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Freistetters Formelwelt: Die Formel für ein perfektes Weihnachten

Kann Mathematik dabei helfen, die Feiertage zu planen? Vor zwei Jahren machte eine Gleichung die Runde, die nichts Geringeres versprach. Sie ist jedoch mit Vorsicht zu genießen.
Weihnachtsbaum

Im Dezember 2017 kam kaum ein (Boulevard-)Medium ohne die Nachricht über die »Weihnachtsformel« aus, die britische Mathematiker entwickelt hatten. So sieht sie aus:

Das ist definitiv Mathematik. Es sieht kompliziert aus, es gibt Brüche, Exponenten, Indizes und alles, was man sich in einer ordentlichen Formel so wünscht. Aber auch in der Mathematik kommt es nicht nur auf die Äußerlichkeiten an, sondern auf das, was dahintersteckt.

Berechnet wird in der Formel die Wahrscheinlichkeit PMerry für ein perfektes Weihnachtsfest. Dazu müssen zuerst die Variablen Nm und m beziehungsweise Ng und g bekannt sein. Das sind in diesem Fall die Anzahl der Handys (Nm) und Spielkonsolen (Ng) im Haushalt und die Anzahl m und g der jeweiligen Geräte, die am Weihnachtstag eingeschaltet werden.

Ein Gerät, das – zumindest in britischen Haushalten – offensichtlich auf jeden Fall kurzfristig in Betrieb sein muss, ist der Fernsehapparat. Dessen Betriebszeit wird mit der Variablen T gemessen, und zwar in Bezug auf den Zeitpunkt TQ, an dem die Weihnachtsansprache der Königin übertragen wird.

 

Hier zu Lande melden sich zwar keine Monarchen zu Wort, dafür aber der Bundespräsident – man könnte die Formel also entsprechend anpassen. Schließlich muss man noch die »Jammerfaktoren« M, G und Q wählen, die angeben, wie gut die Familie mit dem Betrieb elektronischer Geräte klarkommt: Man setzt die Faktoren gleich eins, wenn das eher kein Problem ist, ansonsten können sie bis auf den Wert drei ansteigen.

Perfektes Weihnachten ohne elektronische Geräte

Laut »Weihnachtsgleichung« wird ein perfektes Weihnachtsfest also nur dann erreicht, wenn alle Handys und Spielkonsolen deaktiviert sind und bleiben und auch der Fernsehapparat ausschließlich zur Rede der Königin (beziehungsweise des Bundespräsidenten) eingeschaltet wird. Oder anders gesagt: Weihnachten ist genau dann perfekt, wenn niemand telefoniert, spielt oder fernsieht.

Für diesen Befund hätte man sich die komplexe Mathematik aber erstens auch sparen können. Und zweitens ist er durchaus anfechtbar. Meine eigene Familie ist zum Beispiel geografisch ziemlich verstreut. Meine Eltern und mein Bruder leben in einer anderen Stadt als ich, und meine Großeltern wohnen wieder ganz woanders.

Es gelingt nur sehr selten, dass sich alle am Weihnachtstag sehen, und damit ist meine Familie vermutlich nicht allein. Wenn wir also alle unsere Handys rausholen und miteinander telefonieren, uns Bilder schicken, und so weiter: Dann ist gerade das der Garant dafür, dass die ganze Familie ein schönes Fest hat. Meine Großeltern zum Beispiel wären enorm enttäuscht, wenn alle anderen der »Weihnachtsformel« folgten und den ganzen Feiertag über die Handys nicht anrührten.

Man sieht es der Formel aber auch an, dass sie nicht echter psychologischer oder soziologischer Forschung entsprungen ist. Die Aussage »Keine elektronischen Geräte zu Weihnachten« ist nicht das mathematisch formulierte Resultat eines wissenschaftlichen Prozesses, sondern wurde vorab festgelegt und dann in eine Gleichung gepackt, um die Sache bedeutsamer aussehen zu lassen. Tatsächlich hat Forschung überhaupt nichts damit zu tun; die Formel stammt von einer Firma, die mathematische Dienstleistungen anbietet und sich von den Berichten darüber jede Menge kostenlose Werbung versprochen hat.

Der Mathematik selbst hat sie damit keinen Gefallen getan. Diese ist ein mächtiges Werkzeug der Erkenntnis und sollte nicht missbraucht werden, um triviale Aussagen zu Werbezwecken mit scheinbarer Seriosität zu ummanteln. Man kann viel berechnen – ein perfektes Weihnachtsfest gehört nicht dazu.

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