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Weitemeiers Widerspruch: Der klimaneutrale Langstreckenflug

Ein Auto mieten, als Ausgleich Windkraft in Südamerika finanzieren? Klimaneutrale Produkte klingen gut - aber oft sind sie nur Augenwischerei.
Flugzeugwrack auf Island

Klimaschutz wird hip. Ein Grüner wird hinter vorgehaltener Hand als nächster Kanzlerkandidat gehandelt, der Kaffeebecher wird (natürlich!) mitgebracht – und wer an der Kasse zu Plastiktüte statt Jutebeutel greift, wird nicht selten kritisch beäugt. Noch versucht man nicht, Frauen mit Klimabilanzen zu imponieren statt mit schicken Autos. Aber sie werden kommen, die Zeiten. Und das ist gut so.

Damit florieren aber auch die »Mit mir tust du richtig was fürs Klima«-Versprechen: das klimaneutrale Eis, die klimaneutrale Hautcreme – oder, da staunt man, der klimaneutrale VW-Bus-Verleih für den nächsten Europatrip. Doch ist vieles davon, so viel sei vorneweg verraten, Augenwischerei – und manches sogar schlicht und einfach frech.

Über den Begriff »klimaneutral« mag man diskutieren. Irgendwo wird sich das eine oder andere Emissiönchen verstecken. Geschenkt, lenkt es doch vom eigentlichen Ziel ab: Wir müssen unsere Kohlendioxidemissionen drastisch reduzieren.

Der klimaneutrale Langstreckenflug

Da gibt es zum Beispiel Ideen wie den klimaneutralen Eisfabrikanten. Eigene Solaranlage auf dem Dach, eutektische Kühlplatten laden über Nacht auf und kühlen das Eis ganz nachhaltig, während es im Elektroauto zu seinen Abnehmern rollt. Heißt: Treibhausgasemissionen durch Verbrennungsmotoren oder die Extrakühlung im Transporter entstehen gar nicht erst – und wo sich Strom nicht vermeiden lässt, kommt er klimafreundlich vom eigenen Dach statt, zumindest zum Teil, aus dem Kohlekraftwerk. Fazit: vorbildlich.

Doch schnell wird es krude: der klimaneutrale Langstreckenflug; der klimaneutrale Erdgastarif; der klimaneutrale Bulli-Verleih – für den Roadtrip ganz ohne schlechtes Gewissen. Da darf man sich fragen: Wie soll ein Stromtarif, der Strom aus einem fossilen Brennstoff generiert, klimaneutral sein? Ganz einfach: kompensiert man halt.

Das geht so: Für die klimaschädlichen Emissionen, die, bleiben wir beim Erdgas, bei dessen Verbrennung entstehen, wird ein Klimaprojekt unterstützt – und dadurch dasselbe Maß an CO2-Äquivalenten direkt wieder eingespart. Mal ist das der Bau eines neuen Windkraftwerks in Nicaragua, mal der einer Biogasanlage in Indien, damit dortige Kleinbauern mit Biogas aus Kuhdung kochen können statt klimaschädlich mit Brennholz und Kerosin. Oder es werden, im Erdgasfall, ein paar Bäume im brasilianischen Regenwald vor der Abholzung gerettet, damit sie fleißig weiter Kohlendioxid speichern. Und zack, glänzt die Klimabilanz.

Freche Täuschung

Das hat ein bisschen was von Ablasshandel: ein paar Münzen für den Priester, Sünden vergeben, Fegefeuer vermieden. Herrlich. Nur: Wenn wir eifrig alles kompensieren, was wir weiter munter rausballern, bringt das dem Klima auf lange Sicht – reichlich wenig. Auf dem Papier wären wir zwar klimatechnisch fast sündenfrei; dafür hätten eben die Länder, in denen durch die Klimaprojekte tatsächlich Emissionen gespart werden, unsere Sünden mit auf dem Gewissen. Dem Klima ist's gleich.

Kompensationen sind nicht per se schlecht, das will ich damit nicht sagen. Wählt man das richtige Projekt, können sie die Treibhausgasemissionen tatsächlich ausgleichen. Und natürlich ist es besser, als Buße für die Fernreise ein Stück Regenwald zu retten, als einfach so zu fliegen. Nur: Wenn das Label »klimaneutral« dazu verführt, im alten Bulli quer durch Europa zu fahren, um neben einer halben Tonne Kohlendioxid auch munter Stickoxide und Feinstaub zu verteilen und dabei auch noch zu glauben, dass man dem Klima etwas Gutes tut (man unterstützt ja schließlich den Bau eines Wasserkraftwerks in Honduras) – dann läuft etwas schief. Anders gesagt: Zu suggerieren, wochenlanges Autofahren hätte auch nur im Entferntesten etwas mit Klimaschutz zu tun, ist nicht nur bigott, es ist frech. Und täuscht diejenigen, die ja eigentlich etwas Gutes wollen – das ist es, was mich am meisten ärgert.

Das Mantra der Experten lautet daher: Versuchen zu vermeiden, zumindest aber zu reduzieren – und erst dann kommt, mit Abstand, das Kompensieren ins Spiel. Statt also (und bitte betrachten Sie die folgenden Zeilen nicht als mit erhobenem Zeigefinger verfasste Mahnung, sondern schlicht als potenziell inspirative Aufzählung) mit dem extraklimaneutralen Erdgastarif ein Stück Regenwald zu retten, könnte man auch, ganz verrückte Idee, auf echten Ökostrom setzen – und das CO2 gar nicht erst ausstoßen (vermeiden: check). Oder das niedliche, kleine Auto fahren statt den dicken SUV (reduzieren: check). Ich aber, die ich gerade von einem Roadtrip durch die spanischen Berge zurückgekehrt bin, könnte jetzt kompensieren – aber ganz sicher ohne zu denken, ich hätte dem Klima damit, summa summarum, sogar was Gutes getan.

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