Vorsicht, Denkfalle!: Das dumme Bauchgefühl

Wie lautet die häufigste Frage, die Sie sich im Alltag stellen? Etwa »Worin besteht der Sinn des Lebens?«? Oder eher »Wo hab ich schon wieder meine Schlüssel gelassen?«? Ich tippe auf etwas anderes. Nämlich: »Wie wird sich das wohl für mich anfühlen?«
Wird mir das Frühstück munden? Macht mir die morgendliche Joggingrunde wohl Spaß? Oder wenigstens die Dusche danach? Wie zufrieden werde ich am Feierabend sein? Wie geduldig im Pendlerverkehr? Und ist der neue Thriller so packend, wie die Rezension verspricht?
Die Vorhersage emotionaler Zustände in der näheren und ferneren Zukunft, von Psychologen »affective forecasting« genannt, beschäftigt uns von früh bis spät – bewusst oder unbewusst. Allerdings erliegen wir laut den Psychologen Daniel Gilbert und Timothy Wilson dabei häufig einer Fehleinschätzung: dem »impact bias« (von englisch impact = Wirkung, Einfluss).
Diese Denkfalle lässt sich so umschreiben: Wir überschätzen, wie sehr sich einzelne Ereignisse auf unsere Stimmungslage auswirken, und zwar sowohl was die Stärke als auch was die Dauer der Nachwirkung betrifft.
Dating im Dienst der Forschung
Gilbert und Wilson luden Probanden beispielsweise zu einem Dating-Event ein und fragten sie, wie sehr es sie betrüben würde, wenn sie bei einem potenziellen Partner abblitzen. Oder wenn dieser umgekehrt ihr Interesse erwidern würde? Die Standarderwartung war, wen wundert's, dass Ersteres einen sehr herunterziehen, Letzteres hingegen beglücken würde.
Tatsächlich aber brachte weder das eine noch das andere die Singles sonderlich aus der Fassung. Meist richteten sie den Blick gleich wieder nach vorn – und waren schon mit dem nächsten Date oder mit den Details der Beziehungsanbahnung beschäftigt.
Auch andere Experimente belegen: Singuläre Vorkommnisse, ob positiver oder negativer Art, haben gefühlt nicht so drastische Auswirkungen, wie wir meinen. So zaubert uns ein Lottogewinn ebenso wenig ein Dauergrinsen ins Gesicht, wie eine Trennung, ein nicht ergatterter Job oder der Verlust eines Menschen uns unabsehbares Leid verursachen.
Stattdessen pendelt sich das Wohlbefinden meist rasch wieder auf ein individuell festgelegtes Glückslevel ein. Wir lassen uns, das ist die gute Nachricht, nicht so leicht von einer »Katastrophe« aus der Bahn werfen. Umgekehrt verblasst leider selbst der schönste Moment, ach je, bald wieder.
- Der fundamentale Attributionsfehler
- Die Normalitätsverzerrung
- Der Rückschaufehler
- Die Wissensillusion
- Die Verlustaversion
- Die Fokussierungsillusion
- Das Pippi-Langstrumpf-Syndrom
Hinzu kommt folgender kleiner Haken: Die bloße Erwartung, bestimmte Ereignisse hätten tiefgreifende, womöglich lebenslange Folgen, kann dazu führen, dass man Risiken scheut. Wer glaubt, nach einer Enttäuschung werde er bestimmt nie mehr froh, der prescht kaum voran. So wird der »impact bias« zur Zauderfalle.
Liegt die Erklärung im Gehirn?
Warum sind wir so schlecht darin, unser künftiges Befinden realistisch einzuschätzen? Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass jene Schaltkreise im Gehirn, die uns antreiben und motivieren, andere sind als jene, die uns gute Laune bescheren. Unser Wollen zielt eher auf Belohnungen und tolle Momente – die Beförderung, der Liebesrausch und so weiter. Wirklich gut anfühlen tun sich dagegen eher dauerhafte Dinge wie ein befriedigender Job oder eine stabile Beziehung.
Merke: Beim Versuch, unser zukünftiges Ich zu antizipieren, täuscht uns das Bauchgefühl systematisch. Wir hängen unser Glück – und Unglück – zu sehr an Augenblicke, ohne zu bedenken, wie flüchtig diese sind.
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