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Freistetters Formelwelt: Die Realität hinter dem Sonnensegel

Licht erscheint uns substanzlos und flüchtig. Aber in ihm steckt eine Kraft, die nicht nur das Universum beeinflusst, sondern in Zukunft auch unsere Raumfahrzeuge antreiben könnte.
Dünn und flach. Ein interstellares Sonnensegel sieht in etwa so aus wie dieses Demonstrationsexperiment der NASA (Solar Sail Demonstrator). Die Seitenlänge beträgt 37 Meter.

Der amerikanische Physiker Arthur Ashkin ist einer der drei Physik-Nobelpreisträger des Jahres 2018. Den Preis bekam er für die Entwicklung »optischer Pinzetten«: Er fand einen Weg, kleine Objekte mit Hilfe von Licht festzuhalten und zu manipulieren. Die Kraft, die ihm das ermöglicht, ist der Strahlungsdruck:

In dieser Formel ist Ee die Bestrahlungsstärke, also die gesamte Leistung elektromagnetischer Energie, bezogen auf die Fläche auf die sie auftrift. c ist die Lichtgeschwindigkeit, und teilt man das eine durch das andere, erhält man den Strahlungsdruck p. Die Tatsache, dass die – sehr große – Lichtgeschwindigkeit in der Formel unter dem Bruchstrich steht, zeigt, dass der Strahlungsdruck eine vergleichsweise kleine Kraft ist. Aber eine, die trotzdem Wirkung haben kann.

Strahlungsdruck kann jede Art von Licht ausüben. Die Laserstrahlen, die Ashkin verwendete, ebenso wie die natürliche Strahlung der Sonne. Ihr Strahlungsdruck kann durch »Sonnensegel« eingefangen werden und als Antrieb dienen. Allerdings nur im Weltall, wo keine anderen störenden Effekte vorhanden sind und die kleine Kraft überdecken.

In der Umgebung der Erde beträgt die Leistungsdichte der Sonnenstrahlung zirka 1370 Watt pro Quadratmeter. Auf ein Sonnensegel würde dort unter typischen Bedingungen pro Quadratmeter Fläche eine Kraft von etwa vier Mikronewton wirken. Das entspricht einer Beschleunigung von 0,4 Millimeter pro Quadratsekunde. Winzig – aber auch eine kleine Beschleunigung kann einen großen Effekt haben, wenn sie lang genug aufrechterhalten wird.

Sonnensegel haben einen weiteren großen Vorteil: Sie bestehen aus einer sehr dünnen und dementsprechend leichten Folie. Sie können kompakt gefaltet ins All gebracht, um dort wieder zu sehr großen Flächen entfaltet zu werden. Im Gegensatz zu konventionellen Antriebssystemen muss kein Treibstoff mitgeführt werden; den liefert das Licht der Sonne.

Bis jetzt allerdings sind Sonnensegel eher eine experimentelle Technik. Der erste erfolgreiche Test dieser Antriebsmethode fand 2010 statt. Die japanische Raumfahrtorganisation JAXA stattete die Raumsonde IKAROS mit einem Segel aus, das eine Fläche von 173 Quadratmetern hat. Das Gewicht beträgt dabei trotzdem nur zwei Kilogramm, da die Kunststoffmembran des Segels lediglich 7,5 Mikrometer dick ist. Die Entfaltung im All verlief erfolgreich und am 9. Juni 2010 verkündete die JAXA, dass die Sonde durch das Sonnensegel beschleunigt wird. IKAROS flog von der Erde bis zur Venus und an ihr vorbei. Nach der Erfüllung dieser Ziele wurde die Primärmission offiziell beendet. IKAROS aber flog weiter um die Sonne herum und in den folgenden Jahren gelang es immer wieder, mit ihr Kontakt aufzunehmen.

Sonnensegel werden zudem immer wieder als Methode zur Asteroidenabwehr vorgeschlagen. Auch dazu ist es ja notwendig, einen Asteroiden zu beschleunigen (oder zu bremsen), um eine Kollision mit der Erde zu verhindern. Um den kostspieligen Transport von Treibstoff und Raketen zum gefährlichen Himmelskörper zu vermeiden, bietet sich ein Sonnensegel an, das den Asteroiden aus der Kollisionsbahn schiebt. Leitet man so ein Manöver früh genug ein – idealerweise einige Jahrzehnte vor einem drohenden Zusammenstoß –, dann kann der Strahlungsdruck der Sonne genug Kraft entfalten, um der Erde einen Einschlag zu ersparen.

Was wie Sciencefiction klingt, soll demnächst konkret untersucht werden. Im nächsten Jahr will die NASA eine Minisonde mit Sonnensegel zu einem Asteroiden schicken, unter anderem um dort Strategien zur Asteroidenabwehr zu erforschen. Und auch wenn diese ganz speziellen Naturkatastrophen eher selten sind, kann man angesichts ihrer potenziell verheerenden Wirkung gar nicht früh genug anfangen, sich damit zu beschäftigen.

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