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Freistetters Formelwelt: Die KI und die Kurvendiskussion

Jedes Jahr schickt man Schülerinnen und Schüler auf die Suche nach dem lokalen Maximum. Doch wirklich spannend wird es, wenn künstliche Intelligenz den absoluten Höhepunkt sucht.
Abstrakte Kurven, leicht verschwommen, auf dunklem Hintergrund.

Generationen von Schülerinnen und Schülern haben im Mathematikunterricht unter der Kurvendiskussion gelitten. Nicht weil dieses Thema so unverständlich ist, sondern weil sich der Unterricht dazu meistens nicht auf das konzentriert, was daran wirklich spannend ist. Auch hier fängt alles mit Formeln an. Man sollte dort aber keineswegs aufhören. Nehmen wir diese Definition als Beispiel:

Was hier beschrieben wird, nennt man ein »lokales Maximum« einer Funktion f, die eine Teilmenge U der reellen Zahlen abbildet. Ein Punkt x0, der sich in einem Intervall I = [a,b] befindet, ist genau dann ein lokales Maximum, wenn alle Funktionswerte in diesem Intervall nicht größer sind als der Wert der Funktion bei x0.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Zeichnet man die Funktion auf, dann steigt die entsprechende Kurve, bis sie den Punkt x0 erreicht hat, und sinkt dann wieder. Ein lokales Minimum definiert sich analog, nur umgekehrt, und ein globales Maximum oder Minimum hat die Funktion dort, wo die Funktionswerte insgesamt am größten beziehungsweise am kleinsten sind.

Die Berechnung solcher »Extremwerte« ist das Kernstück jeder Kurvendiskussion. Mathematisch ist das keine große Kunst. Man muss dazu nur die Nullstellen der ersten Ableitung bestimmen. Denn die gibt die Änderungsrate der Funktion an, und ein Maximum oder Minimum ist genau an den Punkten, an denen keine Veränderung stattfindet. Das ist ein bisschen wie beim Bergsteigen: Solange es bergauf geht, verändert man seine Höhe über dem Meeresspiegel ständig. Das hört erst auf, wenn man am Gipfel angekommen ist. Und so wie beim Bergsteigen ist es auch nicht immer sofort ersichtlich, ob man jetzt den absoluten Höhepunkt erreicht hat oder ob es da hinten im Nebel vielleicht doch noch ein wenig nach oben weitergeht.

Künstliche Intelligenz auf der Suche nach dem Höhepunkt

Ob man ein lokales oder globales Maximum vor sich hat, ist mathematisch leicht zu berechnen, solange man die gesamte Kurve vor sich hat. In der Praxis kann es jedoch deutlich schwieriger herauszufinden sein. Und in dieser Praxis liegt auch das, was an der Kurvendiskussion eigentlich interessant ist.

Eine Kurve aufzeichnen kann heute schon jeder Taschenrechner, und die Berechnung der Extremwerte ist eine rein mechanische Anwendung grundlegender Rechenregeln. Aber was, wenn hier zum Beispiel nicht gelangweilte Jugendliche im Schulunterricht rechnen müssen, sondern eine künstliche Intelligenz ein Problem lösen soll? Selbstlernende Algorithmen wissen nicht, was sie tun oder warum sie es tun; sie wissen nur, dass sie ein bestimmtes Ziel erreichen müssen.

Dieses Ziel wird mathematisch oft als Funktion definiert, die es zu maximieren gilt, und der Algorithmus sucht nach Wegen, dieses Maximum zu erreichen. Erreicht er so ein globales Maximum, ist alles in Ordnung. Liegt auf dem Weg allerdings ein lokales Maximum, müsste der Algorithmus sich zuerst wieder verschlechtern, bevor er die optimale Lösung finden kann. Das weiß das Programm aber nicht – und wird bei der mittelmäßigen Lösung verharren, sofern man keine besonderen Vorkehrungen getroffen hat.

Entsprechende Algorithmen finden wir heute überall in unserem Alltag, zum Beispiel wenn uns in Online-Shops »passende« Produkte empfohlen werden. Kurvendiskussionen sind jedoch auch abseits davon mehr als nur relevant. Wenn wir im Kontext der Covid-19-Pandemie von einer ersten, zweiten oder dritten »Welle« reden, dann meinen wir aus mathematischer Sicht die Extremwerte von Kurven.

Aber betrachten wir dabei die Kurve, die die täglich neu Infizierten anzeigt? Oder die mit den gesamten Krankheitsfällen im Lauf der Zeit? Dort, wo die eine Kurve sinkt, kann die andere trotzdem weiter steigen. Genau solche Zusammenhänge zu verstehen ist das, was man aus der Mathematik der Kurvendiskussion lernen sollte. Das ist viel wichtiger, als nur die schematische Anwendung von Rechenregeln zu unterrichten.

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