Freistetters Formelwelt: Nicht gleich sauer werden
In der aktuellen Bühnenshow der Wissenschaftskabarettgruppe »Science Busters«, deren Mitglied ich bin, gibt es eine Nummer, in der wir von der Übersäuerung der Meere erzählen. Zur Visualisierung des Phänomens zeigen wir ein klassisches Experiment: Durch einen Schlauch wird Atemluft in ein Gefäß mit Wasser geblasen. Im Wasser befindet sich ein pH-Indikator – in diesem Fall Cyanidin, ein Farbstoff, den man zum Beispiel in Rotkraut findet. Ist der pH-Wert neutral, dann wird das Wasser dadurch blau. Das Kohlendioxid aus der Atemluft macht das Wasser aber sauer, wodurch sich die Farbe zu rosa ändert.
Meine Aufgabe bei diesem Experiment besteht darin, ein paar Minuten lang durch den Schlauch ins Wasser zu atmen. Da ich währenddessen sonst nichts zu tun habe, bleibt viel Zeit zum Nachdenken. Kürzlich ist mir dabei eine Frage in den Sinn gekommen, von der ich zuerst nicht wusste, ob es sie dumm ist oder nicht: Da sich der pH-Wert von Wasser so leicht ändern lässt, könnte es dann nicht auch passieren, dass das Wasser – beziehungsweise das Blut – in meinem Körper sauer wird? Immerhin atmen wir ja auch Kohlendioxid ein; nicht zu viel, aber doch ein bisschen was.
Eine schnelle Recherche hat gezeigt, dass die Frage nicht wirklich dumm ist. Ich bin zuerst beim »Kohlensäure-Bicarbonat-Puffersystem« gelandet und dann bei dieser Formel:
Das ist die Henderson-Hasselbalch-Gleichung, benannt nach dem US-amerikanischen Chemiker Lawrence Henderson, der die Grundlage für diese Formel 1908 entwickelt hat, und nach dem deutsch-dänischen Chemiker Karl Albert Hasselbalch, der sie umformuliert und experimentell bestätigt hat. Hasselbalch hat sich mit dem pH-Wert des Bluts beschäftigt und genau das untersucht, was mich während meiner »Arbeit« am Schlauch gefragte habe. Nämlich, wie der Blutkreislauf mit Schwankungen des pH-Werts umgeht.
Ein Puffersystem schützt vor Übersäuerung
Die Kurzversion: Die Regelung wird durch Kohlensäure und Bicarbonat-Ionen erreicht. Ist das Blut zu basisch, dann verliert die Kohlensäure ein Proton und wandelt sich zu einem Bicarbonat-Ion. Sollte das Blut zu sauer sein, also zu viele freie Protonen enthalten, dann werden sie von den Bicarbonat-Ionen gebunden und erzeugen Kohlensäure. Das Ganze stellt ein so genanntes Puffersystem dar, also ein Gemisch aus Stoffen, deren pH-Wert sich vergleichsweise schwer ändern kann. Und genau solche Puffersysteme können mit der Henderson-Hasselbalch-Gleichung mathematisch beschrieben werden.
Auf der linken Seite der Formel steht der pH-Wert. Auf der rechten Seite findet man die Säurekonstante pKa, die angibt, wie stark eine Säure in einer Lösung ist. Der Bruch beschreibt, vereinfacht gesagt, das Verhältnis der Konzentration von Base zu Säure. Der pH-Wert von Blut liegt typischerweise bei 7,4. Die Formel zeigt, wie dieser Wert mit Hilfe des Puffersystems aus Kohlensäure und Bicarbonat-Ionen erreicht werden kann. Bei Kohlensäure beträgt die Säurekonstante zirka 6,3. Die Konzentration von Kohlensäure liegt bei etwa 1,2 Millimol, bei den Bicarbonat-Ionen beträgt der Wert ungefähr 24 Millimol. Setzt man das in die Gleichung ein, ergibt sich tatsächlich der übliche pH-Wert des Bluts von 7,4.
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Das Wissen über die Mathematik, mit der man das Puffersystem im Blut beschreiben kann, ist nicht nur von theoretischem Interesse. Es hilft auch dabei, Störungen im Säure-Basen-Haushalt zu verstehen und zu behandeln. Darüber hinaus ist die Henderson-Hasselbalch-Gleichung auch wichtig bei der Entwicklung neuer Medikamente, die mit dem pH-Wert im Körper klarkommen und stabil bleiben müssen. Oder bei der alltäglichen Arbeit im Labor, wenn man spezifische Pufferlösungen erzeugen muss.
Meine Frage konnte ich damit also beantworten. Und ich bin schon gespannt, was mir als Nächstes einfällt, wenn ich wieder durch einen Schlauch in ein Glas Wasser atme.
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