwort auf das Ziegenproblem zu glauben. Nicht umsonst gilt es als eines der am wenigsten intuitiven Ergebnisse der Mathematik. Die Situation ist folgende: Sie nehmen an einer Spielshow teil, bei der sich hinter einer von drei Türen ein attraktiver Preis (in der ursprünglichen Fragestellung ein Sportwagen) und hinter den zwei anderen Nieten (in diesem Fall Ziegen) befinden. Als Kandidat dürfen Sie eine Tür wählen, die zunächst verschlossen bleibt. Der Moderator öffnet aber eine der beiden anderen Türen und offenbart eine Ziege. Nun stellt er Sie vor die Wahl. Möchten Sie hinter die von Ihnen ausgewählte Tür blicken, oder entscheiden Sie sich lieber um und schauen, was sich hinter der anderen verbirgt? Wie würden Sie sich entscheiden?
Wenn man zum ersten Mal von dem Problem hört, neigt man dazu, anzunehmen, dass es wohl keinen Unterschied macht, ob man sich umentscheidet oder nicht. Zwei verschlossene Türen sind schließlich übrig, hinter einer versteckt sich der Preis. Daher müsste die Wahrscheinlichkeit, die richtige Wahl zu treffen, einhalb betragen. Wenn Sie ebenfalls dieser Meinung sind, stehen Sie damit nicht allein: In einer Studie mit 228 Personen, die mit dem Problem nicht vertraut waren, vertraten 87 Prozent diesen Standpunkt. Doch das ist falsch. Wie sich herausstellt, hat man eine doppelt so hohe Gewinnchance, wenn man sich umentscheidet.
In dieser Form erschien das Problem 1975 erstmals im Fachjournal »American Statistician«, wo es zunächst nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregte. Erst als 15 Jahre später ein Leser des Magazins »Parade« einen Leserbrief dazu verfasste, auf welchen die Kolumnistin Marilyn vos Savant korrekt antwortete, entfachte sich ein erbitterter Streit. Es gingen mehr als 10 000 Leserbriefe ein, in denen allerlei Personen erklärten, warum eine Umentscheidung nicht die Gewinnwahrscheinlichkeit erhöht. Selbst einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, Paul Erdös, wollte anfangs nicht an die Lösung glauben. Erst eine Computersimulation, die zeigte, dass ein Wechsel zu mehr Gewinnen führt, überzeugte ihn von der Richtigkeit des Resultats. Das sorgte für so viel Aufsehen, dass die »New York Times« der Geschichte 1991 eine Titelseite widmete.
Sportwagen oder Ziege?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das nicht intuitive Ergebnis zu erklären. Wenn man anfangs eine der drei Türen auswählt, hat man eine Chance von eins zu zwei, den Preis zu gewinnen. Das heißt, der Sportwagen verbirgt sich mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln hinter einer der beiden anderen Türen. Nun öffnet der Moderator eine davon. Die Wahrscheinlichkeiten haben sich dadurch nicht anders verteilt: Der Sportwagen steht mit einer Wahrscheinlichkeit von ⅓ hinter der ursprünglich gewählten Tür und mit einer von ⅔ hinter den beiden anderen. Da nun aber eine davon geöffnet wurde und sich dahinter eine Ziege befindet, muss der Preis mit einer Wahrscheinlichkeit von ⅔ hinter der übrig gebliebenen Tür sein. Deshalb ist die Gewinnchance doppelt so groß, wenn man sich umentscheidet.
Mit dieser Erklärung geben sich jedoch viele nicht zufrieden. Denn aus Sicht der Zweifler gibt es nach dem Offenbaren einer Niete jeweils eine Fifty-fifty-Chance, dass sich der Wagen hinter der ursprünglich gewählten oder der anderen Tür befindet. Warum das nicht stimmt, kann man verdeutlichen, indem man die neun verschiedenen Situationen, die während der Spielshow eintreten können, betrachtet. Dafür geht man alle möglichen Szenarien durch: ob man Tür 1, 2 oder 3 wählt, ob sich der Preis hinter Tür 1, 2 oder 3 befindet, ob man sich umentscheidet oder nicht. Dann wertet man aus, in welchen Fällen man gewinnt und in welchen man mit einer Ziege nach Hause geht. Wie sich herausstellt, führt ein Strategiewechsel doppelt so häufig zu dem Sportwagen, nämlich in sechs von neun Szenarien.
Wen diese zwei vorgebrachten Argumente immer noch nicht überzeugt haben, kann sich eine abgewandelte Form des Problems vorstellen. In dieser Spielshow gibt es nicht nur drei Türen, sondern 100 mit 99 Nieten und einem Preis. Wieder sollen Sie zufällig eine Tür auswählen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dahinter der Gewinn verbirgt, beträgt nun nur noch ein Prozent. Der Moderator kann Sie aber gut leiden und öffnet daher 98 der 99 übrigen Türen – hinter allen befinden sich Ziegen. Nun lässt er Ihnen wieder die freie Wahl: Halten Sie an der zuvor gewählten Tür fest oder entscheiden Sie sich für die andere, die er nicht geöffnet hat. In diesem Fall würde es geradezu verrückt erscheinen, sich nicht umzuentscheiden.
Ebenso unlogisch ist es aber auch, im Fall von bloß drei Türen auf seiner ursprünglichen Wahl zu beharren. Allerdings ist der Unterschied zwischen den Wahrscheinlichkeiten dabei nicht ganz so enorm (⅓ auf der einen und ⅔ auf der anderen Seite) wie in der Situation mit 100 Türen (1 Prozent im Vergleich zu 99 Prozent). Daher lassen sich de meisten von ihrer Intuition in die Irre leiten.
Und wer sich auch von dieser letzten Begründung nicht überzeugen lässt, dem kann man eine Lehre aus dem Tierreich mitgeben: Anders als Menschen, verstehen Tauben recht schnell, dass sich ein Wechsel lohnt, wie Verhaltensforscher 2010 feststellten. Dazu versteckten sie hinter einer von drei Türen Futterproben und spielten die Situation der Spielshow mit den Vögeln nach. Schon nach wenigen Wiederholungen lernten die Tiere, dass es Sinn macht, sich umzuentscheiden, wenn sie ans Futter kommen wollen. Offenbar können die Tauben besser mit kontraintuitiver Statistik umgehen als wir Menschen.
Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!
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