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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des Deodorants oder wie Schweiß zum Makel wurde

Der Mensch und seine Ausdünstungen – das bietet genug Stoff für eine lange Geschichte. Sehr viel kürzer ist allerdings die Geschichte des Deodorants, das mit teils zweifelhaften Methoden an den Mann und besonders an die Frau gebracht wurde.
Anzeige mit junger Frau, die sich eindieselt

Seit Anbeginn der Menschheit existiert die Notwendigkeit, sich in regelmäßigen Abständen zu waschen. Nicht nur um der Gesundheit willen, auch das gemeinsame Zusammenleben wird durch sorgfältige Hygiene erheblich verbessert. Heutzutage gehören dafür Deodorants zum Standard einer umfassenden Körperpflege. Doch wie so oft in der Geschichte, war es ein langer Weg zu dieser Art Normalität, wie wir sie heute kennen.

Während man sich in der Bronzezeit hauptsächlich mit Kräutern und Wasser reinigte, stellten die Römer schon harte Seifen aus Olivenöl her. Die blieben aber lange als Luxusprodukt der Oberschicht vorbehalten. Die ersten Seifenprodukte, die sich auch die breite Bevölkerung leisten konnte, entstanden erst im Zuge der industriellen Revolution. Doch hier war Vorsicht geboten: Viele Seifen enthielten nicht selten Blei oder Arsen, was oft für einen nicht nur ungesund aussehenden blassen Teint sorgte.

Die Seife in Serie

Die Produktion der ältesten, auch heute noch existierenden Seifenmarke begann 1898. Sie kam in den USA auf den Markt und hat auch hier zu Lande noch einen gewissen Bekanntheitsgrad: »Palmolive«. Sie bestand, wie der Name sagt, aus Palm- und Olivenöl.

Um 1900 war bereits ein regelrechter Konkurrenzkampf zwischen diversen Seifenherstellern entbrannt. Alle wollten ihre Produkte an den Mann und die Frau bringen; die Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz abzuheben, waren jedoch begrenzt. Bis schließlich jemand auf die Idee kam, nicht nur dem Dreck, sondern auch den Bakterien den Kampf anzusagen. Das Deodorant war geboren.

»Schweißgeruch verdirbt die Liebe!« | So schnell kann's vorbei sein, wenn der Mann die Frau nicht riechen kann. Diese simple Logik transportiert jedenfalls die obige Anzeige für das Deodorant »Mum« aus dem Jahr 1958.

Wie das Deodorant die Welt eroberte

Das erste Deo hieß »Mum« – abgeleitet vom englischen Wort für »still«. Es kam 1888 auf den Markt. »Mum« war eine Creme, die man sich unter die Achseln strich. Sie sollte gegen schlechte Gerüche helfen, die von Bakterien im Schweiß ausgingen. Eine andere Idee steckte im Produkt »Everdry«, das 1903 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: Dieses Deo bekämpfte nicht die Bakterien, sondern dämmte die Schweißproduktion ein. Es war ein Antitranspirant.

Die Sache hatte allerdings einen Haken: Die Menschen zeigten wenig Interesse an den Deos. Übers Schwitzen wurde nicht gesprochen. Wer zu viel schwitzte, klemmte sich lieber Stoffstücke unter die Achseln. Das galt als völlig ausreichend.

Für andere war das nicht genug. Das war die Stunde der US-Amerikanerin Edna Murphey. Ihr Vater, ein Chirurg, hatte eine Flüssigkeit entwickelt, die seine Hände schweißfrei halten sollte. Trotz ihres jungen Alters – Edna ging noch zur Highschool – versuchte sie, das Produkt zu vermarkten. Auf einer Produktmesse in Atlantic City 1912 fand sie schließlich die ersten Abnehmer. Mit dem erwirtschafteten Geld wollte sie das Marketing stärken. Das war angesichts einiger ungünstiger Eigenschaften ihres Produkts bitter nötig, aber auch schwerer als gedacht. »Odorono«, wie sie das Deodorant nannte, konnte zwar die Schweißproduktion für bis zu drei Tage stoppen, doch die Hauptingredienz – Aluminiumchlorid – musste mit Säure gebunden werden. Und die fraß sich durch Kleidung und reizte die Haut. Erschwerend kam hinzu, dass »Odorono« rot gefärbt war. Das Deo hinterließ entsprechend Flecken auf der Kleidung.

