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Covid-19: Wir müssen jetzt Kneipen und Unis schließen

Rund 2000 Covid-19-Fälle zählt Deutschland. Wenig genug, um noch viele Menschen zu retten. Doch die Zeit drängt. Die Politik ist gefordert, weil Einzelne die Krise unterschätzen, kommentiert Daniel Lingenhöhl.
Mailand am 11. März 2020: Die Stadt steht wegen Corvid-19 fast still

Die Bilder und Berichte aus Italien sind bestürzend. »Wie ein Tsunami kam Corona über uns«, sagte etwa Raffaele Bruno, Chefarzt für Infektionskrankheiten am Krankenhaus San Matteo in Pavia. Weil es an Betten, Geräten und Personal fehlt, müssen die Ärztinnen und Ärzte entscheiden, wem sie noch Überlebenschancen zurechnen und an ein Beatmungsgerät anschließen und wen sie gewissermaßen aufgeben. Die Fallzahlen steigen ungebremst, die der Toten auch.

Italien ist das Corona-Krisengebiet in Europa, und das Land sieht sich zu drastischen Gegenmaßnahmen genötigt. Innerhalb weniger Tage wurde das Notstandsgebiet auf den gesamten Staat ausgeweitet und das öffentliche Leben praktisch eingestellt. Es sind Maßnahmen, die vor wenigen Wochen kaum jemand geahnt hat und die an Chinas erstes Notstandsgebiet Wuhan erinnern.

Deutschland steht dagegen auf den ersten Blick noch relativ gut da: Zwar wurde das Coronavirus hier zu Lande schon bei knapp mehr als 2000 Personen nachgewiesen, doch verstarben bislang »nur« vier Menschen daran: eine im internationalen Vergleich sehr niedrige Zahl. Mit offiziell etwa 1,5 Infizierten pro 100 000 Einwohnern rangieren wir weit hinter Italien (etwa 15 pro 100 000), Südkorea (14,5) oder Spanien (2,3, alle Stand 10. März 2020). Leider wird sich das in absehbarer Zeit ändern; darin sind sich alle Experten einig. Wir müssen uns auf deutlich mehr Kranke einstellen und damit rechnen, dass in unseren Krankenhäusern Engpässe auftreten.

Aber unser Land hat noch die Möglichkeit, die Epidemie abzuschwächen, zu verzögern und somit das Gesundheitssystem zu entlasten. Dafür müssten jedoch endlich weit reichende und im persönlichen Empfinden vielleicht drastische Maßnahmen ergriffen werden. Gefordert ist dabei die Politik, denn im Bewusstsein vieler Menschen und Veranstalter ist offensichtlich noch nicht angekommen, was dem Land durch Covid-19 bevorstehen könnte.

Mittlerweile haben zwar die Gesundheitsbehörden eingesehen, dass es maximal unverantwortlich ist, 50 000 oder 80 000 Menschen in Fußballstadien zu lassen. Dafür versammeln sich hunderte Fans vor den Toren der Arenen, um dort gemeinsam zu singen, oder in Kneipen, wo sie die Spiele ihrer Mannschaft verfolgen. In Mannheim oder Berlin wurden Veranstaltungen mit 999 Besuchern organisiert oder »halbiert«, um unterhalb der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn formulierten Obergrenze von 1000 Besuchern pro Ereignis zu bleiben.

Auf die Vernunft der Öffentlichkeit oder der Veranstalter zu hoffen, führt also in die Irre und zu mehr Erkrankten und Toten. Die Politik muss endlich vorangehen: Sie sollte jede öffentliche Veranstaltung in den nächsten Wochen verbieten und staatliche wie private Einrichtungen schließen, in denen sich größere Menschengruppen versammeln. Das sollte für Kneipen wie Universitäten gelten. Womöglich muss man sogar an umfassende Reisebeschränkungen an Flughäfen und im Bahnverkehr denken. Ja, das wird massive wirtschaftliche Einbußen verursachen und vor allem kleinere Betreiber in existenzielle Nöte bringen. Aber der Staat zeigt sich bislang zumindest gewillt, zu unterstützen.

In einem zweiten Schritt sind die Schulen und Kindergärten in Erwägung zu ziehen. Noch raten die meisten Experten nicht dazu, die Kinder flächendeckend nach Hause zu schicken. Das Beispiel Wuhei, wo zu Beginn der Seuche Ferien herrschten, zeigt nämlich, dass geschlossene Schulen die Ausbreitung nicht gebremst oder eingedämmt haben (Anm. d. Autors: Es kann sein, dass Schulschließungen doch helfen können, wie neue Arbeiten andeuten). Zum Glück verläuft Covid-19 bei den Jüngsten unserer Gesellschaft fast ausschließlich sehr mild oder sogar symptomfrei, wie bisherige Daten zeigen. Schlösse man diese Einrichtungen vorzeitig, könnte dies landesweit viele arbeitende Eltern in Betreuungsnöte bringen – darunter Polizisten, das Pflegepersonal oder die Müllabfuhr, die lebensnotwendig für Gesundheit und öffentliche Ordnung sind. Wenn die Großeltern hier einspringen müssten, könnten diese einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt werden – was zu vermeiden ist.

Bevor es zu diesen Schließungen kommt, haben Landesregierungen und der Bund noch andere Präventionsmöglichkeiten und sollten diese nutzen. Wir können das schaffen, wie Südkorea zeigt. Dort hat sich der Ausbruch inzwischen deutlich verlangsamt. Ein Blick in die Vergangenheit ist lehrreich: Als die Spanische Grippe 1918 ausbrach, griff die US-Metropole Philadelphia erst spät zu drastischen Maßnahmen und ließ sogar eine große Parade zu. In der Folge traf eine gewaltige Grippewelle die Stadt, die zu zahlreichen Toten führte. St. Louis hingegen reagierte schnell und umfassend und schränkte das öffentliche Leben massiv ein. Die Epidemie dauerte dort zwar etwas länger, dafür gab es sehr viel weniger Opfer. Deutschland muss also Zeit gewinnen und wie St. Louis sein – nicht wie Philadelphia.

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