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Freistetters Formelwelt: Die kleinste Sierpiński-Zahl

Mit kleinen Zahlen zu rechnen, erscheint uns einfacher als das Hantieren mit großen oder gar unendlich großen Werten. Wenn man tief genug in die Mathematik eintaucht, zeigen aber auch die kleinen Zahlen, was in ihnen steckt.
Auf Zahlensuche

Wer die größte Zahl mit einer bestimmten Eigenschaft sucht, wird schnell ein mögliches Problem erkennen: Im Zweifelsfall gibt es unendlich viele Möglichkeiten, die man nicht einfach alle durchprobieren kann.

Viel leichter erscheint es, die kleinste Zahl mit einer bestimmten Eigenschaft aufzuspüren. Beschränkt man sich, wie oft in der Zahlentheorie, auf die natürlichen Zahlen, dann ist bei der 1 unweigerlich Schluss. Noch kleinere Zahlen können nicht mehr auftauchen, und die Zahl der Möglichkeiten ist endlich.

So einfach, wie es scheint, ist es allerdings nicht immer. Betrachten wir dazu zum Beispiel diese Menge von Zahlen:

Man wählt eine beliebige, aber ungerade natürliche Zahl k, geht dann der Reihe nach alle natürlichen Zahlen n durch und berechnet jeweils den Ausdruck k*2n + 1. Man erhält so eine unendliche Menge an Zahlen, und wenn in dieser Menge nirgendwo eine Primzahl auftaucht, dann wird k eine "Sierpiński-Zahl" genannt (nach dem polnischen Mathematiker Wacław Sierpiński).

Eine seit 1967 unbeantwortete Frage lautet: "Ist 78 557 die kleinste Sierpiński-Zahl?" Es erscheint seltsam, dass es seit mehr als fünf Jahrzehnten keine Antwort auf diese Frage gibt – immerhin bleiben ja nur 39 278 ungerade natürliche Zahlen übrig, die man prüfen muss. Ist keine davon eine Sierpiński-Zahl, dann lautet die Antwort "Ja". Doch darf man nicht vergessen: Für jede dieser Zahlen muss eine unendlich lange Zahlenfolge daraufhin untersucht werden, ob Primzahlen darin enthalten sind oder nicht.

Angesichts dieser Aufgabe mutet es wiederum unmöglich an, dass man überhaupt irgendeine Sierpiński-Zahl identifizieren kann. Doch tatsächlich schaffte man es bis zum Jahr 2002, die Zahl der möglichen Sierpiński-Zahlen, die kleiner als 78 557 sind, auf 17 Stück einzugrenzen. Um auch die noch zu prüfen, wurde das Projekt "Seventeen or Bust" gestartet. Jeder Mensch mit einem Computer und einem Internetanschluss konnte sich an dem gemeinschaftlichen Rechenprojekt beteiligen. Bei 12 der 17 Zahlen konnte nachgewiesen werden, dass irgendwo tatsächlich eine Primzahl in der Reihe auftaucht, bevor ein Serverausfall im Jahr 2016 das Projekt stoppte.

Übrig blieben die Zahlen 21 181, 22 699, 24 737, 55 459 und 67 607. Ihnen widmet sich nun das Projekt "PrimeGrid", das die Frage durch verteiltes Rechnen auf vielen Computern endgültig beantworten soll. Es ist allerdings nicht sicher, ob es diese Antwort auch geben wird. Die einzige Methode, die dafür zur Verfügung steht, besteht in der Anwendung des "Satzes von Proth": François Proth war hauptberuflich Landwirt, gleichzeitig aber auch ein engagierter Amateurmathematiker, der Ende des 19. Jahrhunderts eine Methode erfand, wie man bei bestimmten Zahlen vergleichsweise schnell und einfach testen kann, ob es sich um Primzahlen handelt. Die bei der Prüfung einer potenziellen Sierpiński-Zahl auftauchenden Zahlen gehören glücklicherweise dazu und machen eine Behandlung des Problems am Computer möglich.

Wenn die fünf verbliebenen Zahlen tatsächlich keine Sierpiński-Zahlen sind, wird der Computer das früher oder später feststellen. Sollte die Antwort auf das Sierpiński-Problem jedoch "Nein" lauten, also eine der fünf verbleibenden Zahlen das oben genannte Kriterium erfüllen, käme die Computerprüfung nie zu einem Ende. Denn wenn nirgendwo in der von der potenziellen Sierpiński-Zahl erzeugten Reihe eine Primzahl auftaucht, wird das Computerprogramm ewig weitersuchen.

Aber es ist auch irgendwie tröstlich, dass es solche schwer zu beantwortenden Fragen gibt. Vielleicht wird es am Ende doch noch die kreative Idee eines Menschen sein, die dieses Problem löst, und nicht die brutale Rechenkraft eines Prozessors.

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