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Freistetters Formelwelt: Der Fluch des Zufalls

Wir Menschen sind schlecht beim Einschätzen von Wahrscheinlichkeiten, denn wir können mit dem Zufall intuitiv nicht viel anfangen. Einen Ausweg bietet die Mathematik.
Roulette

Kasinos erfreuen sich eines regen Zulaufs – trotz der schlechten Erfolgsaussichten. Denn rein mathematisch gibt es dort nichts zu gewinnen. Betrachten wir das Spiel am Roulettetisch: Dort kann man wetten, in welchem Fach die Kugel nach Ende der Rotation des Rads zu liegen kommt. Es gibt 37 Möglichkeiten, und trifft man die richtige Zahl, erhält man den 35-fachen Einsatz zurück. In allen anderen Fällen ist das eingesetzte Geld verloren.

Wir lassen uns bei der Einschätzung des möglichen Gewinns gerne davon blenden, dass wir im besten Fall 35-mal so viel Geld bekommen, wie wir eingesetzt haben. Wir ignorieren aber, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, nichts zu gewinnen. Eine realistischere Einschätzung dessen, was beim Ausgang des Spiels zu erwarten ist, liefert diese Formel:

Erwartungswert einer (diskreten) Zufallsvariable

Sie gibt den »Erwartungswert« einer (diskreten) Zufallsvariable an, die mit den Wahrscheinlichkeiten pi die Werte xi annehmen kann. Beim Einsatz von einem Euro beträgt unser Gewinn beim Roulette 35 Euro, und das mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 37. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 36 : 37 werden wir aber den eingesetzten Euro verlieren, was einem »Gewinn« von minus 1 Euro entspricht. Wollen wir wissen, wie hoch der erwartete Wert unseres Glücksspiels ist, müssen wir also eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 37 mit 35 Euro multiplizieren und dazu den mit einer Wahrscheinlichkeit von 36 : 37 multiplizierten Wert von minus1 Euro addieren. Das Ergebnis sind minus 0,027 Euro. Wir müssen also bei unserem Spiel mit einem Verlust von knapp 3 Cent rechnen: ein Verlust für uns, aber aus Sicht des Kasinos ist genau das der Gewinn, der das Glücksspiel für den Betrieb erst profitabel macht.

Allerdings gilt das nur, wenn wir das Spiel sehr oft durchführen. Wenn wir immer wieder auf eine Zahl setzen, dann sollte unser durchschnittlicher »Gewinn« langfristig tatsächlich ein Verlust sein, selbst wenn wir zwischendurch das eine oder andere Mal gewinnen. Wollen wir nicht mit leeren Taschen das Kasino verlassen, dann sollten wir auf jeden Fall aufhören, wenn die Roulettekugel im richtigen Fach gelandet ist. Oder am besten gar nicht erst mit dem Glücksspiel anfangen.

Der Erwartungswert ist eine wichtiges Konzept in der Mathematik. Man darf es aber nicht einfach blind auf die Realität anwenden. Betrachten wir zum Beispiel dieses Glücksspiel: Eine Münze wird so lange geworfen, bis sie zum ersten Mal auf »Kopf« landet. Die Höhe des Gewinns richtet sich nach der Anzahl der dafür benötigten Würfe. Landet die Münze schon beim ersten Mal auf »Kopf«, kriegt man einen Euro. Dauert es zwei Würfe, sind es zwei Euro. Nach drei Würfen sind es vier Euro und so weiter. Bei jedem Wurf verdoppelt sich der Gewinn. Die Frage lautet nun: Wie viel ist man bereit, für die Teilnahme an diesem Spiel zu bezahlen?

Berechnet man dazu mit obiger Formel anhand der Wahrscheinlichkeiten des Münzwurfs den zu erwartenden Gewinn, stößt man auf ein Problem: Der Erwartungswert ist unendlich groß. Denn selbst wenn etwa die Wahrscheinlichkeit für 31 Münzwürfe ohne »Kopf« recht gering ist, ist sie nicht gleich null, und man hat eine kleine Chance auf einen – in diesem Fall – Gewinn von mehr als einer Milliarde Euro! Die Wahrscheinlichkeiten für noch größere Gewinne werden immer kleiner, die möglichen Gewinne selbst aber sehr schnell sehr absurd groß, und am Ende steht ein unendlicher Erwartungswert. Man sollte also bereit sein, für die Teilnahme am Spiel jede beliebige Gebühr zu zahlen, was jedoch in der Realität niemand tun würde. Dieses Problem ist als »Sankt-Petersburg-Paradoxon« bekannt. Es entsteht unter anderem deshalb, weil Gewinn eben nicht gleich Gewinn ist. Wer kein Geld besitzt, für den ist ein Gewinn von 100 Euro wertvoller als für einen Milliardär. Erst wenn man auch den Nutzen des zu erwartenden Gewinns berücksichtigt, lässt sich das Paradoxon lösen.

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