Die Seife für den Heroen | Schon die Helden der Griechen und Römer wuschen sich mit Palm- und Olivenöl. Darin sollte ihnen der moderne Mann in nichts nachstehen – zumindest bei der Körperpflege. So heißt es in dieser Anzeige aus dem Jahr 1918 für die Seifenmarke »Palmolive«.

Der Mensch und sein wankelmütiges Verhältnis zum Schweiß

An diesem Punkt fällte Murphey eine folgenreiche Entscheidung. Sie engagierte die Werbeagentur J. Walter Thompson Company und bekam den ehemaligen Bibelverkäufer James Young zur Seite gestellt. In seiner ersten Werbekampagne appellierte dieser an die Vernunft der Menschen. Weil ein Arzt »Odorono« entwickelt habe, sei es medizinisch unbedenklich, dass die Schweißdrüsen durch das Deo blockiert werden. Das kam an! Im ersten Jahr der Zusammenarbeit wurden die Verkaufszahlen enorm gesteigert und »Odorono« weltweit verkauft.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Doch der Erfolg hielt nicht an. In den darauf folgenden Jahren ging der Absatz zurück. Young wusste nicht, weshalb, und führte mehrere Marktstudien durch, die eine schockierende Wahrheit zu Tage förderten: Mehr als zwei Drittel der Befragten waren der Meinung, sie hätten ein Produkt wie »Odorono« gar nicht nötig.

Das lieferte Young genügend Stoff für neue Werbekampagnen. Er hob nun darauf ab, dass Schweißflecken und Schweißgeruch ein grober gesellschaftlicher Fauxpas seien. Es sollte daher alles nur Menschenmögliche unternommen werden, um ja nicht ins Schwitzen zu kommen und so unangenehmen Geruch zu verströmen.

Schweiß wird zum Problem

Vor allem Frauen legte die Werbung nahe, dass Schweißgeruch ein Problem sei. Zwar würde niemand offen darüber sprechen, aber hinter ihrem Rücken würde sicherlich getuschelt werden. Damit wurde etwas zum Makel erhoben, was die meisten wohl nie als solchen erachtet hatten.

Der Aufschrei blieb nicht aus. So kündigten Leserinnen des »Ladies' Home Journal«, in dem die Anzeigen erschienen, reihenweise ihre Abonnements. Auch James Young erwähnte später in seinen Memoiren, dass ihm Mitarbeiterinnen der Werbeagentur vorgeworfen hatten, mit seiner Kampagne alle amerikanischen Frauen beleidigt zu haben.

Doch die Verkaufszahlen gaben Young recht: Sie stiegen um 112 Prozent. 1929 verkaufte Edna Murphey ihre Firma– mit großem Profit.

Der Weg, der mit dieser Art Werbung eingeschlagen wurde, war damit noch nicht zu Ende. Der Fokus auf Schweißgeruch als persönlicher Makel, den es auszumerzen gilt, blieb. Im Jahr 1939 zum Beispiel wurden Werbeanzeigen geschaltet, die noch einen Schritt weiter gingen. So wurden Frauen, die nicht die entsprechenden Hygieneartikel verwendeten als »schön, aber dumm« (»beautiful but dumb«) bezeichnet. Die Aussicht, jemals einen Ehemann zu ergattern, würde für sie in weite Ferne rücken. Das Ende vom Lied: Das Deodorant gerierte zum essenziellen Bestandteil der täglichen Hygiene – vor allem aber in den Köpfen der Gesellschaft.

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