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Delta-Variante: Warum unter den Coronatoten immer mehr Geimpfte sind

Etwa ein Drittel der Menschen, die derzeit in Großbritannien an der Delta-Variante sterben, ist zweifach geimpft. Das hat wohl nichts damit zu tun, dass die Impfungen nicht wirken. Sondern viel eher mit Statistik, erklärt Lars Fischer.
Medizinisches Personal gehört zur ersten Gruppe von Menschen, die Anrecht auf eine Covid-19-Impfung haben.

In Großbritannien zeichnet sich derzeit eine Entwicklung ab, die sich mit einigen Monaten Verzögerung wohl auch in Deutschland zeigen wird. Ein immer größer werdender Anteil der an Covid-19 Verstorbenen war zweimal geimpft. Was auf den ersten Blick auf ein Problem mit den Impfungen hinzudeuten scheint, ist aber vermutlich ein statistischer Effekt, der vor allem mit zwei bereits bekannten Faktoren zusammenhängt: mit dem unvollständigen Schutz durch die Impfungen einerseits und den steigenden Impfraten andererseits.

Dass die Impfungen nicht vollständig vor einer Infektion schützen, war schon nach den klinischen Studien klar. Der Biontech-Impfstoff Comirnaty zum Beispiel reduzierte die Ansteckungen um 95 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe. Das ist gut, aber eben nicht perfekt. Zugleich verhinderte die Impfung schwere Verläufe und Todesfälle komplett. Aber tatsächlich gilt auch das nur teilweise, denn die Studien erfassten die gefährdetsten Gruppen nur unvollständig.

Menschen mit geschwächtem Immunsystem wie Krebskranke oder Organtransplantierte haben, ebenso wie alte Menschen, allgemein ein erhöhtes Risiko, an Covid-19 zu erkranken und zu sterben. Und vieles deutet eben darauf hin, dass die Impfungen bei diesen Gruppen vor schweren Erkrankungen und Tod nicht so vollständig schützen, wie die Zahlen in den Studien an gesunden Menschen ergeben hatten. Es sterben also in den Risikogruppen ebenfalls voll geimpfte, wenn auch weniger als ohne Impfung. Die Delta-Variante erhöht diesen Anteil womöglich zusätzlich, um diesen Effekt einzuschätzen, fehlen aber derzeit noch die Daten.

Die Sterblichkeit sinkt – aber nicht auf null

Im Gegensatz dazu ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen mit gesundem Immunsystem an einer Sars-CoV-2-Infektion sterben, ohnehin sehr gering. Das Risiko steigt jedoch in den nicht umsonst so bezeichneten Risikogruppen dramatisch an: Die Sterblichkeit bezogen auf alle Infektionen liegt – wenn man die Zahlen aus diesem Review nimmt – bei 25-Jährigen im Bereich von Bruchteilen eines Promille, bei 85-Jährigen liegt sie bei 15 Prozent. Die genauen Zahlen sind umstritten, der grundlegende Sachverhalt ist es nicht: Das Risiko steigt etwa exponentiell mit dem Alter. Deswegen konzentrierten sich die Impfkampagnen vieler Länder zuerst auf solche am stärksten gefährdeten Gruppen.

Wegen der enormen Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen jungen, gesunden Menschen und den Risikogruppen hat der nicht perfekte Schutz durch die Impfungen große Auswirkungen. Wenn die Impfung die Sterblichkeit bei 85 Jahre alten Personen um hypothetische 95 Prozent senken würde, statt 100 Prozent wie in den Studien, haben diese mit den oben genannten Zahlen immer noch ein mehr als 50-fach höheres Sterberisiko als ungeimpfte 25-Jährige. Gleichzeitig sind sie durch die Impfung auch schlechter vor Ansteckung geschützt, als man anhand der Studiendaten an gesunden Menschen erwarten würde.

Das führt zu dem scheinbar paradoxen Resultat: Je weiter die Impfkampagne voranschreitet, desto höher wird potenziell der Anteil der vollständig Geimpften an den Coronatoten. Die Menschen mit erhöhtem Risiko sind bereits überwiegend geimpft, infizieren sich aber in gewissem Maße, und ein Teil stirbt auch daran. Die verbleibenden Ungeimpften dagegen sind weit überwiegend relativ jung mit einem entsprechend niedrigen Sterberisiko. Auch wenn Ungeimpfte den größten Teil der Infizierten ausmachen, bleibt ihr Beitrag zu den Todesfällen vergleichsweise begrenzt – und er sinkt immer weiter, je mehr auch diese Bevölkerungsgruppen geimpft werden.

Paradox erscheint das nur deswegen, weil man hier zwei sehr unterschiedliche Dinge leicht verwechselt. Zum einen nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass eine an Covid-19 verstorbene Person doppelt geimpft ist, zum anderen aber den umgekehrten Fall, dass eine doppelt geimpfte Person an Covid-19 verstirbt. Beide klingen ähnlich, sind aber unabhängig voneinander. Gerade wenn die Impfungen in allen Altersgruppen sehr gut schützen – worauf derzeit vieles hindeutet –, kann der Anteil an Geimpften an den Verstorbenen deutlich ansteigen. Der entscheidende Indikator für den Schutz, den die Impfungen bieten, ist jedoch, ob unter den Geimpften weniger Menschen krank werden und sterben.

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