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Mäders Moralfragen: Lässt sich der Klimawandel demokratisch aufhalten?

Alles einem einzigen politischen Ziel unterzuordnen, ist gegen unsere pluralistische Demokratie gerichtet. Gilt das auch für das Ziel, die Emissionen jetzt endlich radikal zu senken?
Stadtverkehr in Peking bei Nacht

Einige politische Kommentatoren machen sich Sorgen: Klimaschutz sei ja wichtig, schreiben sie, aber nur noch über Kohlendioxid zu reden, ist verbohrt und ignorant. Die Kommentatoren überrascht, wie populär das Thema innerhalb weniger Monate geworden ist, obwohl sich an der Faktenlage zuletzt wenig änderte. Mit rationalen Argumenten habe dieser plötzliche Sinneswandel nichts zu tun, argumentieren sie, sie sehen darin vielmehr überschießende Emotionalität – Wut und Reue. Auf diese Weise würden wir unseren Handlungsspielraum verengen, anstatt vernünftig über die Optionen im Klimaschutz zu reden. Und wir würden darüber die anderen Probleme vergessen, die wir auch noch haben. Kurzum: Wir reiten uns angeblich noch tiefer in den Dreck.

Für diese Argumentation möchte ich drei Beispiele geben:

  • Matthias Heitmann kritisiert auf der Website des Magazins »Cicero« die Notstandsrhetorik vieler Städte und Kommunen: »Wir erleben eine Popularisierung des Ausnahmezustandes – und dadurch zugleich auch dessen Normalisierung«, schreibt Heitmann. Der Klimawandel allein reiche offenbar nicht mehr aus, um die nötige Panik zu erzeugen. Mit der Panik solle das rationale Denken unterbunden werden. Panik führe aber in die falsche Richtung: »Die Radikalisierung der Klimadiskussion liefert den zaudernden politischen Eliten der westlichen Welt einen willkommenen Ansatzpunkt, um die Menschen davon abzuhalten, die Welt anders zu gestalten.«
  • Rainer Hank von der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« sieht im jüngst aufgeflammten Aktivismus sogar religiöse Züge, denn es gehe um Buße und Reinigung: »Die Fluchtlinie der neuen Klima-Askese [ist] eine Welt, in welcher Freude, Fortschritt und Wohlstand kaum mehr einen Platz haben.« Viele seien sogar bereit, eine »Verarmung der Menschheit in Kauf zu nehmen«, wenn sich dadurch der Klimawandel aufhalten lasse, warnt Hank. Ihn erschrecke, dass die Option, die Klimakrise technisch in den Griff zu bekommen, heute als Ablenkungsmanöver diskreditiert werde.
  • Und Jan Fleischhauer wirft den Aktivisten auf »Focus Online« vor, dass sie letztlich darauf hinarbeiten, die Demokratie abzuschaffen – auch wenn sie das nicht wahrhaben wollen. Wenn man überzeugt davon sei, dass die Klimakatastrophe unmittelbar bevorstehe, argumentiert Fleischhauer, dann könne man nicht mehr auf die Regierungen der Welt hoffen. »Der Parlamentarismus ist einfach zu langsam, um die Kehrtwende einzuleiten.«

Die politischen Kommentatoren bekommen in ihrer Analyse Unterstützung aus der Wissenschaft. Der Historiker Christian Geulen von der Universität Koblenz-Landau zeichnet auf dem Portal »Geschichte der Gegenwart« Parallelen zwischen der Klimakrise der Linken und der Flüchtlingskrise der Rechten: Die Rhetorik ähnele sich. »Was droht, ist der tatsächliche Untergang des Eigenen – des eigenen Lebens, des eigenen Planeten, der eigenen Heimat, des eigenen Volkes, der eigenen Werte, der eigenen Kultur. Und eben das erfordert ein radikales Handeln«, schreibt Geulen über beide Krisendiskurse. Wer so argumentiere, sehe in den Regierungen keine legitimen und effektiven Problemlöser mehr. Durch die sozialen Medien und die Online-Kommentare ziehe sich inzwischen der Tenor: »Es geht um uns! Wir sind bedroht und nur wir können die Gefahr abwenden; nicht der Staat, nicht seine Institutionen und erst recht nicht die Politiker – nur wir, die wir jetzt endlich mal ›gehört‹ werden müssen.«

