Schlichting!: Die Physik von Käserosetten
Der Schweizer Käse namens Tête de Moine, zu deutsch Mönchskopf, ist nicht nur geschmacklich, sondern auch physikalisch einzigartig. Von dem zylinderförmigen Laib werden mit einem speziellen Drehhobel, der Girolle, dünne rosettenartige Späne abgeschabt. Sie legen sich dabei in filigrane Rüschen. Erst in dieser besonderen Form entfaltet der Käse am Gaumen seinen unverwechselbaren Geschmack.
Was diesen Käse über sein Aroma hinaus zudem physikalisch interessant macht, ist die erstaunliche Strukturbildung. Hier entsteht durch eine denkbar einfache Prozedur ein ziemlich komplexes Gebilde. Es erinnert an die in früheren Zeiten verbreitete Halskrause oder an rüschenbesetzte Kleidung.
Die Rosette ist nicht nur hübsch, sondern sie hat außerdem eine aromatische Funktion: Ihr großes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen verstärkt den Geschmack des Käses und verleiht ihm ein fluffiges Mundgefühl.
Solche gerüschten Kanten finden sich vielfach in der Natur. Beispiele reichen von den Blüten von Zierpflanzen wie dem Silber-Brandschopf über Endiviensalat bis hin zu Pilzen wie der Krausen Glucke. Allerdings entstehen die Rüschen hier nach anderen Mechanismen.
Im Gegensatz zur Natur muss man beim Tête de Moine mechanisch nachhelfen. Die schmackhaften Rosetten bekommt man, indem man den Hobel der Girolle unter mäßigem Druck über den Käse führt. Das erzeugt eine Kraft parallel zum widerstehenden tieferen Bereich. So wird ein dünner Streifen zunächst elastisch verformt und dann plastisch abgeschoren. Doch warum genau entstehen beim Abtrennen solche Rüschen? Eigentlich sollte man doch erwarten, dass sich die Schicht einfach kegelförmig aufrollt und dann aussieht wie eine Eistüte.
Diese Frage fand der Physiker Jishen Zhang von der Hochschule für angewandte Physik und Chemie der Stadt Paris so interessant, dass er mit einer Forschungsgruppe das Phänomen näher untersucht hat. Die Ergebnisse hat das Team im Mai 2025 publiziert. Entscheidend für die filigrane Gestalt ist demnach, dass der zylinderförmige Mönchskopf zur Mitte hin weicher ist. Also setzt er dort einer Scherung einen größeren Reibungswiderstand entgegen als am härteren verkrusteten Rand – es ist schließlich leichter, eine Getränkekiste über Asphalt zu schieben als über Gras. Dementsprechend wird das Material weiter innen stärker komprimiert und mitgeführt.
Daher trägt man beim Überstreichen vom inneren Zylinder eine tiefere Käseschicht ab als zum Rand hin. Dort wiederum wird der Käse weniger stark komprimiert, und deswegen entsteht am Rand eine größere Spanoberfläche als im mittleren Bereich. Insgesamt wird gleichmäßig viel Substanz mitgerissen: im Zentrum eine etwas dickere Schicht, dafür am Rand eine dünnere, aber längere. Sie kann letztlich am Stück nicht mehr flach entfaltet werden und muss sich in die Höhe aufwölben. Das führt zu den Rüschen.
Innerlich bedrückt, außen extravagant
Vergleicht man die Fläche eines Spans, die sich ergibt, wenn man ihn vorsichtig ausbreitet, mit der Fläche, die dafür abgehobelt werden musste, so erkennt man einen deutlichen Unterschied. Im vorliegenden Fall war die Schnittfläche mehr als 20 Prozent größer als die des Spans. Wenn man sich einen abgetrennten Span genauer anschaut, kann man erkennen, dass er in der Mitte tatsächlich etwas dicker ist als am Rand.
Den Einfluss des festen Rands auf die Rüschenbildung kann man sich auch vor Augen führen, wenn man die Außenbereiche großzügig entfernt. Die von dem restlichen Mönchskopf abgeschabten Späne bilden dann keine Rüschen.
Die Temperatur spielt ebenfalls eine Rolle. Sie beeinflusst, wie weich der Käse ist und bestimmt dadurch die Form der Rosetten mit. Bei Zimmertemperatur ergeben sich meiner Erfahrung nach filigranere Strukturen als bei Käse, der direkt aus dem Kühlschrank kommt. Vermutlich führt das weichere Innere zu einer stärkeren plastischen Verformung. Damit entstehen am Rand des wärmeren Käses mehr oder größere Rüschen.
»Mit dem großen Kleid, seinen Rüschen und Raffungen hatten sie sich eine Oberfläche geschaffen, die fünfmal so groß war wie die ursprüngliche«Robert Musil, österreichischer Schriftsteller
Wer sich auch ohne Tête de Moine eine anschauliche Vorstellung von derartigen Kräuselungen machen will, kann auf Papier zurückgreifen. Es genügt, einen Streifen herzustellen, der an der einen Seite länger ist als an der anderen. Dazu schneidet man aus einem Papierkreis eine ein bis zwei Zentimeter breite Spirale und hängt sie an einem Ende auf. Wenn sich der Streifen unter dem eigenen Gewicht entfaltet, kräuselt er sich in einer Form, die große Ähnlichkeit mit den Rüschen des Käsespans aufweist.
Das beim Schaben auftretende plastische Zusammenziehen erklärt nicht nur beim Tête de Moine die Rüschenbildung. Das Team um Zhang weist in seiner Publikation darauf hin, dass die Ergebnisse auf ähnliche Phänomene übertragen werden könnten, die zum Beispiel beim Schneiden von Metallen und Polymeren auftreten.
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