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Warkus' Welt: Die Formel auf Dean Martins Grabstein

In der Musik ist alles viel einfacher als in der formalen Logik. Auch die Liebe, berichtet der Philosoph Matthias Warkus.
Ein extrem albernes Symbolbild über Formeln und Liebe.

»Everybody loves somebody sometime« – das heißt auf Deutsch: »Jeder liebt irgendwann jemanden.«

Definiere ich nun, dass

  1. M(x) bedeutet, dass x ein Mensch ist;
  2. T(x) bedeutet, dass x ein Zeitpunkt ist; und
  3. L(x,y,z) bedeutet, dass x y zu z liebt –

dann kann ich diesen Satz so ausdrücken:

∀ a ∃ b,t(M(a) ∧ M(b) ∧ T(t)) → L(a,b,t)

Diese Formel besagt: Für jedes a gilt, dass es ein b und ein t gibt, so dass, wenn a ein Mensch, b ein Mensch und t ein Zeitpunkt ist, folgt, dass a b zu t liebt. Ist das nicht romantisch? Sollte auf Dean Martins Grabstein nicht vielleicht die Formel stehen und nicht der englische Satz?

Das kann man so oder so sehen. Aber das, was ich da gerade getan habe, ist etwas, was alle lernen müssen, die Philosophie studieren: nämlich Sätze logisch zu formalisieren. Das heißt, sie in eine symbolische Schreibweise zu bringen, die auf einem bestimmten Vorrat von Zeichen und Regeln beruht – in diesem Fall der so genannten klassischen Prädikatenlogik erster Stufe. Man sagt der Einfachheit halber meistens bloß Logik dazu.

Liebe in Symbolen

Der Logikkurs ist eine der ersten größeren Hürden im Studium. Viele Studienanfänger hassen Logik, weil man dabei Terme umformen und Beweise führen muss. Das ist vielleicht nicht unbedingt die erste Priorität von jemandem, der sich für das Philosophiestudium immatrikuliert hat, weil er leidenschaftlich gerne Nietzsche oder Montaigne liest.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Umgekehrt mögen es viele aber auch, Studierenden anderer Fächer ihre Logik-Übezettel unter die Nase zu halten, um ihnen zu zeigen, dass es im Philosophiestudium nicht nur darum geht, im Stuhlkreis große Reden zu schwingen (was so oder so nicht stimmt).

Aber wozu macht man so etwas, außer aus Tradition, zum Eindruckschinden und als Denksportaufgabe? Was bringt uns die formale Logik für das philosophische Tagesgeschäft?

Einmal ist es so, dass das Formalisieren von alltagssprachlichen Sätzen oder gar ganzen Gedankengängen uns dazu zwingt, die Details ihrer Bedeutung herauszuarbeiten. Im Dean-Martin-Beispiel wird beispielsweise explizit verlangt, dass a und b Menschen sein müssen, weil »everybody« ja nun einmal nicht »alles« bedeutet, sondern »jeder«. Diese Notwendigkeit, präzise zu werden, bedeutet oft fast zwangsläufig, dass man sich über Definitionsfragen in die Haare gerät. Herzlichen Glückwunsch – damit, sich über Definitionsfragen in die Haare zu geraten, verbringt man in der Philosophie rund 60 Prozent der abrechenbaren Arbeitszeit.

Formeln und Wirklichkeit

Ein kleines Beispiel: Wäre der Ausgangssatz »Everything loves something sometime« – könnte man dann die Einschränkungen weglassen? Oder muss man für a und b dann ein Prädikat D für Ding einführen und D(a) und D(b) verlangen? Reicht es vielleicht, zu sagen, dass a und b keine Menschen sein dürfen (also: ¬M(a)∧¬M(b)), weil Dinge keine Menschen sind? Willkommen im wunderbaren und nervenzerfetzenden Reich der Ontologie, wo seit zirka 1900 angestrengt darüber debattiert wird, in welchem Verhältnis die Struktur solcher logischer Formeln mit bestimmten Strukturen in der Welt steht.

Umgekehrt erkennt man beim Formalisieren öfter auch Schwächen in den Zeichen- und Regelsystemen, die man dafür einsetzt. Es ist beispielsweise im Rahmen der klassischen Logik notorisch schwierig zu formalisieren, dass sich etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Hinsicht verändert. Daran arbeiten sich bestimmte Teilströmungen der Philosophie seit der Antike ab, und das kann man schon einmal ein bisschen peinlich finden, weil sich ja in unserem Alltagsleben dauernd alles Mögliche verändert. So etwas kann einen dazu motivieren, bestimmte Konzepte zu kritisieren und sie dann zu verbessern oder zu umgehen.

Es herrscht jedenfalls in der modernen Philosophie große Einigkeit darüber, dass das neue Werkzeug der modernen formalen Logik – die es erst seit dem späten 19. Jahrhundert gibt – dabei hilft, Fragestellungen aller Art schärfer zu beschreiben. Flapsig gesagt: Selbst wenn Logik uns keine Lösungen bringt, hilft sie uns doch sehr beim Bewundern des Problems.

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