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Lobes Digitalfabrik: Der Kommissar am Handgelenk

Erneut wurde in den USA ein Mörder mit den Daten eines Fitnesstrackers überführt. Das wirft rechtsstaatliche Fragen auf.
Fitbit am Arm

Am 13. September wurde die 67-jährige Kalifornierin Karen Navarra tot in ihrer Wohnung in San José gefunden. Nachdem sie tagelang nicht zur Arbeit erschienen war, sah ein Kollege bei ihr zu Hause nach. Dort fand er die leblose Frau zusammengesunken auf einem Stuhl, mit schweren Kopfverletzungen und einem Messer in der Hand. Der Arbeitskollege verständigte daraufhin die Polizei. Als die Ermittler in der Wohnung eintrafen, identifizierten sie getrocknete Blutspuren auf dem Boden. Die Autopsie sollte den Verdacht bestätigen: Die Frau fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Doch wer war der Mörder? Ins Visier der Ermittler geriet Navarras 90-jähriger Stiefvater Anthony Aiello. Der gab zu Protokoll, er hätte dem Opfer selbst gemachte Pizza vorbeigebracht und sei nach einer Viertelstunde wieder gegangen. Auf den Bildern einer in der Nachbarschaft stationierten Überwachungskamera ist zu sehen, dass dort zwischen 15.12 Uhr und 15.33 Uhr das Auto von Navarras Mutter geparkt wurde. Die Mutter sagte aus, Aiello habe das Fahrzeug an jenem Tag benutzt.

Nun kommt ein weiteres, entscheidendes Detail hinzu: Das Opfer trug zum Tatzeitpunkt einen Fitness-Tracker der Marke Fitbit am Handgelenk. Das Gerät zeichnet unter anderem den Herzschlag auf und sendet die Herzfrequenzdaten an einen Server. Die Auswertung der Daten ergab, dass Navarras Herzschlag um 15.20 Uhr rasant anstieg, um wenige Minuten später abrupt zu enden. Um 15.28 Uhr, kurz bevor der Stiefvater das Haus verließ, registrierte das Gerät das letzte Lebenszeichen. Für die Ermittler war dies der Beweis, dass Anthony Aiello seine Stieftochter getötet haben muss. Der Fitness-Tracker wurde zum Zeugen. Dem 90-jährigen Stiefvater wird nun der Prozess gemacht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Daten aus Fitness-Trackern als Beweismittel herangezogen werden. Im US-Bundesstaat Iowa gelang es Ermittlern, mit Hilfe von Fitbit-Daten den Mord an einer Studentin zu rekonstruieren, die nach ihrem Verschwinden tot in einem Waldstück aufgefunden wurde. In einem anderen Fall in Connecticut wurde ein Mörder auf Grund der Fitbit-Daten seiner Frau überführt – die Datenhistorie widersprach der Version des Täters. Und im australischen Adelaide half die Apple Watch, den Mord an einer 57-jährigen Frau aufzuklären. Hier brachten die Gesundheitsdaten das Alibi der Schwiegertochter zu Fall, die in der Vernehmung angab, ihre Schwiegermutter sei von Einbrechern getötet worden.

Dürfen Daten schweigen, wenn sie dadurch tatrelevante Informationen verbergen?

Gesundheitsdaten sind ein bedeutsames Indiz – und spielen in Ermittlungen eine zunehmend wichtige Rolle. Nur: Wo liegen die Grenzen? In den oben aufgeführten Fällen waren die Datenemittenten zum Zeitpunkt der Auswertung bereits tot – man konnte sie nicht mehr befragen. Und insofern, als diese Daten nicht belastend, sondern entlastend waren und der Aufklärung eines Kapitaldelikts dienten, könnte man hier mit der juristischen Fiktion arbeiten, dass der »Datenträger« der Auswertung wohl zugestimmt hätte. Doch die Frage ist, ob man diese Daten sprechen lassen darf, und wenn ja, für wen diese Daten dann sprechen. Gilt hier noch der rechtsstaatliche Grundsatz »In dubio pro reo« (im Zweifel für den Angeklagten)? Andererseits: Dürfen Daten schweigen, wenn sie dadurch tatrelevante Informationen verbergen?

Im Freiburger Mordprozess um eine Medizinstudentin führte die Auswertung der Handydaten zu einer völligen Neubewertung des Falles. Der Angeklagte Hussein K., ein afghanischer Flüchtling, hatte in dem Geständnis dargelegt, die Tat sei eine Affekthandlung gewesen. Die Bewegungsdaten, welche die Forensiker mit Hilfe einer Firma auslesen konnten, zeichneten jedoch ein ganz anderes Bild des Tathergangs: Die auf dem iPhone vorinstallierte Health App registrierte im fraglichen Zeitraum zweimal »Treppensteigen«. Die Fahnder schlossen daraus, dass es sich um jene Momente gehandelt haben muss, als Hussein K. sein Opfer die Uferböschung hinunterzerrte und dann wieder hinaufkletterte. Die Fahnder stellten die Tat sogar mit einer Person mit ähnlicher Statur nach, um sicherzugehen, dass das GPS-basierte iPhone die Bewegungen und Höhenunterschiede auch als einmal »Treppensteigen« verbucht. Somit war klar: Hussein K. tötete nicht im Affekt, sondern aus Kalkül.

Doch so einfach lässt sich nicht von Bewegungs- oder physiologischen Daten auf Handlungen schließen. Nicht jeder, der an der Grenzkontrolle einen erhöhten Puls hat, plant einen Terroranschlag (auch wenn das US-Sicherheitsbehörden glauben). Und wenn der Fitness-Tracker keine Herzfrequenzdaten mehr sendet, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Person einen Herzstillstand erleidet – es kann auch einfach die Batterie leer sein. Die Beweiskraft ist somit beschränkt. Die zentrale Frage für den Rechtsstaat ist, wie man den Schutzbereich informationeller Selbstbestimmung (den »status negativus«) zieht, wo die Grenzen zwischen Technologie und Person immer weiter verschwimmen.

In den USA wurde vor wenigen Wochen ein mutmaßlicher Pädophiler vom FBI gezwungen, sein iPhone X per Gesichtserkennung zu entsperren, um kinderpornografisches Material sicherzustellen. Auf Smartphones sind ja nicht bloß Gegenstände aus der Wohnung wie etwa Bücher und Musik, sondern auch unsere Gedanken gespeichert. Der Staat darf grundsätzlich nicht in die Köpfe seiner Bürger schauen, sonst wäre er totalitär. Doch wo ein Hebel ist, Daten auszulesen, wird dieser von den Polizeibehörden wohl auch genutzt werden.

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