Freistetters Formelwelt: Der kritische Moment eines Elfmeters
Wenn bei einem wichtigen Fußballspiel ein Elfmeter im Tor landet, kann man Tormännern oder -frauen selten Vorwürfe machen. Ein Fußballtor hat immerhin eine Fläche von 18 Quadratmetern, und eine Person mit einer Armspannweite von 2,5 Metern (was einer Körpergröße von etwa zwei Metern entspricht) kann nur rund 25 Prozent dieser Fläche abdecken. Die sichere Abwehr eines Elfmeters funktioniert ausschließlich, wenn man vorher weiß, wo der Ball landen wird.
Dabei kann man einfach raten und sich in eine der beiden Ecken werfen. Oder man benutzt die Mathematik. Thomas Crawford vom Mathematical Institute der Universität Oxford hat dazu anlässlich des Confederations Cup 2017 – einer Art Vor-WM – eine passende Formel entwickelt:
Was für die sichere Abwehr relevant ist, steht auf der linken Seite der Gleichung. Die Zahl D gibt an, wie stark der Anteil der Bewegung des Balles im rechten Winkel zur Schussrichtung ist, also wie weit links oder rechts entfernt vom Mittelpunkt des Tors der Ball landen wird. Das hängt natürlich vom Ball selbst ab, weswegen in der Formel der Radius R des Spielgeräts auftaucht, zusammen mit der Kreiszahl π (der Ball wird als kugelförmig betrachtet, auch wenn er in der Realität aus Fünf- und Sechsecken zusammengesetzt ist). Zudem spielt das Gewicht m des Balls eine Rolle.
Wohin sich der Ball bewegt, hängt von der Geschwindigkeit v ab, mit der er geschossen wird. Je schneller der Ball sich in Richtung Tor bewegt, desto weniger Zeit hat er, links oder rechts abzuweichen und deswegen findet man die Geschwindigkeit in der Formel unter dem Bruchstrich. Fußballspiele finden außerdem nicht im luftleeren Raum statt. Der Ball muss sich durch die Luft bewegen, die der Bewegung einen Widerstand entgegensetzt. Deswegen taucht die Dichte der Luft mit der Zahl ρ in der Formel auf. Der Vollständigkeit halber hat Crawford auch noch die Distanz in die Formel aufgenommen, die der Ball sich in Schussrichtung bewegt. Sie ist mit χ angegeben und entspricht 11 Metern (genauer: 10,9728 Meter, weil die Distanz für einen Strafstoß ursprünglich auf 12 Yards festgelegt wurde).
Als letzten wichtigen Parameter findet man in Crawfords Gleichung die Winkelgeschwindigkeit ω, mit der sich der Ball um seine eigene Achse dreht. Je mehr Spin der Ball beim Schuss mitbekommt, desto größer wird ω. Die Drehrichtung bestimmt dabei, ob der Ball nach links oder rechts abweichen wird.
Bei dieser Formel bleibt nur ein Problem. Typischerweise benötigt ein Ball 0,4 Sekunden, bis er vom Elfmeterpunkt beim Tor angelangt ist. Selbst wer wirklich gut und schnell Kopfrechnen kann, wird es nicht schaffen, in dieser Zeit alle relevanten Werte zu bestimmen, in die Formel einzusetzen und das Ergebnis zu berechnen. Ein Elfmeterschießen wird daher auch weiterhin zum Teil durch die glückliche Entscheidung für die richtige Ecke entschieden.
Aus Sicht der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer sind das aber keine allzu schlechten Nachrichten. Zusammen mit Argentinien haben sie die meisten Elfmeterschießen bei Weltmeisterschaften gewonnen. Vier Mal – 1982, 1986, 1990 und 2006 – verließ man den Platz siegreich. Prozentual gesehen steht Deutschland damit sogar ganz an der Spitze, denn auch wenn Argentinien ebenfalls vier Siege verbuchen kann, steht auf deren Liste auch eine Niederlage: 2006 gegen Deutschland.
Bei den Europameisterschaften stört allerdings die Niederlage im Elfmeterschießen beim Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei die perfekte Statistik der deutschen Mannschaft. Die lässt sich allerdings nicht auf die überragenden Rechenkünste des Torwarts Ivo Viktor zurückführen. Der Einsatz einer mathematischen Formel war damals nicht nötig: Uli Hoeneß schoss seinen Elfmeter hoch über das Tor und ersparte dem Torwart die Entscheidung für eine Ecke.
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