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Freistetters Formelwelt: Die Beulen der Erde

Die Frage nach der Form der Erde hat die Menschen schon in der Antike beschäftigt. Die Erdfigur in mathematische Formeln und Modelle zu fassen, gehört aber auch heute noch zu den Aufgaben der Wissenschaft und ist komplexer, als man denken würde.
Erde bei Nacht

Die Erde ist keine Kugel. Die Erde ist natürlich auch keine flache Scheibe, wie es heutzutage erstaunlich viele Leute vor allem im Internet gerne behaupten. Doch die wahre Form der Erde zu beschreiben, ist ausnehmend komplex. Wäre unser Planet sphärisch, dann ließe sich seine Form mit einer simplen mathematischen Formel beschreiben. Tatsächlich benötigt man dafür aber einen Ausdruck wie diesen hier:

Damit lässt sich ein so genanntes »Geoid« beschreiben. Abhängig vom Abstand zum Erdmittelpunkt r und dem Breitenwinkel Θ kann man damit eine Äquipotenzialfläche U berechnen, also die Menge aller Punkte, an denen das Gravitationspotenzial der Erde einen konstanten Wert aufweist. Die Form der Erde entspricht dann der Äquipotenzialfläche des Schwerefelds auf dem Niveau des mittleren Meeresspiegels. Man nennt sie Geoid, und um sie mit obiger Formel zu berechnen, benötigt man nicht nur die Gravitationskonstante G, das Potenzial der Zentrifugalkraft Uz, die Erdmasse M und den mittleren Erdradius R, sondern auch noch die »Legendre-Polynome«, das heißt spezielle mathematische Funktionen, die in der Formel mit Pn(cos Θ) bezeichnet sind, und ein paar Koeffizienten Jn.

Und selbst wenn man das alles mit der Geoid-Formel ausrechnet, hat man immer noch nicht die wahre Form der Erde bestimmt, sondern nur eine Näherung. Unser Planet ist eben kein einfacher Himmelskörper. Teile seines Inneren sind flüssig, andere sind fest, und alles ist ständig in Bewegung. Die Erde besteht aus unterschiedlichen Materialien mit unterschiedlicher Dichte, und diese Dichtevariationen sind auch zeitlich nicht konstant, sondern verändern sich durch die geologischen und tektonischen Vorgänge. All das zerrt die Erde aus der simplen Form, von der frühere Naturforscher ausgegangen sind.

Wo der Dichter Homer vor knapp 3000 Jahren in seiner »Ilias« die Erde noch als flach wie ein Schild beschrieben hat, war ein paar hundert Jahre später Aristoteles schon überzeugt, der Planet müsse die Form einer Kugel haben. Das schloss er aus der Betrachtung von hinter dem Horizont verschwindenden Schiffen und dem Schatten, den die Erde bei Mondfinsternissen auf den Mond wirft. Eratosthenes konnte mit einem simplen Experiment den Umfang der Erdkugel damals sogar ziemlich exakt messen. Dass die wahre Form der Erde von der einer Kugel leicht abweicht, konnte man jedoch erst später verstehen. Aus Isaac Newtons mathematischer Beschreibung der Gravitationskraft folgt, dass die Erde abgeflacht sein muss. Die Strecke vom Erdmittelpunkt zum Äquator muss ein klein wenig länger sein als die vom Erdmittelpunkt zu Nord- oder Südpol.

Geoid

Dieser Befund wurde durch die großen Landvermessungskampagnen im 18. und 19. Jahrhundert bestätigt. Wie komplex das Problem tatsächlich ist, ließ sich dann aber erst durch die modernen Erkenntnisse von Geologie, Seismologie und Raumfahrt herausfinden. Erst die Beobachtungen durch Satelliten haben die Vermessung der Erde in aller Exaktheit möglich gemacht. Die unterschiedliche Massenverteilung im Inneren des Planeten verzerrt nicht nur die Form der Erde, sondern beeinflusst auch die Bewegung eines Satelliten. Überfliegt er einen Bereich mit erhöhter Dichte, ist die Anziehungskraft der Erde ein wenig stärker, und der Satellit kommt ihr ein kleines bisschen näher. Den sich verändernden Abstand kann man sehr exakt messen und aus all diesen Messwerten ein Referenzmodell der Erdform bestimmen.

Das vor einigen Jahren vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam veröffentlichte Geoid-Modell hat immerhin schon eine räumliche Auflösung von zwölf Kilometern. Offiziell heißt es »EIGEN-6C« – inoffiziell hat sich dafür der Name »Potsdamer Kartoffel« eingebürgert. Die Erde ist also keine Kugel, sondern eine Kartoffel!

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