Eine falsche Analogie

Wenn ich mein eigenes Denken über den Klimawandel auf den Punkt bringen soll, sieht das so aus: Wir sollten die Emissionen in den nächsten 30 Jahren praktisch auf null bringen. Damit erübrigen sich Abwägungen, in welchen Sektoren man mehr oder weniger reduzieren sollte, denn am Ende müssen alle CO2-produzierenden Aktivitäten abgestellt werden. Mit dieser Forderung lasse ich der Politik tatsächlich wenig Spielraum und setze sie ziemlich unter Druck. Ich glaube selbst nicht, dass wir dieses Ziel vollständig erreichen werden. Aber enthält meine Forderung damit schon den Keim zum Umsturz und zur Ökodiktatur? Ich kann nachvollziehen, dass einige Kommentatoren hierin eine Gefahr sehen, aber es gibt einen anderen Weg – den demokratischen.

Meine Erwiderung beginnt damit, eine falsche Analogie aufzudecken: Wenn wir alles dem Primat der CO2-Reduktion unterordnen, dann ist das nicht vergleichbar mit der Reduktion von Schwefeldioxid oder der Reduktion von FCKW aus dem 20. Jahrhundert. Denn der saure Regen und das Ozonloch waren vergleichsweise einfache Probleme: Mit alternativen Kältemitteln und Entschwefelungsanlagen ließen sie sich lösen. Die Produktion von Treibhausgasen ist hingegen tief in unserer Wirtschafts- und Lebensweise verankert; Kohlendioxid können wir nicht einfach filtern oder ersetzen.

Die Forderung nach einer CO2-Reduktion führt damit schnell zu wirklich komplizierten Problemen, die wir nur im Dialog lösen können. Der soziale Ausgleich für den Verlust der Braunkohle ist ein Beispiel, der neuerdings schleppende Ausbau der Windenergie in Deutschland ein anderes. Und auf dem UN-Klimagipfel muss geklärt werden, wie man den Entwicklungsländern beim Klimaschutz hilft, ohne sie zu bevormunden oder ihre Bevölkerung in der Armut zu halten. Ich glaube daher, dass wir gerade jetzt die Demokratie nötiger haben denn je, um die Klimakrise halbwegs zu bewältigen.

Vertrauen in die Politik

Das könne man nicht ernst meinen, höre ich schon den Einwand, denn der demokratische Ausgleich der Interessen dauert viel zu lang. Wie will man da in 30 Jahren die nötigen Schritte einleiten? Damit sind wir beim Kern des Problems: Es fehlt das Vertrauen in die Politik. Die Bundesregierung wird – gleich in welcher Konstellation – von vielen als unfähig angesehen, den Klimaschutz voranzubringen. Schließlich hat sie das in den vergangenen Jahrzehnten konsequent versäumt. Und der Weltklimavertrag gilt als Papiertiger, da er jedem Staat überlässt, sich seine Klimaziele selbst zu setzen, und nicht einmal Strafen vorsieht, wenn diese Ziele verfehlt werden.

Doch wir sollten die Kraft der demokratischen Verfahren nicht gering schätzen, und wir müssen unsere eigene Rolle darin sehen. Die Bundesregierung ist in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrer zögerlichen Haltung durchgekommen, denn der öffentliche Druck hielt sich in Grenzen. Das hat sich nun geändert – hoffentlich nachhaltig. Ich hoffe auch, dass die Menschen nicht nur aus Wut und Reue auf die Straße gehen, sondern auch aus der Einsicht, dass unsere CO2-intensive Wirtschafts- und Lebensweise auf Kosten anderer Menschen geht. Und auf der internationalen Ebene gibt es ohnehin keine absehbare Alternative zum Reden, Überzeugen und Drängen. Der Weltklimavertrag bietet hier immerhin einen Rahmen, an den sich bisher alle 195 Staaten halten und der auch fortbestehen wird, wenn die USA im November formell ihren Austritt erklären sollten.

Wenn sich Menschen an einen Tisch setzen, die wirklich an einer Lösung interessiert sind, dann können sie in kurzer Zeit viel erreichen. Vielleicht werden sie nicht den Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius halten, aber sie werden ihn vielleicht unter drei Grad Celsius halten, womit auch schon viel Schaden abgewendet wäre. Um den nötigen politischen Druck zu erzeugen, finde ich es gar nicht schlecht, die Risiken der Klimakrise deutlich zu benennen. Wir haben viel zu lange weggesehen.

Die Moral von der Geschichte: Globaler Klimaschutz ist so komplex, dass er sich wie alles andere auch nicht für eine Diktatur eignet.

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